Monika Ringler und Thomas Pracht im Dunkelcafé (Foto: Steffani Balle)

Donauwelle auf halb neun

Das Dunkelcafé in Brebach

Isabel Sonnabend   26.07.2018 | 12:50 Uhr

Für die meisten ist Sehen selbstverständlich. Wie schwierig es werden kann, wenn um einen herum dunkle Nacht herrscht, wollen vier Männer und Frauen praktisch zeigen: Sie haben in Brebach ein "Dunkelcafé" eröffnet.



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Tour de Kultur: Das Dunkelcafé in Brebach
Audio [SR 3, Isabel Sonnabend, 26.07.2018, Länge: 03:26 Min.]
Tour de Kultur: Das Dunkelcafé in Brebach

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Raum, an einem Tisch. Um Sie herum: Dunkelheit. Sie wissen nur, der Tisch ist gedeckt, irgendwo vor Ihnen stehen Donauwelle und Käsekuchen, daneben liegen Muffins. Sie fühlen vor sich, ertasten den Teller, langsam, vorsichtig, Gabel links, Löffel rechts und ... „Oh, jetzt hab ich die Hand mitten im Kuchen!“ ... dann passiert Ihnen vielleicht so etwas wie mir, der Reporterin, die es gerade für Sie ausprobiert hat.

Das Dunkelcafé ist ein abgedunkelter Raum im Evangelischen Gemeindezentrum Brebach. Mit am Tisch sitzen Thomas Pracht, Monika und Daniela Ringler und Günther Sollfrank. Thomas Pracht ist von Geburt an blind, die anderen drei leben mit starker Sehbehinderung.

Ein Herzensprojekt

Tour de Kultur 2018: Donauwelle auf halb neun - Das Dunkelcafé in Brebach (Foto: Isabel Sonnabend/SR)
Das Dunkelcafé öffnet im Evangelischen Gemeindezentrum Brebach

Sie essen in aller Ruhe und Gewohnheit, während ich noch unbeholfen mit Löffel und Gabel in der Schwärze herumstochere. „Das ist mir jetzt unangenehm, Thomas, dass ich da so rumpantsche ...“ – „Macht nichts, das ist ja genau das, was wir zeigen wollen!“ – „Wir wollen vermitteln, wie schwer es sein kann, wenn man als Blinder isst. Dass man nicht isst ‚wie die Sau’, sondern dass das einfach eine Herausforderung ist.“

Das Dunkelcafé ist ein Herzensprojekt der vier. Sie haben es im Oktober 2016 gestartet, in enger Zusammenarbeit mit dem Diakonischen Werk an der Saar, finanziert vom Bildungsministerium und aus Spenden. Einmal im Monat an zwei Tagen öffnen sie das Café. An Montagen ist es reserviert für pädagogische Zwecke wie Schulklassen, sonntags frei für Privatpersonen.

Kuchen im Uhrzeigersinn ordnen

Mit Voranmeldung können Gäste etwas bestellen, ohne Bestellung gibt es klassisch Kaffee und Kuchen. Alles andere, sagen sie, würde die Gäste schnell überfordern. „Dann nehm’ ich mal ein Stückchen Donauwelle in den Mund ... hoppala, das war der Käsekuchen. Wie macht ihr das denn mit der Orientierung auf dem Teller?“

„Es gibt einen einfachen Trick: Sie ordnen die Stücke im Uhrzeigersinn an und merken sich die „Uhrzeiten“. Dann liegt zum Beispiel die Donauwelle auf halb neun Uhr und der Käsekuchen auf zwölf Uhr.“ – „Und wie finde ich die Milch für den Kaffee?“ – „Da müssen Sie sich langsam vortasten – oder wir schütten ein.“

Wollen Blinde eigentlich Hilfe?

