Die Glockengießerei in Saarburg (Foto: SR/Eva Lippold)

Das Geheimnis der Familie Mabilon

Die Glockengießerei in Saarburg

Eva Lippold   06.07.2020 | 06:00 Uhr

Wer wissen will, wie man eine Glocke gießt, muss eigentlich nur Schillers Lied von der Glocke lesen. Oder in die Glockengießerei nach Saarburg fahren, denn auch, wenn die Produktion dort seit 2002 ruht, lässt sich an den Original-Produktionsstätten die Kunst des Glockengusses erleben. Und zwar mit fast allen Sinnen.

Zurück zur Übersicht

Es ist ein idyllischer Ort, den Urbanus Mabilon sich vor genau 250 Jahren für seine Glockengießerei ausgeguckt hat: Direkt hinter der alten Stadtmauer, unterhalb der Saarburg, zwischen Weinbergen und direkt an der Saar, liegt die alte Gießgrube mit den zwei hohen Schornsteinen. Angeblich der Liebe wegen hat der aus Saumur an der Loire stammende Glockengießer im Jahre 1770 genau diesen Ort ausgewählt – er hatte sein Herz an die Tochter des ortsansässigen Glockengießers verloren. Ein wenig dürften aber auch praktische Gründe eine Rolle gespielt haben: Denn aus der Saar ließ sich der für den Glockenguss unabkömmliche Lehm gewinnen, und über die Saar ließen sich die manchmal tonnenschweren Glocken in alle Welt verschiffen.

"Wir könnten jederzeit noch Glocken herstellen"

Die Glockengießerei in Saarburg (Foto: SR/Eva Lippold)

Glocken werden hier heute kaum noch gegossen, aber alles ist noch so da, wie es die Familie Mabilon hinterlassen hat. „Wir könnten jederzeit noch Glocken herstellen, und manchmal, zu besonderen Anlässen und auf Wunsch, tun wir das auch“, sagt Anette Barth, die Leiterin des Museums und Kulturvereins, der seinen Sitz in den ehemaligen Verwaltungsräumen der Familie Mabilon hat. Draußen an der Fassade begrüßen uns ein paar Zeilen aus Schillers Lied von der Glocke: „Was in des Dammes tiefer Grube; die Hand mit Feuers Hülfe baut, hoch auf des Turmes Glockenstube; da wird es von uns zeugen laut.“

Der Ton ist das große Geheimnis

Und was da so laut von der Glockengießerkunst zeugt, nämlich der Ton der Glocke, ist auch das große Geheimnis der Glockengießer, erzählt Anette Barth. Oder besser die Frage, wie genau man den speziellen Ton einer jeden Glocke erzeugen kann. Denn damit jede Glocke am Ende genauso klingt, wie man es sich wünscht, braucht es viel Erfahrung, Wissen und angewandte Mathematik – zusammengefasst in einer mathematischen Formel. Und diese Formel ist ein Geheimnis, das die Familie Mabilon so streng hütete, dass sie sie mit ins Grab genommen hat. Das letzte Familienmitglied, Marlis Hausen-Mabilon, ist im vergangenen Sommer im Alter von 90 Jahren verstorben. „Es gab keine Nachkommen mehr, die das Erbe hätten fortführen wollen – und es kam für die Mabilons einfach nicht in Frage, dass dieses Geheimnis die Familie verlässt“, erklärt Anette Barth. Der Archäologin und Kunsthistorikerin tat es in der Seele weh, dass eine der letzten Glockengießereien in Deutschland verloren gehen sollte. Sie hat die Familie über Jahre begleitet und ein Konzept erarbeitet, um den Ort am Leben zu erhalten – im Sinne der Familie.

