Kinder in Kur in den 60er Jahren (Foto: IMAGO)

Kinderverschickung: Für viele eher Tortur als Kur

Zeitzeugen gesucht

Patrick Wiermer   24.04.2023 | 10:30 Uhr

Sie waren zu dünn, zu blass – oder einfach nur allgemein erholungsbedürftig. Mit dieser Begründung wurden nach dem Weltkrieg bis in die 90er Jahre Millionen Kinder in Kinderkurheime verschickt. Für viele waren die sechswöchigen Aufenthalte jedoch eher Tortur als Kur. Für das Saarland ist dieses dunkle Kapitel kaum aufgearbeitet. Wir suchen daher Zeitzeugen.

Zwischen drei und zwölf Millionen Kinder sollen bundesweit in Kinderkurheime verschickt worden sein. Häufig waren es Kleinkinder, oft kaum älter als fünf Jahre. Die Kinder wurden mit Köfferchen an den Bahnhof gebracht und dort an die "Tanten" übergeben, die sie dann auf den stundenlangen Fahrten in die Kurorte brachten – in den Hunsrück, in den Schwarzwald, an die Nordsee.

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Kinderverschickung: Zeitzeugen gesucht
Audio [SR 3, Moderation: Christian Job, 24.04.2023, Länge: 06:12 Min.]
Kinderverschickung: Zeitzeugen gesucht
Studiogspräch mit SR-Reporter Patrick Wiermer

Für Tausende waren die sechswöchigen Aufenthalte jedoch weniger Kur als vielmehr Tortur. Viele damalige Opfer erinnern sich an Zwangsernährung und an Strafen.

Traumatisierung statt Erholung

Seit 2019 setzt sich die Aktivistin Anja Röhl intensiv für die Aufarbeitung des Schicksals der Verschickungskinder ein. Erst jetzt brechen viele Betroffene ihr Schweigen und berichten von Traumatisierungen. Tausende Opfer haben sich mittlerweile bei ihr gemeldet. Sie berichten von Schikanen – die Kinder mussten aufessen, auch wenn sie das Mittagsessen erbrachen. Es gab den Zwang zur Mittags- und Nachtruhe. Störungen wurden hart bestraft.

Kinderverschickung im Saarland

Der Weg der saarländischen Kinder führte - zumindest in den ersten Jahrzehnten - vor allem an saarländische Orte, aber auch in andere Bundesländer, zum Beispiel nach Föhr oder nach Bad Krozingen. Bis in die 70er waren pro Jahr wohl zwischen 3000 und 6000 Kinder aus dem Saarland auf Kur.

Während andere Bundesländer bereits erste Initiativen und historische Studien angeregt haben, ist die Aufarbeitung im Saarland noch ganz am Anfang.

Zeitzeugen

In einem Hörfunkfeature am 9. Juni berichtet SR 3 über das wenig bekannte Schicksal der Verschickungskinder. Dafür hatten wir noch Zeitzeugen gesucht, die diese Kuren miterlebt haben – entweder als Kind oder als Betreuer. Der Rücklauf war enorm. Viele haben sich in kürzester Zeit gemeldet.

Ein Thema in den "Bunten Funkminuten" am 24.04.2023 auf SR 3 Saarlandwelle

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