Großbritannien und Griechenland streiten um „Elgin Marbles“
Die Rückgabe von Raubkunst ist ein komplexes und außerordentlich emotionales Thema. Aber die Debatte ist grundsätzlicher Art. Wichtige Teile der Akropolis von Athen befinden sich im British Museum in London. Seit Jahrzehnten verhandeln Griechenland und Großbritannien um eine mögliche Rückgabe. Nachdem vor wenigen Wochen Bewegung in die Sache gekommen war, scheint die Situation nun verfahrener denn je.
Die Geschichte beginnt im Jahr 1799 Thomas Bruce, 7. Earl of Elgin und großer Verehrer der antiken Kunst, wird britischer Botschafter in Konstantinopel. Das heutige Griechenland war damals Teil des Osmanischen Reichs. Schon bald nach seiner Ankunft erhält Elgin vom damaligen Konsul Sultan Selim III. Zugang zur Athener Akropolis und die Erlaubnis, „einige Steine mit Inschriften und Figuren zu entfernen“ – für Elgin ein Freibrief.
Griechenland fordert Platten zurück
Im großen Stil lässt er am Parthenon, dem Haupttempel auf der Athener Akropolis, Skulpturen und allein 75 Meter Fries herausbrechen. Die zweieinhalbtausend Jahre alten Reliefs zeigen Szenen aus der griechischen Mythologie. Nach und nach bringt Elgin die Kunstschätze nach Großbritannien und verkauft sie ans British Museum, wo sie bis heute jedes Jahr von Millionen Besucherinnen und Besuchern bestaunt werden, auch bekannt unter dem Namen „Elgin Marbles“.
„Wir fordern das British Museum auf, die Teile des Parthenon an Griechenland zurückzugeben, zurück zu dem Denkmal, wo sie hingehören. Dies ist ein Kampf, der über zwei Jahrhunderte andauert“, sagt Despina Koutsoumba, Vorsitzende der Vereinigung der Archäologen in Griechenland. Manche Historiker sprechen deshalb in Bezug auf den Parthenon-Streit von der Mutter aller Restitutionsdebatten.
Geheime Verhandlungen
Anfang der 1980er-Jahre nimmt diese Debatte richtig Fahrt auf: Griechenland fordert die „Elgin Marbles“ als Raubkunst zurück. Doch die britische Seite weigert sich standhaft, von ihrer Position abzurücken – bis vor wenigen Wochen.
„Letzte Woche haben wir aus amerikanischen und britischen Medien erfahren, dass George Osborne, der Vorsitzende des British Museum, privat und unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit einigen Leuten aus der griechischen Regierung gesprochen hat“, sagt Koutsoumba. „Das Problem ist, dass alle Berichte eine Leihgabe als Lösung für die ‚Elgin Marbles‘ präsentieren.“
Kurz darauf berichten auch griechische Medien, es habe in London Gespräche zwischen George Osborne, dem Kuratoriumsvorsitzenden des British Museum und Premierminister Kyriakos Mitsotakis persönlich gegeben.
Knackpunkt Besitzfrage
Das British Museum bestätigte dies. Auf seiner Website hieß es, man sei bereit, die Fragmente zu leihen. Nicht nur bei Archäologin Koutsoumba ist dieser Vorschlag auf Entsetzen gestoßen. Denn das käme eine Anerkennung der aktuellen Besitzverhältnisse gleich.
„Das Wichtigste ist die Frage nach den Eigentumsverhältnissen“, sagt sie. „Wir als griechischer Staat, als griechisches Volk und als Archäologen erkennen nicht an, dass das British Museum Eigentümer der ‚Elgin Marbles‘ ist, sodass es uns die Fragmente als Leihgabe geben könnte.“
Thema im Wahlkampf
Die Rückgabe der Parthenon-Fragmente ist für viele Griechinnen und Griechen ein sehr emotionales Thema. Dieses Jahr finden in Griechenland Parlamentswahlen statt, und Premier Mitsotakis kämpft um seine Wiederwahl.
Ein Verhandlungserfolg im jahrhundertelangen Streit um die „Elgin Marbles“ käme daher sehr gelegen. Doch nun hat sich der Regierungschef in einem Interview mit dem griechischen Staatsfernsehen auffallend zurückhaltend gezeigt: „Ich erwarte keine sofortigen Ergebnisse, aber wir haben bereits systematisch daran gearbeitet. Und sollte das griechische Volk sein Vertrauen in die Regierung erneuern, glaube ich, dass wir dieses Ziel erreichen werden, natürlich unter Berücksichtigung der roten Linien, die von allen griechischen Regierungen bislang gezogen worden sind.“
Lösung wohl in weiter Ferne
Archäologin Koutsoumba ist überzeugt, dass die jüngste Debatte den Verhandlungen um die Parthenon-Fragmente einen Bärendienst erwiesen hat. Denn nun hat sich auch die britische Kulturministerin Michelle Donelan geäußert.
„Ich habe sehr deutlich gesagt, dass ich nicht denke, dass sie nach Griechenland zurückkehren sollten“, so Donelan in einem Radiointerview mit der BBC. „Am Ende stünde man mit so vielen großartigen Artefakten vor der Frage, ob sie in ein anderes Land zurückgehen sollten. Und vergessen wir nicht, dass es sich um Güter unseres Landes handelt, die wir gehegt und gepflegt haben und die wir der Welt im British Museum zugänglich gemacht haben. Ich denke, sie zurückzuschicken, würde bedeuten, einen gefährlichen Weg zu beschreiten.“
Donelan möchte auf jeden Fall verhindern, mit den „Elgin Marbles“ einen Präzedenzfall zu schaffen. Eine baldige Einigung ist damit wahrscheinlich erst einmal wieder in weite Ferne gerückt.
Über dieses Thema hat auch die SR 2-Sendung Canapé vom 15.01.2023 berichtet.