2 Gunter Altenkirch zeigt in seinem Museum dörfliche Alltagskultur (Foto: Julia Lehmann)

Püppchen aus gekautem Brot

Gunter Altenkirch zeigt in seinem Museum dörfliche Alltagskultur

 

Wie haben die Menschen früher gelebt, wie sah ihr Alltag aus, welche Arbeitsgeräte haben sie genutzt? Diese Fragen haben Gunter Altenkirch schon immer interessiert und so fing er alles an zu sammeln, was früher zur dörflichen Alltagskultur gehörte. In seinem Museum kann man Dinge bestaunen, die früher selbstverständlich waren und heute niemand mehr kennt.

„Raten Sie mal, woraus der gemacht ist“, fragt Gunter Altenkirch mit einem Lächeln im Gesicht. In seiner Hand hält er einen kleinen, braunen Spielzeugwürfel. Kunststoff, Kork, Knochen? Alles falsch! „Gekautes Brot“, klärt der Heimatforscher auf: „Daraus hat man früher auch kleine Püppchen gemacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir es sogar als Fensterkitt benutzt.“ Gunter Altenkirch legt den Würfel vorsichtig zurück in die Glasvitrine neben Spielzeugautos, Puppenstubenmöbel und bunt bemalte Tierfigürchen.

1 Gunter Altenkirch zeigt in seinem Museum dörfliche Alltagskultur (Foto: Julia Lehmann)

Scheune, Kuhstall und Gefängnis

Spielzeug aus vergangenen Zeiten – auch das gehört zu Gunter Altenkirchs Sammelleidenschaft. Mit dem ersten Schritt in sein Museum für dörfliche Alltagskultur lässt man das Heute hinter sich und taucht ein ins Gestern. Das liegt nicht nur an den rund 30.000 Exponaten, sondern auch an dem Museum selbst: Seit drei Jahrzehnten wohnt Gunter Altenkirch in der Dorfmitte von Rubenheim in einem großen ehemaligen Bauernhaus, das Mitte des 18. Jahrhunderts gebaut worden ist. Das Museum befindet sich direkt daneben: Wo heute Besucher Ausstellungen besichtigen, waren früher Kuhstall und Scheune untergebracht. „Während des Zweiten Weltkriegs war es auch mal ein Gefängnis“, erklärt Gunter Altenkirch. Heute kommt man über hölzerne Treppenstufen auf zwei Etagen, wo sich zahlreiche Regale, Schränke und Vitrinen befinden, jedes Ausstellungsstück liebevoll in Szene gesetzt.

Nicht nur in den Umbau der Scheune hat Gunter Altenkirch viel Herzblut gesteckt. Schon früh hat er angefangen, sich für das Leben in vergangenen Zeiten zu interessieren. Wie haben die Menschen gelebt, wie sah ihr Alltag aus, welche Arbeitsgeräte haben sie genutzt? „Ich habe als Kind schon mit älteren Leuten gesprochen und alles aufgeschrieben, was sie erzählt haben“, erinnert sich Altenkirch. Und das tut er bis heute: Auf Tausenden Karteikarten hat er Erinnerungen, Geschichten und Gewohnheiten dokumentiert – und er hat Alltagsgegenstände gesammelt. Zunächst vom Sperrmüll, von Schuttplätzen oder bei Haushaltsauflösungen, inzwischen bringen ihm viele Leute selbst Dinge vorbei. Darunter auch viele, deren Sinn sich erst auf den zweiten Blick erschließt. Wie bei den sogenannten Schluckbildchen: kleine, an Briefmarken erinnernde Bilder mit gezacktem Rand, die Gunter Altenkirch in seinem Museum zeigt. Auf einem sind eine Flöte und eine Mandoline abgebildet, direkt darunter liest man „Lobt ihn mit Flöten und Saitenspiel“. Was es damit auf sich hat? „Im 19. Jahrhundert hat die Kirche Schluckbildchen mit frommen Sprüchen verkauft“, klärt Gunter Altenkirch auf, „die haben die Leute gegen Masern, Schnupfen oder gegen Schweißfüße geschluckt und geglaubt, so würden sie wieder gesund werden.“ Eine weitere Kuriosität aus seiner Ausstellung über Volksheilkunde ist eine Flasche Wasser mit einem beschrifteten Etikett: Radioaktives Heilquellenwasser. In den 1950er Jahren haben die Leute dieses Wasser gekauft, weil sie glaubten, es sei ein Wundermittel gegen Krankheiten. „Ich habe mal prüfen lassen, wie radioaktiv das Wasser wirklich ist“, so Altenkirch: „Aber es ist überhaupt nicht radioaktiv!“

