„Wie alles mal anfing“
Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören
Sendung: Freitag 13.01.2023 16:45 Uhr
Nr. 918
Nicht dass Sie denken, ich lebte zu sehr in der Vergangenheit. Aber ab und zu sollte man sich ruhig ein paar Gedanken darüber machen, was man früher mal so gedacht, gesagt oder getan hat. Das sehen offenbar auch die Grünen so, die auf ihrer website unter dem claim „Grüne Geschichte“ über ihre Anfänge Ende der Siebziger berichten: „Aus dem Protest gegen diesen Zeitgeist entstand die grüne Bewegung. Wut über die staatstragende Atomclique war treibende Kraft der Proteste in Wyhl, Brokdorf und Wackersdorf. Und es stimmt: Noch heute sind wir skeptisch, wenn Großkonzerne Allianzen mit den Regierenden eingehen.“ Und später dann, im Bundestag, seien sie „eine Zumutung und gleichzeitig eine Frischzellenkur“ gewesen.
Mag wohl sein. Eine Zumutung sind sie heute noch. Und mehr denn je. Da tritt Robert Habeck mit der grünen NRW-Wirtschafts- und Klimaschutzministerin und dem Vorstandsvorsitzenden der RWE vor die Presse und verkündet den ausgehandelten Braunkohle-Kompromiss mit den Worten, das sei „ein guter Tag für den Klimaschutz.“ Wie war das gleich mit der Skepsis bei „Allianzen von Großkonzernen mit den Regierenden“? Von der „Wut über die staatstragende Atomclique“ gar nicht zu reden – dazu gehörte die RWE ja nun schon auch.
Aber Robert Habeck ist sich anscheinend mittlerweile sicher, mit Dackel-Falten und -Blick alles verkaufen zu können, auch uns für blöd. Weswegen er sich auch nicht schämt, im ZDF zu verkünden: „Lützerath ist nicht das 'Weiter so', es ist der Schlussstrich“ unter dem Thema Kohleverstromung. Die jetzige Räumung ist sicher der Schlussstrich unter der Existenz des Dorfes. Ansonsten kommt es halt immer darauf an, was vor dem Schlussstrich noch so auf die Rechnung kommt. In diesem Falle konkret 280 Millionen Tonnen Braunkohle, die RWE noch abbaggern und in CO2 verwandeln darf.
Jaaa, das ist nicht schön und er ist „auch nicht stolz darauf“ dackelt Habeck weiter, aber: Dafür hat man ja den Kohleausstieg um 8 Jahre vorgezogen und so bleiben weitere 280 Millionen Tonnen Braunkohle ungefördert. Also: Unterm Schlussstrich ein guter Tag für den Klimaschutz? Jedenfalls ein guter Tag für RWE. Zum einen hätte der Konzern selbst bei Vollbetrieb seiner Kohlemeiler auch bis 2038 keine weiteren 280 Millionen Tonnen Braunkohle komplett verstromen können. Das meiste wäre sowieso im Boden geblieben. Das deutsche Wirtschaftsinstitut hat berechnet, dass der gerühmte Klimakompromiss nur zwischen 34 und null Millionen Tonnen CO2 einspart.
Aber abgesehen von derlei Greenwashing-Aktionen: Studien zeigen, dass – soll das berühmte 1,5-Grad-Ziel auch nur noch in erreichbarer Nähe bleiben - auch keine 280 Millionen Tonnen verheizt werden dürfen, nicht einmal die Hälfte, höchstens irgendwas zwischen 25 und 70 Millionen Tonnen. RWE kommt der vorgezogene Ausstieg übrigens auch sehr gelegen: Ab 2030 wird sich die Kohleverstromung noch deutlich verteuern und wird endgültig unrentabel. Für den Verzicht darauf darf man jetzt noch ordentlich Geld machen – und ist noch Teil der Klimaschutzbemühungen. Win – win – loose.
Eine der Aktivistinnen im verlorenen Dorf Lützerath, die dort ohne Strom und bei Eiseskälte ausharren, sagte: „Wir wollen im Modell zeigen, dass ein Leben auch ohne Energie aus Kohle oder Atomstrom möglich ist.“ Ob auf lange Sicht ein Leben mit fossiler und Kern-Energie noch möglich sein wird, dafür steht der Beweis noch aus. Die dreckige Zwischenlösung Kohle müsse aber jetzt noch sein, sagt Habeck. Die negativen Auswirkungen „müssen dann hintenraus eingefangen werden.“ Damit, so meint meine Nachbarin Barscheck, klinge er nun aber schon sehr nach der Reizdarm-Werbung aus dem Fernsehen.
Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 13.01.2023 und in "Der Morgen" am 14.01.2023 auf SR 2 KulturRadio.
Brunners Welt
Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!
Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.