Warum die Corona-Fallzahlen ihre Bedeutung verloren haben
Bei der 7-Tage-Inzidenz liegt das Saarland bundesweit an der Spitze. Trotzdem wurden die Testzentren geschlossen und auch insgesamt wird weniger getestet. Die Folge: Viele Infektionen werden nicht mehr erfasst. Doch wirklich aussagekräftig sind die Fallzahlen des RKI nach Einschätzung der Virologin Barbara Gärtner ohnehin nicht mehr.
Vor dem Hintergrund der weiter gelockerten und im Alltag vielfach nicht mehr spürbaren Corona-Maßnahmen hat das Saarland zum 1. März seine Landestestzentren nach zweieinhalb Jahren geschlossen – und das, obwohl das Saarland bei der 7-Tage-Inzidenz zurzeit im Ländervergleich den Spitzenplatz belegt.
Ministerium geht von Untererfassung aus
Hinzu kommt, dass offenbar auch in privaten Testzentren und Arztpraxen weniger getestet wird. Aber was sagen dann noch die Corona-Fallzahlen aus, die das Robert-Koch-Institut täglich veröffentlicht?
„In den letzten Wochen konnten wir bereits verzeichnen, dass viele SARS-CoV-2-Fälle nicht mehr im System des RKI bzw. in der Statistik des Landes registriert wurden, da oft nach einem Schnelltest auf eine PCR-Testung verzichtet wurde“, teilte das Gesundheitsministerium dem SR mit. „Somit ist grundsätzlich von einer Untererfassung auszugehen.“
Kulas: So gut wie keine Tests mehr
Das sieht auch Dr. Michael Kulas so, der Vorsitzende des Saarländischen Hausärzteverbandes. Er geht davon aus, dass derzeit etwa fünfmal mehr Patienten mit Corona infiziert sind, als offiziell bekannt ist.
„Es wird so gut wie nicht mehr getestet“, sagte er zur Situation in den Arztpraxen. „Viele Leute wollen sich einfach gar nicht testen lassen oder machen Selbsttests.“ In der offiziellen Statistik des RKI tauchen aber nur bestätigte PCR-Tests auf.
Für Prof. Barbara Gärtner, Virologin und Leiterin der Krankenhaushygiene an der Uniklinik in Homburg, haben die vom RKI veröffentlichten Corona-Fallzahlen inzwischen aber ohnehin nur noch eine geringe Aussagekraft. Zu Beginn der Pandemie seien sie wichtig gewesen, um die Entwicklung in den Krankenhäusern und insbesondere auf den Intensivstationen vorhersagen zu können.
Keine Vorhersage mehr
Mit der Impfung und auch mit der Omikron-Variante hätten sich die Infektionen aber von der Klinik-Auslastung entkoppelt, so Gärtner. „Man kann nicht mehr so richtig ausrechnen, was nachher auf den Intensivstationen ankommt.“
Um herauszufinden, wie weit Corona in der Gesellschaft verbreitet ist, verweist Gärtner auf das Abwassermonitoring. Das werde weltweit oft eingesetzt und seit einigen Monaten auch im Saarland aufgebaut.
Wichtig sind die Intensivstationen
Durch die Untersuchung von Abwasser lassen sich zwar keine genauen Fallzahlen bestimmen. Eine grobe Entwicklung lasse sich aber ablesen. Gärtner schränkt aber ein: „Wen interessiert, wie viele Menschen infiziert sind? Die Frage ist: Wie viele Menschen sind krank?“
Um das zu beantworten, sei ein Monitoring der Intensivkapazitäten wichtig. Das sieht man auch im Gesundheitsministerium so. „Insbesondere die Belastung der Krankenhäuser und des Gesundheitssystems durch schwere Covid-Infektionen ist ein Parameter, der unabhängig von der Zahl der durchgeführten Testungen ein verlässlicher Marker ist, wie schwer die aktuelle gesundheitliche Belastung durch Covid ist.“
Stationäre und Intensivpatienten
Langzeitfolgen könnten zum Problem werden
Hausarzt Dr. Michael Kulas verweist noch auf einen weiteren Aspekt, die Langzeitfolgen einer oder mehrerer Corona-Infektionen. „Wir haben im Moment große Probleme mit Patienten, die jetzt ein zweites oder drittes Mal Corona haben, die eine chronische Fatigue entwickeln.“
Symptome der Fatigue sind beispielsweise andauernde Müdigkeit, Erschöpfung und Konzentrationsschwächen, und das über Wochen. Das seien Folgen, die man aus anderen Situationen nicht kenne, so Kulas. „Das könnte uns irgendwann auf die Füße fallen.“