3 Gunter Altenkirch zeigt in seinem Museum dörfliche Alltagskultur (Foto: Julia Lehmann)

Sammeln und Bewahren

Diese Aha-Momente hat man im Museum für dörfliche Alltagskultur immer wieder: Ganz bewusst lässt Gunter Altenkirch deshalb seine Besucher erst mal über den Zweck einzelner Ausstellungsgegenstände rätseln, um die Verblüffung nach Auflösung umso größer zu machen. Gerne erzählt er die passenden Geschichten zu den Exponaten, aus jedem seiner Worte sprüht die Leidenschaft für das Sammeln, Bewahren und Weitergeben. So ist ein Museums-Besuch nicht nur lehrreiche Geschichtsstunde, sondern auch Unterhaltung pur. Zum Beispiel in der Ausstellung zur saarländischen Toiletten-Geschichte in der ersten Etage. Dort gibt es alte Toiletten und Zubehör zu sehen – denn das gehört genau zum Alltag wie Spielzeug oder Küchenutensilien. „In der Bauernkultur hieß es noch: Wo die Kuh kann, kann ich auch. Man ist also in den Stall gegangen und hat dort sein Geschäft verrichtet“, verrät Gunter Altenkirch. Mit der Arbeiterkultur änderte sich das: Klohäuschen entstanden, Zeitungen dienten als Toilettenpapier. „Die Kinder haben die in Stücke geschnitten und mit Klopapierhaltern aus Schweißdraht an die Holzwand gehängt“, so der Volkskundler. Von diesen Klopapierhaltern gab es Zehntausende im Saarland – in Museen sieht man sie kaum noch. Gunter Altenkirch hat ein Exemplar ausgestellt, genau so wie das Modell eines Klohäuschens, eine bürgerliche Toilette mit Klobrille aus feinem Ziegenleder, Nachttöpfe und sogar ein eineinhalb Meter langer Liebesbrief, den eine junge Frau auf das früher noch harte Toilettenpapier geschrieben hat.

Vergangenes Jahr hat Gunter Altenkirch sein Museum um ein Museum des saarländischen Aberglaubens in der unteren Etage erweitert. Unter anderem zeigt er in einer großen Glasvitrine Amulette und Schmuck mit magischen Symbolen. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht, viel zu wichtig findet es Gunter Altenkirch, das Wissen über frühere Zeiten zu bewahren: „Die Vergangenheit ist so spannend. Wenn sich die Museumsbesucher auch dafür begeistern und Dinge erfahren, die sie noch nicht wussten – dann bin zufrieden!“

Julia Lehmann


Kontakt:

Museum für dörfliche Alltagskultur
Erfweilerstraße 3
66453 Rubenheim
Tel.: (06843) 91 081
www.museum-alltagskultur.de

Öffnungszeiten:

Das Museum ist an jedem dritten Sonntag im Monat von 14.00 – 18.00 Uhr geöffnet; Termine sind auch nach Vereinbarungen möglich.

Eintritt:

Erwachsene: 1,50 Euro. Der Eintritt für Kinder bis 14 Jahre ist frei.

Anfahrt:

Von Saarbrücken kommend: A 6/A 620 Abfahrt Fechingen – nach Ensheim (Richtung Flughafen) – Ommersheim – im Ort abbiegen Richtung Ormesheim, nach einem Kilometer Richtung Blieskastel, nach 300 Metern Richtung Erfweiler-Ehlingen – Rubenheim.



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