Iannis Xenakis (Foto: Imago/Philippe Gras)

Iannis Xenakis: Metastasis

Meilensteine der Neuen Musik (15)

Von Friedrich Spangemacher  

Sendung: Donnerstag 03.12.2015 zwischen 20.04 und 22.30 Uhr

(03.12.2015) Als das Orchesterwerk „Metastasis“ von Iannis Xenakis 1955 bei den Donaueschinger Musiktagen zur Uraufführung kam, setzte es die Musikwelt in Erstaunen. Die Musiksprache war damals völlig neuartig und überaus radikal.

Meilensteine der Neuen Musik: Iannis Xenakis
SR-Mediathek: Audio
Meilensteine der Neuen Musik: Iannis Xenakis
[Friedrich Spangemacher für SR 2 KulturRadio, Mouvement, 3. Dezember 2015, Länge ca. 6:40 Min.]

"Diese Musik erklärt sich nicht aus Harmonielehre und Kontrapunkt, sondern aus den Gesetzen der modernen Mathematik und Physik", urteilte Rudolf Frisius. "Gedanken der vorsokratischen Philosophie verbinden sich mit mathematischen Konstruktionen. Graphische Strukturen erscheinen als Keimzellen nicht nur der musikalischen, sondern auch der architektonischen Erfindung. Traditionelle Begriffe und Abgrenzungen sind aufgehoben – nicht nur die Grenzziehungen zwischen verschiedenen Künsten, sondern auch die Begriffssysteme einer Einzelkunst wie der Musik: Töne, Klänge und Geräusche verbinden sich zu dichten Klangwolken, Liniengeflechten und Klangschwärmen."

Ein Kämpfer und Ingenieur
Iannis Xenakis hatte anfangs Ingenieurwissenschaften studiert. Geboren wurde er 1922 in Rumänien als Sohn griechischer Eltern, wuchs dann in Griechenland auf. Als junger Mann schloss er sich den Partisanen im Kampf gegen die Deutschen an und kämpfte später im anschließenden Bürgerkrieg weiter. Er wurde schwer verwundet und verlor ein Auge.

Im folgenden Jahr 1947 flüchtete Xenakis über Italien nach Frankreich. In Abwesenheit wurde er in Griechenland zum Tode verurteilt. Doch in Paris ging es aufwärts: Der mittellose Flüchtling fand eine Anstellung – als Bauingenieur im Büro des weltberühmten Architekten Le Corbusier. Etwas später begann er parallel dazu mit einem Musikstudium bei Arthur Honegger, Darius Milhaud und Olivier Messiaen. Daneben wurde der Dirigent Hermann Scherchen für sein Denken sehr wichtig. Scherchen hatte Anfang der 50er Jahre in Gravesano im Tessin ein Experimentalstudio gegründet, von dem Xenakis profitierte. Die Mathematik, die Architektur, die Kalkulation mit Wahrscheinlichkeits-rechnungen und die Chaos-Theorien faszinierten den jungen Xenakis. Seit 1948 begleitete er als Assistent von Le Corbusier dessen architektonische Bauten bis in die 60er Jahre hinein.

Architektur und Musik
Von Anfang an versuchte Xenakis, architektonische Entwürfe und musikalische Partituren miteinander in Beziehung zu setzen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung gab ihrem Nachruf auf den Komponisten den Titel "Der Computer des Prometheus", denn: "Xenakis ist die herausragende Symbolfigur einer unerhört produktiven Symbiose von Naturwissenschaften und Musik, auch und gerade als Träger überaus expressiver, ja aggressiver Botschaften. [...] insofern ist eine Analogie zum feuerbringenden wie befreienden Prometheus, des ersten Technokraten und zugleich ewigen Aufrührers, eklatant."

Ein Pionier der Computermusik
Xenakis und Le Corbusier haben das Konstruktionsmodell von "Metastasis" wenige Jahre später auf den Philips-Pavillon der Weltausstellung in Brüssel (1958) übertragen. In diesen Jahren begann Xenakis auch, Computermusik zu komponieren. Er gehörte zu den frühesten Pionieren auf diesem Gebiet. Es sollte aber noch einige Jahre dauern, bis der Computer die von ihm graphisch entworfenen Klänge direkt umsetzen konnte.

Völlig neuartig strukturierte Klänge
"Metastasis" kann auch als Versuch gesehen werden, mit einem traditionellen Orchester – in Konkurrenz zu den aufkommenden elektronischen Mitteln – völlig neuartig strukturierte Klänge zu erzeugen. Xenakis erreicht das, indem er das Orchester in 61 selbständig geführte Stimmen auflöst. Die vielfach aufgefächerten, individuellen Streicherglissandi schaffen Klangräume, die man bis dahin nicht gehört hat. Im Programmheft der Donaueschinger Uraufführung schrieb Xenakis: "Der Hörer muss gepackt und, ob er will oder nicht, in den Kreis der Töne gezogen werden, ohne dass er deswegen eine besondere Ausbildung brauchte. Der sinnliche Schock muss ebenso fühlbar sein wie beim Anhören des Donners oder beim Blick in den unendlichen Abgrund."


Meilensteine der Neuen Musik

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Seit Mai 2014 stellen wir in jeder ersten „Mouvement“-Ausgabe des Monats ein Schlüsselwerk der Moderne vor – Meilensteine der Musikgeschichte wie Arnold Schönbergs Klaviersuite op. 25, György Ligetis „Atmosphères“ oder Karlheinz Stockhausens „Gesang der Jünglinge“. Die Beiträge können im Archiv nachgehört werden.

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