Wie Vereine Gräben überbrücken wollen
Immer wieder ist von der Spaltung der Gesellschaft die Rede – als Drohung oder Tatsache. Doch gibt es sie überhaupt? Und wenn ja, was können wir dagegen tun? Bei Vereinen und Verbänden im Saarland sind durchaus Tendenzen erkennbar – und Ideen, wie man dem entgegenwirkt.
Ist unsere Gesellschaft gespalten? Eine einfache Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt. Noch schwieriger scheint die Antwort auf die Frage, was gegen eine mögliche Spaltung getan werden kann – gerade angesichts der immer noch nicht überstandenen Pandemie, des Ukraine-Krieges und der explodierenden Lebenshaltungskosten, ganz zu schweigen von den Herausforderung der Integration von Geflüchteten und Zuwanderern.
Für die ARD-Themenwoche „Wir gesucht – was hält uns zusammen?“ haben wir mehrere saarländische Vereine und Institutionen angefragt, ob sie Spaltung erleben, wo sie Gräben sehen und wie diese überwunden werden können. Einige wollten sich nicht dazu äußern oder ließen die Anfrage unbeantwortet.
„Man wird direkter zur Zielscheibe“
„Meine persönliche Meinung ist schon, dass es eine Spaltung in der Gesellschaft gibt“, antwortet Stefan Regert, Präsident des Verbandes Saarländischer Karnevalsvereine (VSK). Er verweist auf Debatten wie die um Blackfacing und Indianerkostüme, auf die Anerkennung von Brauchtum, Schwarz-Weiß-Denken und immer enger werdenden Spielraum – aber auch auf die Corona-Pandemie und ihre Folgen.
„Man wird direkter zur Zielscheibe einer öffentlichen Diskussion und Debatte“, sagt er mit Blick auf die Ehrenamtler in den Fastnachtsvereinen. Diese seien in den letzten Jahren hart getroffen worden. „Dabei haben sich viele aus den Vereinen verabschiedet, sich anderen Hobbys zugewandt. Es braucht nochmal eine Rückendeckung der Politik, schwierige Themen der Ehrenamtler anzuhören und sie bei der Abarbeitung auch aktiv zu unterstützen.“
Vereine als Spiegel der Gesellschaft
In eine ähnliche Kerbe schlägt auch Simon Kirch, Geschäftsbereichsleiter Bildung & Gesellschaft beim Landessportverband für das Saarland (LSVS). „Wir sind als LSVS, als organisierter Sport im Saarland, in ganz vielen Dörfern, gerade im Nordsaarland, oft die letzte Institution, wo noch Gesellschaft, Gemeinschaft stattfindet.“
350.000 Saarländerinnen und Saarländer seien Mitglied in einem der rund 2000 Sportvereine, dazu kämen noch viele, die sich ohne Mitgliedschaft engagieren. „Das heißt, alle Probleme der Gesellschaft finden sich automatisch im Sportverein wieder.“ Die Sportvereine sieht Kirch als eines der letzten Lagerfeuer im Dorfleben. Entsprechend schlügen sich dort auch alle gesellschaftlichen Tendenzen nieder. Dazu gehört dann auch Verdrossenheit und Ablehnung, wie sie etwa bei „Querdenkern“, Verschwörungstheoretikern, Fremdenfeinden und Extremisten zu finden ist.
Nach seiner Beobachtung haben sich diese negativen Tendenzen seit 2015 verstärkt, wobei aber vieles unter dem Radar läuft. Als Problem sieht der LSVS-Bereichsleiter dabei auch die mangelnde Kommunikation der Vereine untereinander und mit dem Verband – ein Lernen voneinander fehle.
Verschwörungserzählungen nur im Einzelfall
Teil der problematischen gesellschaftlichen Entwicklungen, die sich auch in den Vereinen widerspiegeln, sind Verschwörungserzählungen und Versuche von Rechtsextremen, an Einfluss zu gewinnen. Vor allem in Ostdeutschland, so Kirch, gebe es teils Sportvereine, die komplett von rechts unterwandert sind.
