Opfer häuslicher Gewalt müssen oft lange für Entschädigung kämpfen
Für Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt wurden, ist es immer noch ein langer, steiniger Weg, bis sie Hilfe und Entschädigung bekommen. Besserung ist nach Einschätzung des Sozialverbandes VdK nicht in Sicht. Auch in anderen Bereichen brauchen Betroffene oft einen sehr langen Atem, bis sie ihr Recht bekommen.
An jedem dritten Tag wird statistisch eine Frau in Deutschland von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Im Schnitt werden jede Stunde 13 Frauen Opfer häuslicher Gewalt. Das sind Zahlen von 2022 und 2021.
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Ende mit Schrecken
Für Frauen ist es oft schwer, sich Hilfe zu suchen. Und wenn sie dann den Mut aufbringen, liegt häufig ein langer und steiniger Weg vor ihnen – wie im Fall von Maria Aparecida de Oliveira. Mithilfe des Sozialverbandes VdK hat sie inzwischen eine Opferentschädigung bekommen – nach zwölf Jahren. Kein Einzelfall, wie der VdK bilanziert.
Tränen der Wut
„2011 wurde ich zuerst geschlagen, gedemütigt, beleidigt, bedroht, erpresst. Und hinterher wurde ich noch vergewaltigt“, sagt sie. „Du stehst dort, Du hast Todesangst. Du hast ein sehr großes Schamgefühl und Angst, die Polizei zu rufen - wie viele andere Frauen, denke ich. Du suchst die Fehler bei Dir, nicht beim Täter.“
Immer wieder reibt sich die kleine Frau ihr immer noch verletztes Handgelenk. Sie trägt eine Bandage. Die Deutsch-Brasilianerin kämpft mit den Tränen. Aber es sind keine Tränen der Trauer mehr – es sind Tränen der Wut.
In Brasilien kennengelernt
Sie will ihre Geschichte erzählen. „Angst habe ich bis heute noch“, sagt sie. „Ich habe Angst, Todesangst. Und genauso wie es mir passiert, kann jede Frau getroffen werden.“
1999 hat sie ihren Ex-Mann in Brasilien kennengelernt, einen Deutschen. Sie kommt ins Saarland. Was sie nicht wusste: Er ist vorbestraft wegen häuslicher Gewalt. „Als ich geheiratet habe, habe ich nie gefragt nach einem polizeilichen Führungszeugnis“, erzählt sie. In Brasilien hätte sie nie einen solchen Mann geheiratet.
Zwölf Jahre bis zur Entschädigung
Maria ist eine starke Frau. Obwohl sich die ganze Familie ihres Mannes von ihr abwendet, sucht sie schnell Hilfe bei einer Nachbarin, flieht aus der Ehe und zeigt ihren Mann an, damit die Gewalt ein Ende hat.
Aber damit fing eine zweite Leidensgeschichte an – die der deutschen Bürokratie. Er wird zwar in einem Strafverfahren zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, aber Opferentschädigung erhält Maria nicht. „Es ist sehr schlimm, sehr schmerzhaft, der Weg, den ein Opfer, eine Frau, gehen muss.“ Deutschland unterstütze mehr die Täter als die Opfer, sagt sie.
Zwölf Jahre dauert es, bis Maria die Opferentschädigung bekommt, die ihr zusteht. Ihr Handgelenk ist nicht richtig verheilt, sie nimmt Schmerzmittel, ist eingeschränkt in ihrem Beruf als Krankenpflegerin. Nur mit Hilfe des Sozialverbandes VdK steht sie das durch.
Rechtsberatung und Hilfe für 3900 Menschen
„In dem konkreten Fall hat unsere Juristin das gesamte Verfahren geführt, immer wieder dafür gesorgt, dass das Verfahren am Laufen bleibt, und letztlich durch Hartnäckigkeit auch dieses Ergebnis erkämpft", sagt VdK-Geschäftsführer Peter Springborn. Es sei viel Arbeit gewesen.
So wie Maria hat der VdK im Saarland im letzten Jahr fast 4000 Menschen mit Rechtsberatung geholfen und ihnen zu ihrem Recht verholfen. In den meisten Fällen ging es um Schwerbehinderung, Krankenkassen und Sozialversicherungs-Streitigkeiten. Aber es waren auch immer mal wieder Fälle von häuslicher Gewalt darunter.
Auch hat der VdK mehr Mitglieder: Gegenüber Anfang 2020 stieg deren Zahl im Saarland um 6000 auf jetzt 58000 an. Und die Nachfrage nach Beratung ist groß: Fast 14.000 Beratungsgespräche wurden im vergangenen Jahr geführt.
Lange Wege, bis man sein Recht bekommt
Springborn sieht generell eine Tendenz, die es Menschen immer schwerer macht, ihr Recht zu erstreiten. „Wer einen Antrag stellt, muss inzwischen ein halbes bis ein ganzes Jahr warten, bis der Antrag beschieden wird. Und wenn man dann nicht zufrieden ist mit dem Ergebnis und Widerspruch einlegt, dann dauert das nochmal ein halbes bis ein ganzes Jahr, bis ein Ergebnis da ist. Und unter Umständen geht man dann erst in ein Klageverfahren. Also das sind sehr, sehr lange Wege, die die Menschen da gehen müssen, bis sie zu ihrem Recht kommen.“
Besondere Schwierigkeiten hat der VdK nach eigenen Angaben mit dem Landesamt für Soziales. „Schon Antragsverfahren auf Feststellung eines Grades der Behinderung dauern viele Monate, bei der Eingliederungshilfe nach unseren Erfahrungen selten unter einem Jahr“, so Sandra Metzen, Teamleiterin der VdK-Juristen.
„Wird der Antrag abgelehnt und wir legen Widerspruch ein, zieht sich das Verfahren oftmals erneut bis zu einem Jahr.“ Für die Betroffenen sei das extrem zermürbend.
Viele geben im Laufe dieser Verfahren auf – Maria de Oliveira hat nicht aufgegeben. Denn sie will, dass keine andere Frau das erleben muss, was sie erlebt hat. Aber sie sagt auch: „Was ich alles heutzutage weiß, wo man hingehen kann – wenn ich das alles gewusst hätte, wäre ich einen anderen Weg gegangen.“
Ein Thema in der "Region am Mittag" am 17.04.2023 auf SR 3 Saarlandwelle.