Museum und Ort der Begegnung

Ein reines Museum, das wenige Monate im Jahr geöffnet ist, war für sie aber keine Option. „Über kurz oder lang wäre das Gebäude verfallen“, erklärt Barth. Und so ist die Glockengießerei Mabilon seit zwölf Jahren nicht nur ein Museum, sondern dank des Vereins Bündnis für Familie e. V. auch ein Ort der Begegnung: Es gibt eine Kinderkunstschule und einen Hort, eine integrative Begegnungsstätte und eine Ehrenamtsbörse, hier finden Workshops, Kurse und Konzerte statt. Das bringt Synergieeffekte für alle Seiten, sagt Barth. „So schaffen wir es, das Gebäude sieben Tage in der Woche mit Leben zu füllen und seinen Erhalt auch finanziell zu stemmen.“

Im Archiv der Glockengießerei in Saarburg (Foto: SR/Eva Lippold)

Im Innenhof klingen Kinderstimmen, und hier sind nicht nur alte Glocken zu besichtigen, hier gibt’s auch ein kleines Café mit Frühstück, Mittagstisch und selbstgebackenem Kuchen. Und direkt dahinter liegt das alte Wohnhaus der Familie Mabilon – heute ist dort die Verwaltung des Kulturvereins untergebracht. „Ich habe mein Büro im Allerheiligsten der Mabilons“, erzählt Anette Barth. Da müssen wir rein! Das Allerheiligste ist das Zeichenzimmer, der Ort, an dem der Glockengießermeister die Glocke erdacht und entworfen hat. Und dabei hat er natürlich das so streng gehütete Familiengeheimnis angewendet.

Ins Zeichenzimmer führt uns eine knarzende Holztreppe, an den Wänden sind Regale mit unzähligen alten Leitz-Ordnern – das Archiv der Gießerei. Hier lassen sich Entwürfe, Aufträge und Lieferungen bis zurück ins Jahr 1850 nachverfolgen.

Das Allerheiligste

Das Allerheiligste selbst wirkt zunächst unscheinbar, ein kleines Büro mit einem schmalen Arbeitstisch über dem ein paar Zirkel hängen, daneben eine seltsame Maschine. „Wichtig war zunächst zu wissen, wie die Glocke klingen soll, wie groß und wie schwer sie werden soll und ob sie eine Inschrift bekommt“, erklärt Anette Barth. „Das waren die Grundlagen um den Glockenton richtig berechnen zu können.“

Die Berechnung hat der Glockengießermeister am Arbeitstisch angestellt, anschließend hat er an der seltsamen Maschine – einem Gestell aus Metall mit schiebbaren Sitz – den Entwurf gezeichnet und die Rippe aus Holz zugeschnitten. „Die Maschine ist auch ein Patent der Mabilons“, erklärt Barth, „Damit keine Linie verrutscht.“

Denn die Holzrippe ist das Herzstück einer jeden Glocke: Eine Schablone, die die äußere Konturlinie bildet. Und eben diese Linie entscheidet über den Klang einer Glocke, erklärt Barth. „Für jede Glocke wird sie neu entworfen, und so ist jede Glocke ein Unikat.“

Von der Lehmgrube über die Schmiede in die Gießgrube

Die Glockengießerei in Saarburg (Foto: SR/Eva Lippold)

Die nächste Station im Produktionsprozess ist die Lehmgrube. Ein kleiner Holzschuppen, hier wurde der Lehm, aus dem später die Gussform hergestellt wurde, so lange gerührt und geknetet, bis er gerade richtig fest und klebrig war. Spezielle Zutaten dabei: Kalbshaar und Pferdemist. Und nur wenn die Pferde nicht auf der Weide sondern im Stall standen, bekam der Mist die richtige Konsistenz. Deshalb hielt sich die Familie extra für die Mistproduktion ein paar Stallpferde, die ausschließlich mit Hafer gefüttert wurden.

Weiter geht’s über die alte Schmiede, in der die Klöppel aus Eisen hergestellt wurden, die die Glocke zum Klingen bringen, dann endlich in die Gießgrube. Ein weitläufiger lichter Raum mit großen alten Fenstern, zwei riesigen Öfen, gestampftem Lehmboden und einer ganz besonderen Atmosphäre.

