SR 2-Kolumnist Brunner (Foto: SR)

„Gut gegähnt ist halb entschieden“

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 31.03.2023 16:45 Uhr

Nr. 929

Nicht dass Sie denken, es wäre eins meiner  Hobbies, mir neue Gesetze auszudenken. Aber in einem Land, in dem es ein „Starke-Familien-Gesetz“ ebenso gibt wie ein „Gute-Kita-Gesetz“, sollte ein „Husch, husch, Heia-Gesetz“ nicht fehlen. Eine Verfügung also, die verhindert, dass Politiker:innen unter massivem Schlafentzug noch ans Ruder des Staatsschiffs dürfen. Sprich: Irgendwelche richtungsweisenden Beschlüsse fassen.

Wie dringend ein solches Gesetzes-Vorhaben nottut, führen uns die sogenannten Ergebnisse des Koalitionsauschusses drastisch vor die übermüdeten Augen! Follow the science! Denn wie sagt der Schlafforscher? Schlafentzug führt „zu realitätsfernem Optimismus und erhöhter Risikobereitschaft“. Auch  „die Wahrnehmung negativer Konsequenzen des eigenen Handelns sinkt erheblich.“ Populärerer ausgedrückt: 22 Stunden ohne Schlaf wirken wie 1 Promille Blutalkohol. Kannochfahren… Nein! Damit dürfen Sie keine Baumaschine mehr betätigen und kein Kraftfahrzeug mehr führen, aber zum Regieren langt’s allemal noch? Merke: Ja, es schläft das Alphatier allenfalls der Stunden vier.

?Gut gegähnt ist halb entschieden?
Podcast [SR 2, Peter Tiefenbrunner, 31.03.2023, Länge: 04:09 Min.]
?Gut gegähnt ist halb entschieden?

Noch nämlich gilt die angebliche Fähigkeit, mit wenig Schlaf auszukommen, als Eintrittskarte zu den Pyjamaparties der Macht. Oder wie es Napoleon, der kurze Korse, formulierte: „Vier Stunden schläft der Mann, fünf Stunden die Frau, sechs ein Idiot.“ Worauf er übermüdet aus dem Sattel seines Schlachtrosses kippte. Was der Schlafentzug anrichtet in den Gehirnwindungen der Koalitionäre lässt sich seit Beendigung der Gespräche im Berliner Schlaflabor nur zu deutlich sehen. Olaf Scholz hängt immer wieder in den Rillen seiner Sprechplatte fest und faselt so oft von Tempo, Regierungstempo und Deutschlandtempo, dass er sich den neuen Kampfnamen „Tempomat“ redlich verdient hat.

Schlimmer noch als solcherlei Sprechdurchfall wird’s aber, wenn er Sätze ablässt wie: „Das ist ein sehr, sehr gutes Ergebnis der Gespräche. Und zweitens ist der Herr Bundesminister Wissing ein sehr, sehr guter Verkehrsminister." Jau. Und die Aushöhlung des Klimaschutzgesetzes ist ein sehr, sehr, sehr guter Kompromiss. Zwischen beschleunigtem Autobahnausbau und Zulassung von synthetischem Porsche-Sprit. Da müssen die beteiligten Grünen wohl bei jeder Abstimmung kurz im Sekundenschlaf gewesen sein. Selber schuld, wenn sie jetzt den Umweltverbänden erklären müssen, dass Solarpaneele am Rande der nach wie vor unlimitierten und beschleunigt sanierten Rennstrecken ein Erfolg grüner Klimapolitik seien. Wobei aber Herr Habeck und Frau Lang aussahen, als sei Ihnen mindestens eine der geschluckten Kröten doch nicht so recht bekommen. Auch ein grüner Magen kann nicht alles vertragen.

Meiner Nachbarin Barscheck jedenfalls ist schon vom Zuschauen ganz schlecht. Ihr ist auch ein vollkommenes Rätsel, warum so absehbar schwierige und langwierige Besprechungen so häufig erst am Abend beginnen müssen? Haben wir Bürger:innen nicht ein Anrecht darauf, von möglichst ausgeschlafenen Volksvertreter:innen durch die Untiefen der politischen Fahrwasser navigiert zu werden? Stattdessen haben sich Scholz und seine verschwiemelten und kleinäugigen Mitstreiter:innen gleich nach den ersten knapp zwanzig Stunden Verhandlungen aufgemacht in die Niederlande zu, wie es heißt, „sehr, sehr wichtigen Regierungskonsultationen“. Immerhin haben sie sich per Helikopter zum Flughafen bringen lassen. Nur Christian Lindner nicht. Der hat das Auto genommen. Wie gut, dass uns der rasende Liberale nicht entgegengekommen ist.

So, und jetzt aber: Zähne putzen und husch, husch in die Heia. Regieren könnt ihr morgen wieder.


Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 31.03.2023 und in "Der Morgen" am 01.04..2023 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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