Eine Intensivpflegerin versorgt auf der Intensivstation einen nicht-infektiösen Patienten.  (Foto: picture alliance/dpa | Sven Hoppe)

Gibt es weniger Intensivbetten als vor einem Jahr?

Thomas Braun   30.04.2021 | 12:50 Uhr

In der Krankenhausstatistik werden im Moment deutlich weniger freie Intensivbetten ausgewiesen als noch zu Beginn der Pandemie. Abgebaut wurden diese Betten nicht. Aufgrund verschiedener Effekte waren anfangs aber mehr Betten gemeldet, als dauerhaft betrieben werden können.

Als im Frühjahr vergangenen Jahres das Coronavirus Deutschland erreichte, war die Sorge in den Krankenhäusern groß. Zu dramatisch waren die Berichte und Bilder aus Italien mit überfüllten Intensivstationen und überlastetem Klinikpersonal. In Windeseile wurden in Deutschland geplante Operationen verschoben, Intensivbetten freigeschaufelt und zusätzliche Kapazitäten geschaffen. Vielerorts bereiteten die Behörden Turnhallen als Notzentren vor - man befürchtete einen "Tsunami" an Patienten.

Diesen Ausbau der Kapazitäten unterstützte der Bund massiv mit Fördergeld. Durch das Ende März in Kraft getretene Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz wurde jedes neu aufgestellte Bett mit Beatmungsmöglichkeit unbürokratisch mit 50.000 Euro gefördert, zudem erhielten die Kliniken eine Art "Freihalte-Pauschale". Für jedes im Vergleich zum Vorjahr nun leerstehende Bett versprach der Bund eine Förderung von 560 Euro täglich pro Patient.

Neue Betten - zu wenig Personal

Die massiven Anstrengungen und auch die finanzielle Förderung haben ihre Wirkung erzielt: Nach Angaben des saarländischen Gesundheitsministeriums wurden im Zuge der Pandemie im Saarland 339 Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeit neu geschaffen.

Zumindest auf dem Papier waren diese Betten da - aus Sicht der Gewerkschaft Verdi wurden wegen der finanziellen Anreize aber auch Betten gemeldet, die realistisch gar nicht nutzbar waren: "Wir haben Betten gebaut, aber nicht das dafür nötige Personal aufgestockt", sagt der Verdi-Pflegebeauftragte Michael Quetting. Das sei in der kurzen Zeit auch gar nicht möglich gewesen. "Man kann auch nicht einfach Personal von Normalstationen auf der Intensivstation einsetzen." Insbesondere etwa komplizierte Dinge, wie die Beatmung von Patienten, seien eine Wissenschaft für sich.

SKG: "Wir haben uns sozusagen ehrlich gemacht"

Mit den zusätzlich gebauten Betten verfügte das Saarland auf dem Papier zeitweilig über 700 Intensiv-Beatmungsplätze - in der Praxis wäre ein dauerhafter Betrieb dieser Betten aber nur schwer umsetzbar gewesen. Deshalb wurde nachgesteuert. Inzwischen tauchen in den Statistiken deutlich weniger Betten als direkt verfügbar auf. "Wir haben uns sozusagen ehrlich gemacht", sagt der Geschäftsführer der Saarländischen Krankenhausgesellschaft (SKG), Dr. Thomas Jakobs. "Man hat geschaut: Welches Intensivbett kann ich mit dem verfügbaren Personal wirklich mit gutem Gewissen und unter Beachtung der Standards betreiben?"

Unterscheidung zwischen "verfügbar" und "Reserve"

Die statistische Erfassung der Betten wurde angepasst. So wurden zum Beispiel auch Kinderintensivbetten aus der Gesamtstatistik herausgerechnet. Außerdem gilt mittlerweile im Saarland ein Bett nur noch dann als verfügbar, wenn es innerhalb von 60 Minuten in Betrieb gehen kann. Weitere Betten, die 72 Stunden Vorlaufzeit benötigen, werden als Reservebett geführt.

Nach Angaben des saarländischen Gesundheitsministeriums hat das Saarland nach dieser Rechnung seit Ende November im Schnitt rund 450 direkt einsatzfähige Betten und weitere rund 200 Reservebetten. Die tatsächliche Zahl schwankt. Sie ist zum Beispiel abhängig vom Krankenstand beim Personal.

Hoher Behandlungsdruck durch Nicht-Covid-Patienten

Die rund 450 direkt einsatzfähigen Betten waren zuletzt gut ausgelastet - in erster Linie allerdings mit Nicht-Covid-Patienten. Gerade in der ersten Welle hatten die Krankenhäuser viele Operationen aufgeschoben – diesen Rückstau arbeiten sie nun ab.

Freihaltepauschale führte zu Fehlanreizen

Hinzu kommt, dass es sich die Kliniken nicht mehr ohne weiteres finanziell leisten könnten, Betten leer stehen zu lassen. Kliniken verdienen ihr Geld mit der Behandlung von Patienten - zu viele leere Betten können zu hohen Verlusten und letztlich sogar zu einer existenzbedrohenden Schieflage führen.

"Ich kann als Krankenhaus nur dann existieren, wenn ich genug Fälle mache", sagt dazu Gewerkschaftsvertreter Quetting. Die Zahl der Behandlungen einfach herunterzufahren, sei aus ökonomischen Gründen nicht möglich - sonst könne man sein Personal nicht mehr bezahlen. "Deshalb ist die Gefahr so hoch, dass wir die Sache nicht mehr im Griff haben - weil wir die Krankenhäuser lange voll haben müssen, da wir sie ansonsten gegen die Wand fahren."