Audio

Tour de Kultur 2020: Die Glockengießerei in Saarburg
Audio [SR 3, Eva Lippold, 05.08.2020, Länge: 03:19 Min.]
Tour de Kultur 2020: Die Glockengießerei in Saarburg

„Hier finden auch unsere Konzerte statt“, erzählt Barth. Und in diesem Ambiente möchte man denen auch wirklich gerne lauschen. Wir aber lauschen zunächst dem Klang von drei Mabilon-Glocken, die man hier selbst zum Klingen bringen darf. Und wenn man so nah neben einer klingenden Glocke steht, dann hört man nicht nur alle feinen Zwischentöne, man spürt sie auch im ganzen Körper. Der Klang der Glocken geht uns regelrecht durch Mark und Bein.

Anhand von Modellen wird anschaulich jeder Schritt der Kunst des Glockengusses erklärt. Von der Herstellung der Gussform aus Lehm, die mittels der Holzrippe in Form gebracht wird – erst Glockenkern, dann Falsche Glocke, dann Glockenmantel – bis zum Guss mit heißer Bronze in der Gießgrube.

Wir staunen, dass für jeden Guss hier zentnerweise Muttererde in die Grube hinein und wieder herausgeschaufelt werden mussten. Denn, um es mit Schillers Worten zu sagen: „Festgemauert in der Erden steht die Form aus Lehm gebrannt.“

Wer all diese Stationen besichtigt hat, der versteht, warum vom ersten Entwurf im Zeichenzimmer bis zum Weitertransport der Glocke in eine Kirche oft mehrere Monate verstreichen konnten, so viel Fleiß und Handwerkskunst stecken in jedem einzelnen Arbeitsschritt. Und da verwundert es auch nicht, dass der eigentliche Guss mit heißer Bronze, der selbst nur wenige Minuten dauert, für Glockengießer ein geradezu heiliger Augenblick ist.

Oft war die ganze Gemeinde anwesend, die die Glocke beauftragt hatte. Alle Mitarbeiter waren zugegen, und immer wurde zuerst der Heilige Josef, der Schutzpatron der Glockengießer angerufen – „denn der Segen kommt von oben. Und wenn in diesem Augenblick etwas schief ging, waren Wochen oder sogar Monate Arbeit dahin. „Ein würdiger Moment, da war die Anspannung groß. Doch bei der Familie Mabilon ist nie etwas schiefgegangen“, lacht Anette Barth. Dank des uralten Wissens und der Erfahrung, die über Jahrhunderte immer vom Vater an den Sohn weitergereicht wurden – und deren Ausmaß wir an diesem Ort immerhin erahnen können.


Auf einen Blick


Hof der Glockengießerei in Saarburg (Foto: SR/Eva Lippold)

Museum Glockengießerei Mabilon
Staden 130
54439 Saarburg
Tel.: (06581) 23 36
E-Mail: kontakt@museum-glockengiesserei-mabilon.de
Internet: www.museum-glockengiesserei-mabilon.de

Öffnungszeiten
Montag - Freitag 9.00 - 17.00 Uhr
Samstag vorläufig geschlossen
Sonntag/Feiertag 11.00 - 17.00 Uhr.

Geschlossen: 24. - 26.12.2020, 31.12.2020 - 01.01.2021.

Eintritt

Einzelkarten: Erwachsene 4 Euro
Menschen mit Handicap/Schüler/Studenten: 2 Euro
Kinder bis 6 Jahre frei
Familien (2 Erwachsene + mindestens 1 Kind): 10 Euro
Gruppen (ab 6 Personen): 3,50 Euro pro Person

Saarburger Museumskarte (Museum Glockengießerei Mabilon, AMÜSEUM und Mühlenmuseum)
Erwachsene: 7 Euro
Menschen mit Handicap/Schüler/Studenten: 4,50 Euro
Familien (2 Erwachsene + mindestens 1 Kind): 17 Euro

Anfahrt
Mit dem Auto

Von Saarbrücken / Saarlouis kommend über die A 620 und B 51 bis nach Saarburg.

Mit dem Zug
Von Saarbrücken aus mit dem Regionalexpress Richtung Koblenz bis Saarburg, anschließend 8 Minuten Fußweg vom Bahnhof über die Brückenstraße hinter der Brücke rechts auf Staden abbiegen.

Zurück zur Übersicht

Push-Nachrichten von SR.de
Benachrichtungen können jederzeit in den Browser Einstellungen deaktiviert werden.

Datenschutz Nein Ja