Oliver Lovrenski: „Bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann“
Oliver Lovrenski wurde als jüngster Autor aller Zeit mit dem Preis der norwegischen Buchhändler ausgezeichnet. Jetzt ist der Erfolgsroman auf Deutsch erschienen. Meike Stein hat ihn gelesen und mit der Übersetzerin Karoline Hippe gesprochen.
Es gibt viele Bücher über das Schicksal junger Menschen mit Migrationshintergrund, über Drogenmissbrauch und über Jugendkriminalität, aber der norwegische Autor Oliver Lovrenski findet einen einzigartigen, lyrischen, multikulturellen Soziolekt, der Lesende auf direkte Weise in die Lebenswelt seiner Protagonisten eintauchen lässt – diese Sprache hat man so noch nicht gelesen. Lovrenski schreibt über die Freundschaft von vier jungen Männern in Oslo, deren Verbindung zueinander ihr zentraler Halt in einer Welt ist, die durch Perspektivlosigkeit, Drogenkonsum und Kriminalität zunehmend aus den Fugen gerät. Erzähler Ivor, der wie der Autor kroatische Wurzeln hat, blickt im Text auf seine Jugend zurück. Zentral ist dabei sein bester Freund, der somalisch-stämmige Marco, sowie ihre beiden Kumpel, Norweger Jonas und der indisch-stämmige Arjan. Der Klang des Romans speist sich dann auch aus diesen Sprachen, aus dem Rhythmus des Rap und pointierten Dialogen. Ins Deutsche wurde diese besondere Mischung von Übersetzerin Karoline Hippe übertragen.
„Ich stand vor allem auch vor dieser Frage: Wie aktuell ist das alles, also wie schnell wird diese Sprache auch altern. Ich hab sehr viel Rap gehört in der Zeit. Gerade die somalischen und arabischen und kroatischen Elemente, die sind irgendwie von selbst da mit reingekommen, also da musste ich gar nicht viel machen. Es stand erst noch irgendwie die Überlegung im Raum, ob das noch mit was Türkischem angereichert wird, weil das bei uns ja die gängigeren Sprachen sind, die mit Jugendsprache vermischt werden. Und dann war das aber ganz schnell, das: Nein, das bleibt ja dabei, davon lebt ja irgendwie genau dieser Text und genau diese Jungs, die eben mit diesen Sprachen aufwachsen.“
Der Roman zeigt die vier Protagonisten im Alter zwischen 13 und 19 Jahren, wie sie vom gelegentlichen Drogenkonsum in den Handel und die Sucht abrutschen, von Kleinkriminalität zu bewaffneten Raubüberfällen und Schlägereien übergehen. Familiäre Gewalt, Vernachlässigung, die Scheidung der Eltern und problematische Beziehungen mit Frauen schweißen die Freunde noch enger zusammen: Es ist die Verbindung zwischen den jungen Männern, die es ihnen ermöglicht, zu vertrauen und Liebe zu anderen Menschen zu zeigen. Dabei entschuldigt Lovrenski das teils brutale und rücksichtslose Verhalten seiner Figuren nicht, er zeigt lediglich ihren Schmerz und ihre emotionalen Verheerungen, denen sie häufig mit vielschichtigem Humor begegnen. Geschickt beleuchtet der Autor auch die Rolle digitaler Kommunikation, die als Waffe zur öffentlichen Demütigung fungieren kann. Die kurzen Vignetten, in denen Lovrenski erzählt, strahlen dabei eine gewisse Atemlosigkeit aus.
„Als ich das Buch zum ersten Mal gesehen hab, waren das für mich wirklich so Erinnerungsfragmente, also wie jemand, der sowohl im Rausch als auch in einem plötzlichen Wachzustand sich Notizen macht. Und ich hab dann auch wenig später erfahren, dass der Roman vor allem auf seinem Handy geschrieben wurde. Also ich stelle ihn mir so vor wie er zum Beispiel an der Haltestelle steht und auf seine Bahn wartet und dann kurz seine Gedanken niedertippt.“
Tempo und scharfer Witz, Gewaltdarstellung und Introspektion, das Oszillieren zwischen realistischen Episoden und Beschreibungen, die wie im Drogennebel geschrieben erscheinen : Lovrenskis Text wirkt als hypnotischer Strudel, der immer wieder überrascht. Karoline Hippe hat es geschafft, der eindrücklichen Sprache in ihrer kunstvollen Übersetzung gerecht zu werden – auch das eine große Leistung.
Oliver Lovrenski
"Bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann"
Übersetzt aus dem Norwegischen von Karoline Hippe
Hanser Verlag
256 Seiten, 22 Euro
ISBN: 978-3-446-28405-0
Ein Thema in der Sendung "Literatur im Gespräch" am 12.03.2025 auf SR kultur.