Der Historiker Professor Rainer Hudemann von der Universität des Saarlandes (Foto: SR)

"Der Elysée-Vertrag hat Strukturen geschaffen"

Interview der Woche mit dem Historiker Rainer Hudemann

Michael Thieser / Rainer Hudemann   21.01.2023 | 12:09 Uhr

Professor Rainer Hudemann hat Neuere und Neueste Geschichte an der Universität des Saarlandes und in Paris gelehrt. Seine Schwerpunktthemen waren Frankreich und Europa. Er wurde als Experte auf diesem Gebiet mehrfach ausgezeichnet. Für ihn ist der Elysée-Vertrag eine Grundlage, auf der jede Generation weiter aufbauen muss.

Am 22. Januar 1963 unterzeichneten Charles de Gaulle und Konrad Adenauer den „Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit“. Er ging als „Elysée-Vertrag“ in die Geschichte ein. Für Rainer Hudemann war er eine wichtige Etappe.

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"Der Elysée-Vertrag hat Strukturen geschaffen"
Audio [SR 2, Michael Thieser / Rainer Hudemann, 21.01.2023, Länge: 14:12 Min.]
"Der Elysée-Vertrag hat Strukturen geschaffen"

Der Elysée-Vertrag war eine Etappe

Hudemann zieht eine Linie von der Besatzungspolitik von 1945 über den Schuman-Plan 1950 bis zum Elysée-Vertrag 1963. Charles de Gaulle habe diese vorerst letzte Etappe lange vorher, am 20. Juli 1945, mit seiner ersten Geheimdirektive an die Oberkommandierenden in Deutschland und Österreich eingeleitet.

Die Entwicklung habe also schon direkt nach dem Krieg begonnen. De Gaulles Ziel sei es gewesen, neue Kriege zu verhindern. In der Bundesrepublik sei damals ein Sturm der Empörung los gebrochen, weil dieser Vertrag aus französischer Perspektive die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten in Europa reduzieren sollte.

Beziehungen wurden institutionalisiert

Die Deutschen setzten damals eine Präambel vor den Vertrag, in der sie die engen Bindungen an die USA bekräftigten. „Die hat der Bundestag rein gesetzt. Kanzler Adenauer war restlos entsetzt, Staatspräsident de Gaulle war restlos entsetzt, aber das zeigte, dass 1963 dieser Moment auch anders wahrgenommen wurde, als er rückblickend wahrgenommen wird.“ Für Rainer Hudemann ist der Elysée-Vertrag aber deshalb wichtig, „weil er Strukturen geschaffen hat.“

Die deutsch-französischen Beziehungen, so der Historiker, wurden damit auf vielen Ebenen institutionalisiert. Seitdem sei es Alltag, wenn deutsche und französische Minister, Staatspräsident und Bundeskanzler und andere sich regelmäßig treffen. Vorher sei Treffen eine Sensation gewesen. Jetzt sei es eine Sensation, wenn ein Treffen abgesagt werde.

Lösung der Saarfrage musste vorangehen

Dem Elysée-Vertrag voraus gingen die Volksabstimmung im Saarland 1955, zwei Jahre später der politische und 1959 der wirtschaftliche Beitritt zur Bundesrepublik. Die Saarfrage sei nach dem Schuman-Plan im Jahr 1950 der letzte große Stolperstein in den deutsch-französischen Beziehungen gewesen. „Um es mit der Sprache der Zeit zu sagen, damit ist die Lösung der Saarfrage zu einem Meilenstein auf dem Weg zum Elysee-Vertrag geworden.“

Große Leistung DFJW

Eine der großen Leistungen des Elysée-Vertrages ist für Rainer Hudemann das Deutsch-Französische Jugendwerk. Demnächst werde die Zahl von zehn Millionen Jugendlichen erreicht, die seitdem in Frankreich oder in Deutschland im Austausch gewesen seien.

Aachener Vertrag musste folgen

Mit Recht ist, so Rainer Hudemann, 2019 der sogenannte Aachener Vertrag geschlossen worden. Dort seien die Wesentlichen Vereinbarungen noch einmal neu aufgelegt worden. Gerade die grenzüberschreitende Zusammenarbeit werde darin ganz besonders betont, weil die besonders schwierig voranzubringen sei, denn da werde der Alltag gelebt.

Auch der Aachener Vertrag sei noch nicht völlig erfüllt. „Da sind noch eine Menge von Problemen juristisch zu lösen.“ Die Menschen auf beiden Seiten der Grenze könnten nur gewinnen, wenn gerade administrative und juristische Hindernisse weiter abgebaut würden. Die beiden Länder seien eben ungeheuer unterschiedlich. Darum müsse es auch immer wieder neue Anläufe wie beim Aachener Vertrag geben.

Misstöne gehören zum Alltag

Natürlich gebe es auch Misstöne in der deutsch-französischen Verständigung. Das gehöre zum Alltag. Genauso, dass es unterschiedliche Ansichten gebe, etwa in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Zwänge seien für die Deutschen sehr viel größer, als sie für einen französischen Staatspräsidenten, unter anderem wegen vielfältiger industrieller Verflechtungen. „Ich sehe das nicht so dramatisch, wie es auf den ersten Blick erscheint.“

Der Elysée-Vertrag habe gerade das institutionalisiert: die Lösung so fundamentaler Unterschiede zwischen beiden Ländern, auch die Unterschiede in der Mentalität. Das habe immer wieder erfolgreich zu Ergebnissen geführt. Und es werde im deutsch-französischen Verhältnis immer tiefgreifende Unterschieden geben. „Aber das macht das ja auch so spannend.“

Frankreichstrategie schon vor 2013

Die Frankreichstrategie des Saarlandes hat Rainer Hudemann schon sehr viel früher erlebt. Er sei 1985 ins Saarland gekommen und habe, was heute Frankreichstrategie genannt werde; in großen Teilen schon vorgefunden. Immerhin sei im Saarland der erste europäische interregionale Gewerkschaftsrat gegründet worden. An der Universität sei die enge Kooperation mit Straßburg mit Metz Alltag gewesen.

Jede Generation baue zwar auf dem auf, was in den 1960er Jahren verankert worden sei. Diese Strukturen seien sehr hilfreich. Jede Generation müsse müsse aber für sich etwas Neues schaffen.

Das internationalste aller Bundesländer

Für Hudemann ist das Saarland das internationalste aller Bundesländer. „Weil hier die internationale Orientierung sehr weitgehend zum Alltag gehört.“ Dazu gehörten Kompetenzen und administrative Strukturen. Selbstverständlich müssten sie weiter ausgebaut werden.

Aber das Saarland, auch wenn es erst seit 1920 zu einer territorialen Einheit gekommen sei, habe über die Jahrhunderte viele Traditionen vereint. Diese stellten ein enormes Kapital dar. Das sähen diejenigen, die wie er von außen gekommen seien, häufig viel deutlicher als die „immer so bescheidenen Saarländer.“

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