Spichern, Gräber von Gefallenen (Foto: Brigitte Henkes/SR)

Wo der Deutsch-Französische Krieg begann

Brigitte Henkes   07.08.2020 | 09:39 Uhr

1870 schlägt der Norddeutsche Bund im lothringischen Spichern Napoleon III. Der Sieg befeuert den deutschen Nationalismus - doch heute steht das Gedenken im Zeichen der deutsch-französischen Freundschaft.

 (Foto: Brigitte Henkes/SR)

Gläserklirren und entspanntes Gemurmel im Biergarten am Rande des einstigen Schlachtfeldes auf der Spicherer Höhe – nur ein Steinwurf entfernt von der Grenze zum Saarland. Im Gasthaus Woll treffen sich heute Lothringer und Saarländer in Eintracht nach Feierabend mit Blick auf das Kriegerdenkmal - ein schlichtes, hoch in den  Abendhimmel ragendes, weißes Kreuz aus Beton.

Der Mythos von Spichern

Es erinnert an die blutige Schlacht am 06. August 1870, als die Preußen den Norddeutschen Bund anführen und mit Hilfe der südlichen Staaten überraschend die Franzosen unter Kaiser Napoleon III schlagen. Dieser Sensationssieg führt zu einem wahren Heldenkult. Propagandistisch ausgeschlachtet und zum Mythos verklärt, befeuert er die nationale Bewegung, die schließlich zur Gründung des Deutschen Kaiserreichs unter Wilhelm I führt.

Durch die legendäre Schlacht von Spichern ist Saarbrücken plötzlich – auch von Berlin aus gesehen - mehr als nur ein weißer Fleck auf der Landkarte. Spichern wird zum Magneten einer Art Schlachtentourismus. Und auch die Haltung der Menschen an der Saar gegenüber Preußen, so der Historiker und Leiter des saarländischen Landesarchivs, Paul Burgard, ändert sich durch die nachträgliche Glorifizierung der Schlacht:

„In der Bevölkerung der Industrieregion, die geprägt war von den Arbeitermassen und einem überwiegend unternehmerischen Bürgertum, gab es plötzlich einen deutlichen Wandel von einer eher preußisch-skeptischen Haltung,  weg vom liberalen und nationalliberalen Flügel hin zu einem dezidierten preußisch-deutschen Patriotismus.“

Die Schmach der Niederlage

Für das französische Kaiserreich von Napoleon III ist die verheerende Niederlage von Spichern der Anfang vom Ende. Nach der verlorenen Schlacht von Sedan wird Frankreich zur Republik, muss hohe Kriegsentschädigungen zahlen und Elsaß-Lothringen an Deutschland abtreten. Eine Demütigung, die die „Erbfeindschaft“ vertieft und auch bei den beiden Weltkriegen eine Rolle spielt. Zur heute viel gerühmten deutsch-französischen Freundschaft ist es da noch ein weiter Weg.

Etwas abgekämpft, aber wissbegierig nähert sich eine bunt gemischte Besuchergruppe dem Mahnmal auf dem grünen Hügel vorm Gasthaus Woll.  Die 20 Männer und Frauen sind von Saarbrücken aus in der Sommerhitze den Berg hoch gekraxelt, genau wie die deutschen Soldaten damals. Die Katholische Erwachsenenbildung Saarpfalz hat am 150. Jahrestag der Schlacht von Spichern zum Rundgang auf dem Schlachtfeld eingeladen. Der Berg ist übersät von Gräbern, Gedenksteinen und Denkmälern für die deutschen und französischen Soldaten. Das stimmt auch Kurt Becker (28), nachdenklich:

„Da kann man viele Lehren daraus ziehen. Krieg ist kein valides Mittel der Politik, die Antwort lautet Europa, denn die europäische Einigung hat uns bislang die längste Periode des Friedens beschert.“

Sein Begleiter Jonas Abel, mit 22 der jüngste Teilnehmer, stimmt ihm zu. Mit Krieg seien keine Problem zu lösen. Er wünscht sich offene Grenzen, auch die jüngsten Grenzschließungen wegen der Corona-Pandemie könnten die deutsch-französische Freundschaft nicht gefährden.

Kurt Becker und Jonas Abel bei einer Führung auf der Spicherer Höhe (Foto: Brigitte Henkes/SR)
Kurt Becker und Jonas Abel bei einer Führung auf der Spicherer Höhe

Lehren aus dem Krieg

Auf deutscher Seite verlieren am 06. August 1870 850 Soldaten ihr Leben, 4000 werden verwundet. Die Franzosen zählen 320 Tote und 1660 Verwundete, 2100 Soldaten werden gefangengenommen.

Heiner Klein hat das Kriegstagebuch seines Urgroßvaters Wilhelm zum Rundgang mitgebracht. Der hat, bewaffnet mit einer Lanze, als Ulan der Kavallerie an der blutigen Schlacht teilgenommen und überlebt. „Mein Urgroßvater hat nach dem Krieg weiter als Schmied, Landwirt und Bergmann gearbeitet. Er hat das scheinbar gut überwunden. Aber so einen Krieg darf es nie wieder geben, und auch keine Einzelstaaterei!“

Maria Peter ist am 150. Jahrestag aufs einstige Schlachtfeld mitgekommen, weil der Krieg von 1870 in ihrer Familie am Küchentisch immer Thema war: „Ich bin Saarländerin mit französischen Wurzeln. Meine Oma ist sehr alt geworden, 93, und sie hat immer erzählt vom Krieg 1870, das hat mich geprägt.“

So sehr, dass sie darüber einen historischen Roman geschrieben hat.

Ein Stiefkind der Geschichtsschreibung

Nach dem Deutsch-Französischen Krieg sitzt die Schmach der militärischen Niederlage tief. Frankreich setzt von nun an alles daran, die Gebiete zurück zu erobern. Historiker sehen die Bedeutung der Schlacht von Spichern daher auch im Schatten der zwei Weltkriege. Paul Burgard hält eine weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema für längst überfällig:

„Es müsste dringend eine historische Neueinschätzung der Schlacht von Spichern vorgenommen werden. Sie war schon immer ein Stiefkind auch der bundesdeutschen Geschichtsschreibung. Es geht darum, die Mythen- und Legendenbildung zu ergründen und die darauf folgende Nationalbewegung zu verstehen." Das sei nicht nur landesgeschichtlich relevant.

Von der voll besetzten Terrasse beim Gasthaus Woll schallt am späteren Abend Gelächter und Gläserklirren. Zwei Männer verabschieden sich voneinander, jeder spricht seine Mundart, man versteht sich. Der eine steigt in einen Peugeot mit französischem Kennzeichen, der andere in seinen Audi mit Saarbrücker Nummer. Schon bald werden sie sich wohl  wieder auf der Spicherer Höhe treffen, im Biergarten "beim Woll".

Traditionsgaststätte Woll in Spichern (Foto: Brigitte Henkes/SR)
Traditionsgaststätte Woll in Spichern

Über dieses Thema berichteten auch die SR-Hörfunknachrichten am 06.08.2020.

Ihre Meinung

Push-Nachrichten von SR.de
Benachrichtungen können jederzeit in den Browser Einstellungen deaktiviert werden.

Datenschutz Nein Ja