Das sei für das Saarland „in keinem Fall bekannt“. Stattdessen gebe es hierzulande Einzelfälle, besonders seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, wo es zu Verwerfungen gekommen sei. „Das hat dann aber in der Regel dazu geführt, dass einzelne Menschen aus den Vereinen ausgetreten sind oder sich mit den anderen Mitgliedern überworfen haben.“
Insgesamt sind diese Probleme für Kirch nicht größer als in der Gesamtgesellschaft auch. „Aber das Schöne am Sport ist: Es muss auch jeder Farbe bekennen. Man redet miteinander.“
Soziale Frage, Integration und Bildungschancen
Für Peter Müller, Pressesprecher des 1. FC Saarbrücken, ist die Spaltung der Gesellschaft „eine sehr abstrakte Betrachtungsweise, vorzugsweise befeuert durch den politischen Diskurs“. Je nach politischem Spektrum werde sie befeuert, bekämpft oder auch ignoriert. „Fest steht, dass es in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft immer Unterschiede geben wird, sowohl weltanschaulich als auch in der Lebensführung.“
Gefährlich werde es immer, so Müller, wenn Gruppen vor dem vermeintlichen Hintergrund einer drohenden Gefahr gegeneinander ausgespielt werden können. Inwieweit dies vermieden werden kann, hänge von der integrativen Fähigkeit der politischen Entscheidungsträger ab. „Als Grundprobleme sehen wir die soziale Frage mit einem erheblichen Auseinandergehen der Einkommensstruktur, die Integration von Migranten und die unterschiedlichen Bildungschancen je nach sozialer Herkunft an.“
Grundtugenden fehlen
Für Müller macht sich die Spaltung besonders in der Nachwuchsarbeit bemerkbar. „Auffallend ist, dass wir im Gegensatz zu früher gerade bei unseren Jugendlichen eigentlich selbstverständliche Grundtugenden neu erschließen müssen. Disziplin, Rücksichtnahme, gemeinsames Handeln oder Teambildung erfordern mehr Aufmerksamkeit.“
Das korrespondiere durchaus mit den Erfahrungswerten aus den Schulen, ist sich der Sprecher des Saarbrücker Fußballclubs sicher. „Hier leisten wir sozusagen Ergänzungsarbeit.“
Integration trotzdem gelungen
Der Migrationsanteil der FCS-Spieler mit allen Facetten sei kontinuierlich gestiegen. Religiöse oder kulturelle Problemstellungen liefen im Hintergrund immer mit, etwa bei der Verpflegung der Tageskinder. „Die Integration kann aber als gelungen bezeichnet werden, da die beschriebenen Risse bei uns keine Rolle spielen. Wir stehen für Gemeinsamkeit in Vielfalt.“
Politisch motivierte Auseinandersetzungen würden beim FCS nicht akzeptiert, so Müller. „Sie spielen aber auch keine prägende Rolle, denn der Sport und der Spaß an der gemeinsamen Ausübung überwiegen alles andere.“ Nichtsdestotrotz beobachtet auch Müller die allgemeine Debattenkultur mit Sorge.
Antidiskriminierungs-Beauftragte beim Verein
Seit diesem Jahr hat der FCS mit Jasmin Dickerson eine Antidiskriminierungs-Beauftragte, die für das Thema Rassismus sensibilisieren soll. Diese Personalentscheidung war neben Problemen mit radikalen Anhängern aus der Fußball-Fanszene wohl auch eine Folge der Ereignisse um Dennis Erdmann. Der frühere FCS-Spieler soll Ende August 2021 bei einer Partie gegen den 1. FC Magdeburg mehrere Gegenspieler rassistisch beleidigt haben.
Erdmann war daraufhin im September vom Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zu acht Wochen Sperre und 3000 Euro Geldstrafe verurteilt worden – eine Strafe, die das DFB-Bundesgericht im Oktober abmilderte. Die Sperre wurde verkürzt, die Geldstrafe aufgehoben.
Erdmann selbst bestreitet, sich gegenüber den Magdeburger Spielern rassistisch geäußert zu haben. Im Januar dieses Jahres hatte er den FCS verlassen und war zu den Colorado Springs Switchbacks gewechselt.
Ehrenamt noch gut aufgestellt – Hilfe nötig
Gibt es noch genügend Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren? „Zum Glück gibt es sie noch“, stellt VSK-Präsident Stefan Regert fest. „Genug kann es wohl nie geben.“ Der Nachwuchs sei weiterhin gut bei der Stange, auch wenn es bei den Vorständen immer mehr Probleme gebe.
Ähnliches stellt auch der 1. FC Saarbrücken fest. „Wir sind in der glücklichen Lage, auf ausreichend viele ehrenamtliche Mitstreiter zurückgreifen zu können.“ Auch die Jugendmannschaften seien durchgängig besetzt, meist sogar doppelt.
Äußere Zwänge führen zu Rückgang
„Der Druck auf Ehrenamtler wird immer höher und anspruchsvoller“, so VSK-Präsident Regert. „Es gibt kaum mehr die Möglichkeit, alle Anforderungen aus dem Bereich des Steuer-, Finanz-, Rechts-, Datenschutz- und Kinderschutzbereichs zu überblicken, einzuhalten und mit hoher Motivation umzusetzen.“
Strenge Auflagen für Veranstaltungen und hohe Kosten trügen zur Verdrossenheit bei, stellt der VSK-Präsident fest. Hinzu komme der berufliche Druck und auch die Notwendigkeit eines zweiten oder sogar dritten Jobs.
