"Es braucht einen Kulturwandel und Anstand"
Das Jahr, die Meinung: Kleinere und größere Skandale
Von Betrügereien bei den Coronatestzentren und -hilfen bis hin zu Unregelmäßigkeiten bei der Handwerkskammer und Räuberpistolen bei der Saarbrücker GIU rund um deren Geschäftsführer Martin Welker. Das Jahr 2022 hat uns wieder einige kleinere und größere Skandale beschert. Leidtragender sind die Steuer- oder Gebührenzahler. Mit mutmaßlichen Coronatests verdienten sich einige eine goldene Nase, bei der öffentlich-rechtlichen HWK und auch der Kunsthochschule HBK ging es haushaltsrechtlich drunter und drüber - bei der GIU auch. Wie kommts, dass unser Saarland immer wieder mit derartigen Eskapaden glänzt?
Die Meinung
Unser Saarland ist chronisch krank. Das Land der kurzen Wege leidet seit jeher an Kontrollverlust. Denn eines ist all den Skandalen und Skandälchen gemein: es konnte sie nur geben, weil die Aufsicht und ihre Gremien versagt haben.
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Besonders augenfällig ist das bei den Coronatests und -hilfen geworden. Da wurden Hunderte von Millionen zur Pandemiebewältigung eingesetzt. Sicherlich - das Virus und seine Mutationsfähigkeiten waren neu. Aber trotz dieser einmaligen Herausforderung: in Sachen Corona wurde Betrug leicht, viel zu leicht gemacht.
Coronahilfen wurden im Saarland anders als in anderen Bundesländern anfänglich nahezu freihändig ausgezahlt - mit Phantasiefirmen ergaunerten sich einige zig Tausend Euro. Die Aufsicht des Wirtschaftsministeriums ging gegen Null.
Beim großen Testen schoss ein 21-Jähriger den Vogel ab. Der St. Ingberter hatte in zwei Minitestzentren innerhalb von ein paar Wochen die Mittelstadt angeblich zwei Mal komplett durchgetestet, kassierte mehr als 1 Million Euro. Die Aufsicht der Gesundheitsbehörden und der KV ging gegen Null.
Bei der HBK gab es über Jahre eine mehr als phantasievolle Kontoführung. Ein Drittmittelkonto quasi zur freien Verfügung, auch für Winterbereifung und Wein. Die Aufsicht des Kultusministeriums ging gegen Null.
Ähnlich bei der HWK - dort wurde nicht nur gemeisert und gemelchert, sondern ebenfalls phantasievoll der Haushalt geführt. Restaurantbesuche, luxuriös ausgestattete Dienstwagen, Geburtstagssausen, In-sich-Geschäfte im Vorstand, freihändige Vergaben, teure Büromöbel - wie weiland beim Landessportverband, nix dazugelernt. Und: Die Aufsicht des Wirtschaftsministeriums ging gegen Null.
Gleiches bei der Saarbrücker GIU. Mal abgesehen von dem krimireifen Geldkoffer auf Welkers Dachboden und dem Trommelrevolver, wie kann es eigentlich sein, dass Anwalt Welker fast zwei Jahrzehnte ohne Honorar für ein städtisches Unternehmen tätig sein konnte? Hat das das Kontrollgremium nicht bemerkt? Die Aufsicht des GIU-Aufsichtsrats ging gegen Null.
Warum all das bei uns so ist? Einerseits fehlt es sicherlich an ausreichend Kontrollpersonal, da beißt sich das Sparen in den eigenen Schwanz. Es fehlt aber andererseits vor allem an einer ausgeprägten Aufsichtskultur. Jeder kennt jeden, die Wege sind allzu kurz. Ob beim 60sten des Präsidenten, einer Stadioneinweihung oder einer Vernissage - bei Cremant und Häppchen sind Kontrolleure und zu Kontrolliernde eins.
Es braucht einen Kulturwandel und es braucht Anstand. So etwas tut man nicht. Tut sich nichts - leben wir weiter in Saarlermo.
Übersicht
Ein Thema in der "Region am Mittag" am 21.12.2022 auf SR 3 Saarlandwelle