Brunners Welt: Der Brunner (Foto: SR)

"Wie uns die Alten sungen"

Der kabarettistische Wochenrückblick

Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 18.12.2015 15.25 Uhr

Nr. 550

(18.12.2015) Nicht dass Sie denken, ich wollte uns die Weihnachtsstimmung verderben. Ich liebe Christstollen, Weihnachtspunsch und Kerzenlicht. Und auch wenn meine Toleranzschwelle gegenüber den in schmuseweichem Kaufhaussound flächendeckend niedergedudelten Weihnachtsliedern im Verlaufe der Adventszeit deutlich gesunken ist: Ich liebe das Lied "Es ist ein Ros entsprungen". Seit Kindertagen, als ich noch dachte, es ginge darin um ein entlaufenes Pferd.

Also bin auch ich in dieser Zeit, da der adventliche Bildschirmschoner sanft leuchtet und die Duftkerze ihre synthetischen Zimt- und Lebkuchen-Aromen verströmt, auf der Suche nach der frohen Botschaft. Und siehe – geradezu überreichlich geht sie ins ausgeworfene Netz. Gleich drei vorweihnachtliche Groß-Events geben der wunden Seele den Weihnachtsfrieden.

Der Pariser Klimagipfel – dank Demoverbotes in Paris rundum friedlich – ging unter Weihrauchschwaden zuende. Auch wenn es sich überwiegend um das Ergebnis gewaltiger Selbst-Beweihräucherung der führenden Kongregaten handelte – habemus pactum!

Die Presse ließ weißen Rauch aufsteigen zum "Wunder in Paris" und der französische Außenminister kämpfte mit Tränen der Rührung. Sicher, die Klimaexperten, die tags darauf nachrechneten, fanden die verabredeten Ziele schwammig und zu kurz gegriffen. Aber das sind doch nur kleine, bittere Mandelstückchenim großen Christstollen des Einverständnisses.

In der SR-Mediathek können Sie die Glosse noch bis drei Monate nach Ausstrahlungsbeginn online hören:

SR-Mediathek: Brunners Welt - "Wie uns die Alten sungen" [SR 2 KulturRadio, Der Nachmittag, 18. Dezember 2015, Länge ca. 3:49 Min.]


Schamlos niedrig waren denn auch die Erhöhungen. Die Empörung der SPD war gewaltig. Selbst der SPIEGEL schrieb damals: "Jetzt aber, so scheint es, stehen die Sozialdemokraten endlich wieder auf der richtigen Seite: Schulter an Schulter mit den Gewerkschaften und Sozialverbänden, um für die Sache der Armen zu kämpfen." An vorderster Front: Andrea Nahles, die Rächerin der Hilfsbedürftigen und Entrechteten. "Wir alle werden gerade Zeuge, dass die Zahlen frisiert und schöngerechnet werden", sagte die SPD-Generalsekretärin 2010. "Es geht um das Existenzminimum eines Menschen, das ist nicht verhandelbar".

Ebenso zum Weinen die Rede des Obergenossen Gabriel auf dem Parteitag der SPD. Wann hätte man in letzter Zeit so klare Worte über die hehren Ziele der Sozialdemokratie gehört? „Bedingungen dafür schaffen, dass das Leben nicht von der Hautfarbe abhängt, nicht vom Einkommen der Eltern, nicht von Beziehungen, nicht von Rasse, Geschlecht oder Religion“, das sei die Aufgabe der SPD. Wunderbar. Und sogar, dass Merkels Sparpolitik die Krise in Europa mitverschuldet habe, sprach der Dicke in seltener Deutlichkeit aus. Und hat damit ein Blümlein bracht, mitten im kalten Winter wohl zu der halben Nacht. Warum das alles in seiner Politik nicht vorkommt – Stollen drüber, schließlich ist Weihnachten das Fest der Hoffnung. Und wer keinen Stollen mag, wie meine Nachbarin Barscheck, kann sich immer noch über die 25 % der Genossen freuen, die dem schwadronierenden Parteivorsitzenden die Zustimmung versagt haben. Frohlocket!

Spätestens der rauschende Sieg für Muttis „Wir schaffen das“ auf dem Parteitag der CDU – dem dritten Fest-Event – lässt auch den letzten Skeptiker zum Tannennadel-Spray greifen. Neun Minuten Beifall für die Kanzlerin mit Herz, die nicht einmal das Wort „Obergrenzen“ hören ließ. Dafür aber ihren Kritikern was aus dem Geschenkesäckchen holte: „Wir wollen und werden die Zahl der Flüchtlinge spürbar reduzieren.“ Das sei „im Interesse Deutschlands, Europas und auch im Interesse der Migranten“. Schön.

Und auch unsere Grenzsicherer von Frontex kriegen ihr Präsent: Mehr Personal, mehr Kompetenzen und einen neuen Namen. Der alte klang doch immer ein bisschen nach Ungeziefervertilgungsmittel. Kling Glöckchen, klingelingeling! Es geht aufwärts – sogar die Tage werden länger. Gelobt seien die Frühchristen, die sich bei der nachträglichen Festlegung des Jesus-Geburtstagesauf die bewährte Wintersonnenwende geeinigt haben. So kommt auch noch der hartnäckigste Ungläubige in Feststimmung.



Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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