Konkurrenz belebt die Kreativität. (Foto: Ville de Sélestat)

Konkurrenz der Kirchenbauer

St Georges und Ste Foy in Sélestat konnten sich nie leiden

Stefan Miller   14.06.2019 | 11:26 Uhr

Sélestat, früher Schlettstadt, war eine Stadt der Bildung. Eine berühmte Lateinschule versorgte das Elsass mit hervorragenden Gelehrten. Allen voran der Humanist Beatus Rhenanus – der Glückliche aus Rheinau könnte man seinen Namen frei übersetzen.



Sélestat, früher Schlettstadt, war eine Stadt der Bildung. Eine berühmte Lateinschule versorgte das Elsass mit hervorragenden Gelehrten. Allen voran der Humanist Beatus Rhenanus – der Glückliche aus Rheinau könnte man seinen Namen frei übersetzen.

Tour de Kultur 2019: Konkurrenz der Kirchenbauer
Audio [SR 3, Stefan Miller, 03.07.2019, Länge: 03:12 Min.]
Tour de Kultur 2019: Konkurrenz der Kirchenbauer

Er war Historiker und Redakteur, ein gelehrter Pionier der Medienrevolution des neuen Buchdrucks. Er vermachte seine wertvolle Bibliothek der Stadt. Sie ist heute Weltkulturerbe (vorgestellt in der Tour de Kultur 1995).

Gotische und romanische Kirche

Aber Sélestat hat nicht nur kostbare Bücher aus der Zeit des beginnenden Buchdrucks. Sélestat hat auch eine sehenswerte Altstadt mit zwei bemerkenswerten Kirchen. Die größere davon ist St Georges, eine der bedeutendsten gotischen Kirchen im unteren Elsass. Dass sie so bedeutend ist, hat sie der romanischen Kirche Ste Foy ganz in der Nähe zu verdanken. Und das kam so.

Konkurrenz belebt die Kreativität. (Foto: Stefan Miller)
Gotisches Kirchenschiff.

1216 erhielt das damalige Schlettstadt Stadtrechte und eine Stadtmauer. Ein Jahr später machte der Stauferkaiser Friedrich II einen Vertrag mit den Benediktinermönchen des Ortes, in dem sie ihre Vorherrschaft über die Stadt teilweise aufgaben.

Verdienste erst spät anerkannt

Damit kamen die Bürger in den Zünften zu mehr Einfluss und beschlossen, eine eigene Kirche zu bauen. Als Ort dafür wählte man eine Stelle, an der schon in karolingischer Zeit eine runde Kirche gestanden hatte. Hier hatte Karl der Große im Jahr 775 Weihnachten gefeiert.

Konkurrenz belebt die Kreativität.  (Foto: Ville de Sélestat, Stefan Miller )
Beide Eingänge zum Vergleich.

An diesem Platz sollte St Georges entstehen, weniger als einhundert Meter von der romanischen Benediktinerkirche Ste Foy entfernt. Die Planungen begannen um 1220. St Georges sollte höher und schöner werden als Ste Foy, Ausdruck des Selbstbewusstseins des erstarkten Bürgertums.

Alles musste größer und schöner werden

Während Ste Foy in 40 Jahren gebaut worden war, finanziert von Hildegard von Büren, der Ahnherrin der Stauferkaiser, sollte der Bau von St Georges 270 Jahre dauern.

Konkurrenz belebt die Kreativität. (Foto: Stefan Miller)
Alle Pracht auf die Südseite, weil man Saint Georges von Ste Foy aus sehen kann.

Immer wieder mussten die Bürger Gelder sammeln, um ihre ehrgeizigen Pläne zu verwirklichen, Kriege und Krankheiten behinderten die Bauarbeiten. Trotz aller Schwierigkeiten, das Repräsentationsgebäude der Bürger sollte ja eindrucksvoller werden als seine Konkurrenz.

Den anderen zeigen, was eine Rosette ist

Konkurrenz belebt die Kreativität. (Foto: Ville de Sélestat)
Warum wohl die Südseite mit einer Rosette geschmückt ist?

War der Turm von Ste Foy 40 Meter hoch, so wurde der von St Georges 60 Meter. Die Kirche wurde zwar im romanischen Stil begonnen, aber im Laufe der langen Bauzeit als gotische Kirche vollendet, mit großen, lichten Bleiglasfenstern und kühnem Gewölbe.

Ganz ungewöhnlich für ein Bauwerk dieser Art: Nicht der Haupteingang Richtung Westen ist am schönsten geschmückt, sondern die Südseite. Warum? Weil diese Seite von Ste Foy aus zu sehen ist. So entstand dort nicht nur ein reichverziertes Portal sondern auch eine wunderschöne gotische Fensterrosette.

Heiligengeschichten auf den Fenstern

Konkurrenz belebt die Kreativität. (Foto: Ville de Sélestat)
Bleiglasfenster in Sainte Foy.

Der Haupteingang Richtung Westen wirkt dagegen vergleichsweise unscheinbar. Der größte Schatz von St Georges sind aber die Fenster des Chores, die teilweise noch aus dem 15. Jahrhundert stammen.

