„Licht und Liebe“
Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören
Sendung: Freitag 23.12.2022 16:45 Uhr
Nr. 915
Nicht dass Sie denken, ich sei so was wie der Grinch. Ich bin nicht grün, wohne nicht auf einem Berg und ich hasse Weihnachten nicht. Ich gebe zu, mir geht der Rummel gelegentlich arg auf den Spekulatius. Weihnachtsmärkte sind auch nicht so mein Ding, einen Weihnachtszirkus würde ich mir nur sehr ungern anschauen und die meisten Weihnachtslieder lassen bei mir Hammer, Amboss und Steigbügel sehr unfestlich knirschen. Große Ausnahme: „Es ist ein Ros entsprungen“, ein Lied, das mich aus ungeklärten Gründen schon seit meiner Kindheit zu Tränen rührt. Wo und wie auch immer es erklingt, ich singe sofort und mit Inbrunst mit. Was mitunter bei Ohrenzeugen zu Tränen führt. Ich berufe mich dann immer auf die Weihnachtsamnestie und auf das „Fest der Liebe“. Das hilft meist bis zur zweiten Strophe, mehr kenne ich eh nicht.
Ich bin nicht christlichen Glaubens und hänge auch keiner anderen Glaubensrichtung an, aber ein „Fest der Liebe“ kann man gar nicht oft genug feiern! Ich stelle mir allerdings vor, dass das zur Zeit für unsere christlichen Mitbürger:innen nicht ganz einfach ist. Die schlechten Nachrichten kommen ja so knüppeldick, dass die festlichen Gefühle fallen wie die Nadeln vom zu früh aufgestellten Weihnachtsbaum. Kirchenaustritte in nie da gewesener Zahl, der aktuelle Bertelsmann-Religionsmonitor legt erschreckende Daten unter den Christbaum: Jedes fünfte Kirchenmitglied hat fest vor auszutreten, jedes vierte denkt zumindest ernsthaft darüber nach. Die Zahl derjenigen, die sich als „gar nicht religiös“ einschätzen, stieg seit 2013 von 23 auf 33 %.
Und mit der Liebe ist in diesen Tagen genauso wenig Staat zu machen wie mit dem vielbesungenen „Frieden auf Erden“. Im Gegenteil. Der als „Stimme Putins“ bekannte russische TV-Moderator Wladimir Solowjow redet nicht nur öffentlich über einen Einmarsch Russlands in Deutschland und England und darüber, dass „der Westen“ im Falle einer russischen Niederlage „in einem Atomkrieg zu Asche zerfallen“ werde. Er beruft sich dabei auch noch auf Gott und darauf, dass sein Land einen „heiligen Krieg“ führe für das Recht der Menschheit so zu leben, wie „es der Schöpfer vorgesehen habe“. Und natürlich kann er das alles mit irgendwelchen Bibelstellen begründen. Das ist halt das Problem mit den alten, „heiligen“ Texten: Man muss sie interpretieren, und da kann leider alles mögliche dabei herauskommen. Auch hier gilt: „Wie man hineinruft, so kommt es heraus.“
Man könnte sich ja auch einfach zusammensetzen, meint meine Nachbarin Barscheck, und sich über die Gemeinsamkeit und die Aussicht auf wieder länger werdende Tage und mehr Licht freuen. Aber das ist dann auch nicht recht: In Österreich wollten jetzt zwei Volksschulen auch mit Rücksicht auf die Mehrheit nicht christlicher Schüler:innen Adventsfeiern ohne expliziten religiösen Bezug feiern. „Ethische Rituale“ nannten sie das. Die Empörung bei Eltern und Politik war groß. So etwas brauche man nicht „an heimischen Bildungsstandorten, sondern die Aufrechterhaltung gewachsener, traditioneller Feste, die eben stark vom christlichen Glauben geprägt sind". Nun ist es natürlich so, dass die Feiern des wieder erstarkenden Lichtes und der „Rückkehr der Sonne“ schon lange da waren, bevor das Christentum den Termin sich – heute würde man sagen: kulturell angeeignet hat. Kein Mensch weiß, wann Jesus geboren ist. Die Hirten des Nachts auf dem Felde lassen eher an den Sommer denken.
Aber gut. Was und mit wem auch immer Sie feiern in diesen Tagen, lassen Sie es ruhig angehen, bleiben Sie freundlich und haben Sie Spaß. Das wünscht sich unser Treppenabsatz von Ihnen zu Weihnachten. Und Frieden auf Erden wär auch nicht schlecht.
Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 23.12.2022 und in "Der Morgen" am 24.12.2022 auf SR 2 KulturRadio.
Brunners Welt
Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!
Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.