„Dieses Kribbeln im Bauch“
Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören
Sendung: Freitag 17.03.2023 16:45 Uhr
Nr. 927
Nicht dass Sie denken, ich sei unter die Entomophagen gegangen. Also die Insektivoren. Vulgo: Insektenfresser, was sich zugegeben deutlich unangenehmer anhört, als die eher wissenschaftlich-steril klingenden lateinischen Namen. Ist ja meistens so. Man bekommt auch deutlich seltener unmittelbar eins auf die Zwölf, wenn man jemanden als „Troglodyten“ beschimpft, als wenn man ihn „Höhlenmensch“ nennt. Schon aus Verständnisgründen.
Audio
Überhaupt empfiehlt es sich heutzutags durchaus, sich die ein oder andere lateinische Gattungsbezeichnung einzuprägen. Wie Sie wahrscheinlich wissen, sind ja kürzlich in der EU zwei weitere Angehörige des Krabbelvolkes in das Verzeichnis der zugelassenen Nahrungsmittel aufgenommen worden: Die Hausgrille, Acheta domesticus, auch Heimchen genannt, und dazu die Larve des Glänzend schwarzen Getreideschimmelkäfers, vom Fachmann Alphitobius diaperinus gerufen. Oder genießerisch Buffalowurm. Wem liefe nicht das Wasser im Mund zusammen, wenn es aus der Küche verheißungsvoll klingt: Noch zehn Minuten bis Buffalo... auf den Tisch kommt. Warum nun ausgerechnet jetzt diese Zulassung für allgemeines Mediengeklingel, Empörung und öffentliche Ekelgebärden sorgt, weiß man nicht so genau.
Seit 2021 schon darf doch Locusta migratoria ebenso mit EU-Segen verspachtelt werden wie Tenebrio molitor. Wanderheuschrecke und gelber Mehlwurm. Wie erwähnt, wenn Sie eher entomophob sind, sollten Sie sich besser die lateinische Variante merken. Die nämlich muss in der Zutatenliste aufgeführt sein: „Teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus“ steht da beispielsweise auf der Nudelpackung oder der Keksschachtel. Warum auch nicht, der häufig gezeigte Ekel vor dem ungewohnten Protein ist nicht unbedingt rational. Krabben, Garnelen oder Schnecken sind auch nicht gerade nett anzusehen. Auch Frösche lösen nicht unmittelbar den Wunsch aus, sie zu verzehren. Trotzdem wurden und werden zumindest ihre Schenkel gern verzehrt. Und wer es nicht oder nicht mehr tut, verzichtet nicht aus Ekel vor dem Fleisch, sondern wohl eher wegen der ekelhaften Erzeugung der Feinschmeckerei. Eine Reaktion, die allerdings bei dem Großteil der tierischen Produkte, die so auf unseren Tellern landen, mindestens ebenso angebracht wäre. Wie gesagt: Rational ist das alles nicht wirklich.
Gründe für das Verzehren von Insekten gibt es einige. Halbwegs nachhaltig zu züchten, gesund, nahrhaft, ressourcensparend. Und – glaubt man den Verfechtern – auch lecker. Vielleicht geht es aber auch um ein evolutionär tief verankertes Rachebedürfnis. Immerhin waren Wanderheuschrecken eine der biblischen Plagen – jetzt wird zurück gefressen! Statt des unterdrückten Heimchens am Herd nun endlich: Heimchen auf den Herd. Und dass Getreideschimmelkäfer und Mehlwurm nur zu oft schon ungebetene Gäste in unseren Vorratskammern waren, macht schon der Name deutlich. Also: runter damit!
Meine Nachbarin Barscheck allerdings wendet sich mit Grausen. Seit sie kürzlich eine kleine, nur zur Ansicht mit genommene Packung Snack-Grillen in meiner Küche entdeckt hat, schlägt sie jede Einladung zum Essen aus. Die allgemeine öffentliche Erregungskurve jedenfalls kann sich getrost wieder an den Abstieg machen: Niemand wird zum Verzehr unserer sechsbeinigen Freunde gezwungen, nicht einmal von den Grünen. Und ein Insekten-Hotel ist nach wie vor ein Unterschlupf für die Tierchen im Garten und auch „Schmetterlinge im Bauch“ bleiben weiterhin nur eine romantische Metapher. Auch für Insektenschützer und Veganer tauglich.
Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 17.03.2023 und in "Der Morgen" am 18.03.2023 auf SR 2 KulturRadio.
Brunners Welt
Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!
Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.