Um Betten freizuhalten und dennoch die Existenz der Krankenhäuser zu sichern, gab es deshalb anfangs die Ausgleichszahlung von 560 Euro pro Tag und freiem Bett. Das hat aber offenbar auch zu Fehlanreizen geführt. Nach einem Bericht des ARD-Wirtschaftsmagazins Plusminus ist der Expertenbeirat des Bundesgesundheitsministeriums zu dem Schluss gekommen, dass es etwa für psychiatrische und psychosomatische Kliniken lukrativer war, Betten freizuhalten als Patienten zu behandeln.

Politik steuert bei Ausgleichszahlung mehrfach nach

"Im System gab es einen Webfehler, der politisch zu verantworten ist", erklärt hierzu SKG-Geschäftsführer Jakobs. "Der Fehlanreiz bestand darin, dass es eine einheitliche Pauschale gab - unabhängig vom Versorgungsauftrag der Kliniken."

Dieser "Webfehler" wurde nach und nach korrigiert. Das bedeutet aber auch, dass die Kliniken jetzt nicht mehr ohne weiteres die Ausgleichszahlung für leerstehende Betten erhalten. Zunächst passte das Bundesgesundheitsministerium im Juli die Höhe der Zahlungen an. Die Sonnenberg-Klinik oder die geriatrische Klinik in Mettlach zum Beispiel erhielten ab dann nur noch 360 Euro, die SHG in Völklingen und die Uniklinik hingegen 760 Euro.

Freihaltepauschale zeitweise nur noch bei knappen Intensivkapazitäten

Die deutlichste Änderung gab es mit dem dritten Bevölkerungsschutzgesetz Ende November. Seitdem ist die Freihaltepauschale noch einmal etwas niedriger und soll vorrangig an die Häuser gehen, die laut Bundesregierung "in besonderem Maße für intensivmedizinische Behandlung geeignet" sind.

Außerdem wurde die Förderung an die Inzidenzwerte und freien Intensivkapazitäten in den Landkreisen gekoppelt. Nur wenn weniger als 25 Prozent der Intensivbetten frei sind, kann die jeweils zuständige Landesbehörde Krankenhäuser bestimmen, die von dieser Freihaltepauschale profitieren und entsprechend Betten vorhalten. Entscheidend sind dabei laut Gesetz die Daten des DIVI-Intensivregister - und nicht die Zahlen, die das Land selbst erhebt und die von den DIVI-Zahlen abweichen können.

Zwei Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes sank die Zahl der im Intensivregister gemeldeten freien Betten im Saarland von 146 auf 107. Die Quote fiel dadurch saarlandweit unter den Grenzwert: von knapp 29 Prozent auf 23,5 Prozent.

"Alle haben ihre Zahlen noch einmal haarscharf überprüft, ob sie nicht doch aus Versehen das eine oder andere Bett bisher mitgeschleppt haben, das eigentlich gar nicht hätte mitgezählt werden dürfen", erklärt SKG-Geschäftsführer Jakobs diesen Sprung. "Deshalb wurde um diesen Zeitraum herum die Statistik noch einmal korrigiert."

Nicht mehr Intensivkapazität, sondern hohe Inzidenz entscheidend

Seither haben die verfügbaren Intensivkapazitäten die Förderschwelle - zumindest im Landesdurchschnitt - nicht mehr überschritten. Nach Angaben der Krankenhausgesellschaft seien seither aber immer wieder auch Krankenhäuser aus der Förderung herausgefallen, weil zumindest auf Kreisebene die Voraussetzungen nicht erfüllt waren.

Das Bundesgesundheitsministerium passte die Vorgaben zwischenzeitlich an. Aktuell gilt, dass in Kreisen mit einer Inzidenz über 150 die zuständige Landesbehörde nun auch unabhängig von den verfügbaren Intensivkapazitäten Krankenhäuser bestimmen kann, die wieder von der Ausgleichszahlung profitieren.

OP-Betrieb in Saarbrücken bereits leicht runtergefahren

Im Saarland bewegen sich derzeit mehrere Kreise rund um diesen Inzidenzwert. Das Klinikum Saarbrücken beispielsweise hat den OP-Betrieb an manchen Tagen schon wieder um 20 Prozent heruntergefahren. Das geht auch zu Lasten der Patienten, die möglicherweise schon länger auf ihre Operation warten.

Hinzu kommt, dass das Personal nach einem Jahr Pandemie zunehmend ausgelaugt ist - eine Reihe von Intensivkräften sei seit Beginn der Pandemie auch aus dem Beruf ausgestiegen, sagt der Verdi-Pflegebeauftrage Quetting. "Wir haben heute nicht gleich viel Personal, sondern sogar weniger Personal."

Quetting bewertet die aktuelle Situation nach wie vor als angespannt - auch noch wegen einem anderem Grund. Zwar wisse man nicht genau, wie viele der Menschen, die sich jetzt mit Corona infizieren, später auch intensivpflichtig werden. "Wir wissen nur: Wenn sie intensivpflichtig werden, werden sie bedeutend länger liegen." Man könne daher auch nicht beruhigt sein, wenn noch eine gewisse Zahl an Betten frei ist, weil man die vorherigen Patienten nicht verlegen könne.

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