"Die Wahrnehmung mangelnder Kontrolle ist sehr ungesund für uns"
Ein Gespräch mit Prof. Dr. Jürgen Margraf, Experte für Klinische Psychologie und Psychotherapie, über die psychischen Folgen der Corona-Krise
Nach dem Hickhack in der Corona-Politik der vergangenen Tage wissen viele Menschen nicht mehr, woran sie sich nun halten können. Und das birgt durchaus Gefahren für die Psyche, meint meint Prof. Jürgen Margraf, Experte für Klinische Psychologie und Psychotherapie. Ein Interview.
Ob bei den Reisebestimmungen, bei der "Osterruhe" oder beim Impfen: Das Hin und Her in der Politik hat das Corona-Chaos in der vergangenen Woche so deutlich wie noch nie in dieser Krise zu Tage treten lassen.
Kommunikation als A und O
Viele Menschen wissen nicht mehr, was nun gilt; woran sie sich nun halten können. Und das ist gefährlich, meint Prof. Jürgen Margraf, Experte für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum: "Die Kommunikation entscheidet darüber, was die Leute tun", stellte Margraf im Gespräch mit SR-Moderator Holger Büchner fest, "und das entscheidet darüber, welche Konsequenzen das hat".
Mit Blick auf die Regierungen mahnte er "eine einheitliche Linie und möglichst wenig hin und her" an. Er habe allerdings den Eindruck, dass "verschiedene Interessen immer wieder neu austariert" würden.
Der richtige "Ankerreiz"
Alle Menschen bräuchten zwar eine Perspektive, räumte Margraf ein, aber man müsse "den richtigen Ankerreiz" setzen - also lieber einen schnelleren Erfolg als angekündigt einfahren als einen schnellen Erfolg voraussagen und damit scheitern. "Wenn man von vornehrein Versprechungen macht, die man nicht einhalten kann, dann ist das wirklich unklug", sagte Margraf.
"Geschichten werden vom Ende her erinnert"
Eine allzu große Gefahr für die Psyche sehe er allerdings nicht in der Corona-Krise, denn in der Geschichte habe es gerade in Deutschland schon Krisen gegeben, "die weitaus belastender waren". Als Psychologe wisse man, dass Geschichten "vom Ende her erinnert" würden. Wenn die Menschen sich als irgendwann daran erinnern würden, dass sie die Krise "als Gesellschaft erstaunlich gut weggesteckt" und dass die Menschen "in erstaunlichem Ausmaß aufeinander Rücksicht genommen" hätten, dann sei es "eine Erfolgsgeschichte", und dann würden auch die langfristigen Schäden geringer bleiben.
Besonders problematisch für untere soziale Schichten
Wenn allerdings die wirtschaftlichen Folgeschäden richtig durchschlügen, dann würden die Betroffenen auch mehr Probleme haben. "Und das ist insbesondere bei den unteren sozialen Schichten besonders ausgeprägt", sagte Margraf. "Die Wahrnehmung mangelnder Kontrolle", wie sie bei vielen Menschen herrsche, sei im Übrigen "sehr ungesund".
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Hintergrund:
Ein Thema in der Sendung "Der Morgen" am 26.03.2021 auf SR 2 KulturRadio. Das Ssymbolbild ganz oben zeigt einen Mann im Stimmungstief (Foto: Pixabay).