Prof. Lucia Scherzberg (Foto: Jörg Pütz/Universität des Saarlandes)

"Die Theologie muss über die Auslegung der Bibel nachdenken"

Ein Interview mit der Theologin Prof. Lucia Scherzberg von der Universität des Saarlandes

Barbara Lessel-Waschbüsch / Onlinefassung: Rick Reitler   10.10.2017 | 13:00 Uhr

Vor wenigen Tagen hat das Bundesverfassungsgericht die juristische Einführung eines dritten Geschlechtes gefordert: Intersexuellen Menschen sollte ermöglicht werden, ihre geschlechtliche Identität zu dokumentieren - zum Beispiel im Personalausweis. Doch wie sehen das Theologinnen und Theologen? SR 2 KulturRadio hat bei Prof. Lucia Scherzberg von der Uni Saarbrücken nachgefragt.

Die Bibel spricht in ihrer Schöpfungsgeschichte ausschließlich von "Mann und Frau", nicht von einem "Dritten Geschlecht" - im Gegensatz zu einem aktuellen Entscheid des Bundesverfassungsgerichts, das die Existenz intersexueller Menschen juristisch anerkennen und ihre Rechte stärken will.

Weltbild im Wandel

Für die Theologin Prof. Lucia Scherzberg von der Universität des Saarlandes ist das allerdings kein unlösbares Problem: "Die Bibel ist Gottes Wort in Menschenwort", stellte sie im Gespräch mit SR 2-Redakteurin Barbara Lessel-Waschbüsch klar. "Und die Menschen der damaligen Zeit, die für diese Texte verantwortlich waren, waren natürlich vom Geist Gottes inspiriert, aber sie haben natürlich in den Denkformen ihrer Zeit gedacht." Heute sei das Weltbild aber längst ein anderes, und dazu gehöre auch die Anerkennung intersexueller Menschen.

"Die Menschen dürfen verschieden sein"

"Die Kirche und die Theologie muss heute nachdenken darüber, wie ein biblischer Text ausgelegt werden kann und ob er - jetzt in diesem Fall - ausschließen würde, dass es ein drittes Geschlecht gibt", sagte Scherzberg. Es gehe dabei stets um die Frage, wie man mit Menschen umgehen solle, "die eindeutig weder dem weiblichen noch dem männnlichen Geschlecht zuzuordnen sind." Und da sei für die Kirche klar, dass es auf keinen Fall zu einer Diskriminierung kommen dürfe: Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche hätten das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes jedenfalls bereits "mit großem Verständnis" aufgenommen. "Die Menschen sind von Gott ja verschieden erschaffen und sie dürfen verschieden sein."

Zudem gehöre ein "Diskriminierungsverbot" nicht nur zum "christlichen Kernbestand" - es sei zudem "ein ganz entscheidender biblischer Grundsatz, dass man den rechtlosen Recht verschafft und dass jeder Mensch, egal, wie er aussieht, wie er biologisch gestaltet ist, dass jeder Mensch diese Gottesebenbildlichkeit hat."

Über dieses Thema wird in der Sendung "Religion und Welt" am 11.11.2017 auf SR 2 KulturRadio berichtet.


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