Ideen gegen die Verödung der Innenstädte
Ein Gespräch mit Prof. Dr. Carsten Kühl, dem Leiter des Instituts für Urbanistik in Berlin, über die Zukunft der deutschen Innenstädte
Selbst wenn das Ende des Lockdowns schnell kommen sollte, werden die Menschen in Deutschland mit "dezimierten Innenstädten" leben müssen - davon ist der Urbanistik-Experte Prof. Carsten Kühl überzeugt. Im SR-Interview spricht er über die Herausforderungen für Handel und Politik.
Am 25. Februar hat der Handelsverband seine Stimme gegen die Corona-Politik erhoben: Die Geschäfte und die Gastronomie-Betriebe in Deutschland müssten schnell wieder geöffnet werden, sonst drohten die Innenstädte angesichts einer Pleitewelle zu veröden. Bereits jetzt seien 50.000 Unternehmen akut von der Insolvenz bedroht.
"Wir werden dezimierte Innenstädte haben"
Für Prof. Dr. Carsten Kühl, den Leiter des Instituts für Urbanistik in Berlin, ist schon jetzt klar: "Wir werden dezimierte Innenstädte haben. Das wird so sein", sagte er im Gespräch mit SR-Moderatorin Sonja Marx. Wie viele Gastronomen und Einzelhändler werden aufgeben müssen, hänge von der Dauer der Lockdown-Einschränkungen und dem Zeitpunkt der Wieder-Inkraftsetzung des Insolvenzrechts ab.
Reformbedarf
Um die ohnehin längst fälligen Reformen für die Innenstädte auf den Weg zu bringen, sieht Kühl Handlungsbedarf vor allem beim Gewerbemietrecht und beim Konzept der Fußgängerzonen aus den Siebziger und Achtziger Jahren. Diese sähen nach Geschäftsschluss ja nicht erst seit der Corona-Krise wie "Sperrbezirke" aus.
Empfehlungen
Den Gewerbetreibenden in den Innenstadt-Lagen empfiehlt Kühl, zu versuchen, künftig nicht nur auf die Vorteile des stationären Handels zu setzen, sondern sich auch in Richtung Multi-Channel-Vertriebswege zu positionieren, um gegen die einschlägigen Online-Handelsplattformen konkurrieren zu können.
Aufgaben der Politik
Die kommenden Leerstände durch "kulturelle oder soziale Nutzung" auszugleichen, sei dagegen die Aufgabe der Politik. Diese könne auch versuchen, jene verwaisten Büroräume, die im Zuge des Home-Office-Booms entstanden seien, in bezahlbaren Wohnraum umzuwandeln, so Kühls Vorschlag.
Letztlich gehe es immer darum, die "Aufenthaltsqualität in den Innenstädten zu sichern und damit wieder Menschen in die Innenstadt zu bringen". Sollte dies gelingen, werde es auch wieder neue Chancen für den City-Einzelhandel geben, ist sich Kühl sicher.
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Hintergrund:
Ein Thema in der Sendung "Der Morgen" am 23.02.2021 auf SR 2 KulturRadio. Das Symbolbild ganz oben zeigt ein Schild mit der Aufschrift "Stammtisch reserviert" auf dem leeren St. Johanner Markt in Saarbrücken (Archivfoto: Sebastian Knöbber).