Daniela und Günther bedienen die Kaffeerunde, Thomas und Monika betreuen ihre Gäste. Sie helfen und, ganz wichtig, tauschen sich beim Essen über ihre Lebenswelten aus. „Wenn ihr im Restaurant sitzt und neben euren Teller suddelt, wollt ihr eigentlich Hilfe? Da ist man als Sehender manchmal etwas beschämt und überfordert.“ – „In der Regel schon. Ich zum Beispiel“, sagt Monika, „würde es erst mal selbst versuchen zu regeln, und dann aber gerne Hilfe annehmen.“ – „Vor allem, wenn es um schwieriges Essen wie zum Beispiel ein großes Schnitzel geht, das halb vom Teller fällt. Oder einen Knochen, der von einem Stück Fleisch getrennt werden muss.“

Sie sprechen über Berufe, Fortbewegung im Straßenverkehr, den täglichen Einkauf oder ähnliche Themen. „Ich hatte auch schon mal eine Schulklasse hier, die habe ich gefragt ‚Was glaubt ihr, was Blinde für Berufe haben?’ Dann fällt denen erst mal nichts ein. Das ist so weit weg von ihrer eigenen Welt.“

Hinterher sehen viele die Dinge anders

Und genau das möchten die vier durch ihr Dunkelcafé erreichen: ihre Herausforderungen, Sorgen und Nöte näherbringen. Nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern durch Gespräche und vor allem das eigene Erleben. Bis jetzt kommt ihr Projekt gut an: „Man merkt doch, dass es die Leute mit anderen ... Augen sehen, sag ich mal, wenn sie hier rausgehen. Auch die, die hier erst mal wortkarg waren oder nichts damit anfangen konnten, aber wenn sie dann rausgehen, bleibt oft was hängen.“

Das Ergebnis für mich an diesem Kaffeetisch: Über eine halbe Stunde Zeit und Mühe für eine Donauwelle und einen Käsekuchen. Und ein ganz anderes Verständnis für ein Leben, in dem es nicht nur für eine Stunde lang dunkel ist. „Ein Blinder hat das geübt und gelernt – und wir wünschen uns, dass andere Menschen das anerkennen. Und wenn dann mal eine Hand in der Donauwelle landet“, sagt Monika, „dann ist das sicherlich auch ein Erlebnis, das hängenbleibt.“

Kontakt

Evangelisches Gemeindezentrum Brebach
Jakobstraße 12 - 16
66130 Saarbrücken
Ansprechpartner: Thomas Pracht
Mobil: (0175) 38 96 888
E-Mail: Pracht-Thomas@t-online.de

Öffnungszeiten

Außerhalb der Sommerferien je einen So. und Mo. im Monat; während der Sommerferien 2018 gibt es Termine für alle am 24./25. Juni, 29./30. Juli, 26./27. August jeweils um 15.00 Uhr; Spezialtermin: 19. Aug. 2018, Gemeindefest der evangelischen Gemeinde Brebach.
Alle Termine nur mit vorheriger Anmeldung bei Thomas Pracht (gilt nicht für den Termin während des Gemeindefests).
Es gibt außerdem über das Jahr verteilt Lesungen, Konzerte und einen Weihnachtsmarkt. Aktuelle Informationen bei Thomas Pracht.

Eintritt

Preise:
3,- € für Erwachsene
1,- € pro Kind

Anfahrt

Bahn/Bus: Vom Bahnhof Schafbrücke aus gibt es mit dem Bus zwei Möglichkeiten: Die Busstation Neuscheidt, Schafbrücke liegt wenige Minuten entfernt südwestlich des Bahnhofs an der Kaiserstraße. Von dort aus fährt die Linie 137 (Richtung Brebach Bahnhof) in die Jakobstraße. Wer schlecht zu Fuß ist, kann mit der Linie 138 direkt vom Bahnhof aus eine Station nach Neuscheidt Schafbrücke fahren (Richtung Römerkastell) und von dort aus in die Linie 137 Richtung Brebach umsteigen. Vom Bahnhof Brebach aus fahren die Buslinien 120 oder 130 bis Erzbergerstraße. Von dort aus liegt das Gemeindezentrum etwa fünf Minuten entfernt.



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