Ähnlich sieht man es beim 1. FC Saarbrücken, Pressesprecher Peter Müller fügt allerdings noch hinzu, dass auch die öffentliche Wertschätzung für Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, zu wünschen übrig lässt.
Mehr Bewusstsein in Politik und Gesellschaft
Um die Probleme speziell der Sportvereine anzugehen, muss nach Ansicht von LSVS-Bereichsleiter Kirch bei der Politik ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass vor allem der Breitensport wichtig für die Dorf-, Land- und Stadtentwicklung ist. Kirch verweist hier auch auf die im Vergleich zu anderen Landesverbänden dünne Personaldecke. „Wir haben nicht wahnsinnig viel Personal, sollen aber sehr viele Aufgaben, genau wie die Vereine, vor allem ehrenamtlich, nicht nur bearbeiten, sondern die Probleme damit einhergehend lösen.“
Kirch verweist hier auf die geringe finanzielle Unterstützung der Vereine durch den Staat. Diese sei in anderen Bereichen wesentlich höher. Der Sport solle immer wieder Gräben zuschütten, soll Kinder bespaßen, soziale Ungleichheiten beseitigen, Integration und Inklusion fördern – ohne hinreichende Wertschätzung.
„Sport ist elementar für Menschen“
Das sage mehr über die Gesellschaft aus als die Probleme, die der Sport lösen soll. „Es braucht auch in der Gesellschaft das Bewusstsein dafür, dass die ganzen Leistungen, die Sportvereine bisher gebracht haben, nichts gekostet haben, dass sie aber schon sehr viel wert waren“, sagt Kirch.
LSVS-Vorstandsmitglied Johannes Kopkow fügt hinzu, es müsse ein anderes Verständnis von Sport und seiner Bedeutung für die Gesellschaft geben. „Sport ist nicht nur Freizeitgestaltung oder -beschäftigung. Sport ist elementar für den Menschen.“
Während der Corona-Pandemie, so Kopkow, habe die Zahl der im Sport ehrenamtlich Tätigen bundesweit um 25 bis 30 Prozent abgenommen. „Wenn jetzt drei von zehn nicht mehr da sind, dann haben wir als Sport ein elementares Problem.“ Zwar gebe es keine expliziten Zahlen für das Saarland, man könne sich aber am Bundesdurchschnitt orientieren.
LSVS fordert „Vereinskümmerer“ bei den Gemeinden
Der LSVS will die Vereinsstrukturen auf dem Land und in der Stadt erhalten und modernisieren. „Es braucht mehr Unterstützungsleistung für das Ehrenamt“, so Bereichsleiter Kirch. Man müsse Strukturen schaffen, in denen Ehrenamtler gerne bereit seien, ihre Zeit einzubringen. Dazu gehöre, gewisse Aufgaben zu verlagern, weg vom Ehrenamt hin zu hauptamtlich Tätigen.
Dafür braucht es für Kirch weniger Verwaltungsvorschriften und Anforderungen an Vereine auf der einen Seite, mehr Personal und mehr Geld auf der anderen. Kirch schwebt hier ein „Vereinskümmerer“ vor, der bei der jeweiligen Gemeinde angestellt ist und der sich beispielsweise um die Steuererklärungen der Vereine kümmert, ihnen also Arbeit abnimmt. Die Vereine müssten bei Management- und Buchhaltungsaufgaben entlastet werden.
Auch Vereine selbst müssen sich anpassen
Beim LSVS sieht man auch bei den Vereinen Veränderungsbedarf. Ihre Struktur müsse sich an die heutigen Anforderungen und Strukturen auf dem Land und in der Stadt anpassen, so Bereichsleiter Simon Kirch. Denn die Vereinsstrukturen seien immer noch ausgelegt auf das typische Dorf von vor 50 oder 60 Jahren.
So habe zum Beispiel kein Verein einen Mangel an Kindern in seinen Sportgruppen. Es fehlten aber Übungsleiter. Viele Menschen wohnten im Dorf, pendelten aber zur Arbeit, so Kirch weiter. Oft seien aus finanziellen Zwängen heraus beide Elternteile berufstätig. Es fehlten folglich die Ehrenamtler, dem LSVS fehlten „aber auch die Ressourcen, um hier einen schnellen Umschwung hinzubekommen“.