Sendung: Samstag 20.02.2021 9.05 bis 9.30 Uhr
Als die jüdische Gemeinde in Saarbrücken 1929 einen neuen Rabbiner sucht, fällt die Wahl auf Schlomo Rülf, Theologe, promovierter Philosoph und Pädagoge. Er hat von sich reden gemacht, als moderner und liberaler tiefgläubiger Jude, hochgebildeter Humanist und Zionist.
Das Saargebiet untersteht damals einer internationalen Regierung des Völkerbunds, der Dreißigjährige nimmt die Stelle dankbar an, denn mit diesem Schritt haben er und seine Familie schon Deutschland verlassen.
Rülf, 1896 in Braunschweig geboren, bemerkte schon als Jugendlicher, dass er für die meisten seiner Mitschüler "kein echter Deutscher" sei. Seine Heimat, so die Schulkameraden, "ist doch Palästina", schreibt er in seiner Autobiografie "Ströme im dürren Land". Ab Mitte der 1920er Jahre erlebt er im Bayerischen Bamberg verstärkt auch aggressiven Antisemitismus. Ein Entschluss manifestiert sich: Seine Kinder sollen in Palästina als freie Menschen in jüdischer Tradition aufwachsen.
Auch an der Saar fiebern Hitlers willige Vollstrecker der Volksabstimmung 1935 entgegen. Rassenwahn und Judenhass bestimmen den Alltag. Um die jüdischen Kinder vor den Übergriffen ihrer nichtjüdischen Mitschüler zu schützen, gründet Rülf in Saarbrücken die jüdische Volksschule.
Der Gemeinde predigt er jüdische Identität und rät zur Ausreise noch vor 1935. Mit politischer Weitsicht und diplomatischem Fingerspitzengefühl lenkt er den Blick der Welt auf das Schicksal der Juden im Saargebiet. Mit kämpferischem Engagement und internationaler Hilfe trotzt er den Nazis das sogenannte Römische Abkommen ab. Der Vertrag verbietet nach der Rückgliederung des Saargebiets für ein Jahr die Verfolgung aus rassischen, religiösen und politischen Gründen und garantiert die Auswanderung mit dem Vermögen. Nach dem Plebiszit geht Rabbiner Rülf nach Palästina, wo ihn seine Familie schon seit Monaten erwartet.
Zum Thema "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland":
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