Sie erzählen die Geschichten von Heiligen, neben denen des Heiligen Georg auch die von Ste Odile, der Heiligen des nahegelegenen Odilienberges, der Heiligen Katharina oder der Heiligen Helena.

Kanzel aus dem 17. Jahrhundert

Konkurrenz belebt die Kreativität. (Foto: Stefan Miller)
Das romanische Mittelschiff von Sainte Foy.

Leider ist die Kirche im Laufe der Jahrhunderte mehrfach Kriegen und Zerstörung ausgesetzt gewesen, so dass auch die Fenster zum Teil restauriert werden mussten.

Neben den Fenstern ist aber auch die Kanzel vom Anfang des 17. Jahrhunderts, die auf einem zusammengekauerten, muskelbepackten Samson ruht, sehenswert, und sogar einige Wandmalereien aus gotischer Zeit sind noch schemenhaft erkennbar.

Älteste Erwähnung eines Christbaums

Auf einem Balkon des Kirchturms hielten früher die Brandwächter Ausschau nach Bränden. Zudem mussten sie alle Viertelstunde die Glocke schlagen. Als das mal einer vergaß, wurde ihm freigestellt einen Tag ins Gefängnis zu gehen oder eine Geldstrafe zu bezahlen.

Ein dekorierter Weihnachtsbaum (Foto: Pixabay/lavaligiainviaggio)

Jedes Jahr findet in St Georges während der Weihnachtszeit eine Ausstellung zur Geschichte des Christbaumes statt. Der Grund: In Sélestat fand sich eines der ältesten Dokumente, das den Brauch des Christbaums erwähnt. In einem Rechnungsbuch des Jahres 1521 ist nämlich festgehalten, dass dem Förster in der Vorweihnachtszeit vier Schillinge zusätzlich zu zahlen waren, damit er die Bäume des Waldes bewacht.

Menschliche Skulpturen tragen die Säulen

Selbst wenn St Georges die romanische Kirche Ste Foy heute in den Schatten stellt, sollte man auch diese ältere Kirche gesehen haben. Besonders bemerkenswert sind hier die figurengeschmückten Kapitelle der Säulen.

Konkurrenz belebt die Kreativität. (Foto: Stefan Miller)
Figurengeschmückte Säulen sind eine Besonderheit von Ste Foy.

Fast Einzigartiges hat die Krypta zu bieten. Hier hat man nämlich bei der Untersuchung alter Gräber eine Grabstätte gefunden, die durch ihre Lage besonders herausgehoben war und vermutlich den Leichnam von Adelheid, der Tochter der Kirchenstifterin Hildegard von Büren, enthielt.

Wie Adelheid wirklich ausgesehen hat

Sie muss durch eine Krankheit zu Tode gekommen sein, denn ihr Leichnam war dick mit Löschkalk überzogen, wie man das auch mit Pesttoten manchmal machte. Die Kalkschicht war so dick, dass man einen Gipsabguss vom Gesicht der Toten herstellen konnte. Einer der ganz seltenen Gipsabdrücke eines mittelalterlichen Gesichts.

Konkurrenz belebt die Kreativität. (Foto: Ville de Sélestat)
Einer der ganz seltenen Gipsabdrücke eines mittelalterlichen Gesichts.

Man kann noch lange durch Sélestat bummeln und tief in die Geschichte eintauchen, die hier malerische Spuren hinterlassen hat. Vorbei am sehenswerten mittelalterlichen Zeughaus, an dem Neuturm, an den Festungsmauern des berühmten Architekten Vauban oder am Sitz der Metzgergilde. Ja, Sélestat ist einfach eine Reise wert.


Auf einen Blick


Kontakt
Office de Tourisme

10, boulevard du Maréchal Leclerc
F-67600 Sélestat
Tel.: (0033 3) 88 58 00 38
www.selestat-haut-koenigsbourg.com
St Georges
Place Saint-Georges
F-67600 Sélestat
Ste Foy
Rue Sainte-Foy
F-67600 Sélestat

Öffnungszeiten
St Georges
1. April - 31. Okt. 2019: Mo. - So. 8.00 - 19.00 Uhr,
1. Nov. - 30. Nov. 2019: Mo. - So. 8.00 - 12.00 Uhr und 13.30 - 18.00 Uhr,
1. Dez. 2019 - 6. Jan. 2020: Mo. - So. 9.00 - 19.00 Uhr.
Ste Foy
1. April - 31. Okt. 2019: Mo. - So. 8.00 - 19.00 Uhr,
1. Nov. - 30. Nov. 2019: Mo. - So. 8.00 - 12.00 Uhr und 14.00 - 18.00 Uhr,
1. Dez. 2019 - 6. Jan. 2020: Mo. - So. 9.00-19.00 Uhr.

Eintritt
Der Eintritt in beide Kirchen ist frei.

Anfahrt
Von Saarbrücken über Großbliederstroff auf die N 61 und A 4 bis Abfahrt Saverne. Dann Richtung Molsheim über D 500 von dort über die A 35 bis Sélestat. Insgesamt 144 Kilometer circa zwei Stunden.

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