Politik für eine Million: Nadine Schön (CDU) und Esra Limbacher (SPD) (Foto: SR)

Berliner Blase, Fleißarbeit und Sommertour

Nelly Thelen   25.07.2022 | 06:28 Uhr

Bundestagsabgeordnete haben Macht, Privilegien, leben in ihrer „Berliner Blase“. Bis mitten in der Nacht halten sie Reden im Plenum, rennen von einem Termin zum nächsten. Pendeln zwischen Berlin und Familie im Wahlkreis hin und her. Ein Blick hinter die Kulissen des Bundestagsalltags zweier saarländischer Abgeordneter.

Esra Limbacher, 33 Jahre, sitzt seit der letzten Bundestagswahl für die SPD im Bundestag. In der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause tritt er mittwochs um 19.00 Uhr seinen Schriftführerdienst im Plenum an. Insgesamt 66 Abgeordnete haben diese Aufgabe.

Damit ist er gerade Teil des Sitzungsvorstandes, sitzt vorne neben der Bundestagspräsidentin im Plenum, nimmt Anträge und Wortmeldungen entgegen oder stellt das Ergebnis von Abstimmungen fest. Bundestagsabgeordneter sein, das bedeute auf jeden Fall viel Fleißarbeit, sagt er, „die man, glaube ich, nicht oft sieht von außen“.

Das sei nicht schlimm, weil das eben zu seinem Job in Berlin dazugehöre. „Aber es ist schon viel ab und zu: Hin- und Hergerenne und Stress, der von außen nicht sichtbar ist.“ Frustriert sei er aber nicht, versichert er. Obwohl andere Neue im Bundestag direkt Karriere gemacht haben, in den Fraktionsvorstand gewählt wurden. Das sei eher ein Antrieb, erklärt er im Interview. 

Politisches Knäckebrot

Limbacher hält Reden Mitten in der Nacht - etwa im Mai tritt er erst nach 23.00 Uhr ans Rednerpult - über ein Thema, mit dem er im Wahlkreis wohl eher weniger punkten kann: „In Zeiten, in denen selbst Kanzlerkandidaten online gewählt werden, darf die Digitalisierung eben nicht vor dem Aktienrecht halt machen. Wir setzen das um und bringen die Digitalisierung auch in dieses Rechtsgebiet“, erklärt Limbacher selbstbewusst.

Nur noch wenige Abgeordnete sitzen um diese Uhrzeit im Reichstagsgebäude. Auch in der letzten Sitzungswoche wollte er sich zu diesem Thema zu Wort melden. Doch nachdem sich der Sitzungsablauf so nach hinten verschoben hatte, dass die Rede erst gegen ein Uhr am Morgen stattgefunden hätte, bat man ihn, sie doch nur zu Protokoll zu geben. Und so hat der junge Bundestagsabgeordnete von Februar bis zur Sommerpause nur zwei Reden im Bundestag halten können. 

Rückenwind in Berlin

Für Limbacher waren das jetzt seine ersten neun Monate im Bundestag, und er sagt, sie haben viel mit ihm gemacht: „Sie haben mein Leben, glaube ich, ein Stück weit verändert. Ich hoffe, und das ist mein Anspruch, dass ich zumindest als Person gleich geblieben bin, mich nicht umbiegen lasse. Aber mein komplettes Leben ist anders geworden.“ 

Limbacher übt sich in der politischen Fleißarbeit in Berlin – während die Sozialdemokraten im Saarland feiern und in einer Alleinregierung ihre Ideen umsetzen können - ohne Kompromisse eingehen zu müssen.

Limbacher ist der Meinung, zusammen mit den Politikerinnen und Politikern, die im Saarland aktiv werden, könne man wirklich viel erreichen. „Das ist sehr, sehr wertvoll, was im Saarland passiert ist und gibt Rückenwind auch für diejenigen, die hier in Berlin aktiv sind.“

Auch wenn die SPD im Saarland nun in einer Alleinregierung arbeiten kann – auch wenn daheim der SPD-Nachwuchs Karriere macht - er bereue es zu keinem Zeitpunkt sich für das Bundestagsmandat beworben zu haben. 

Ideelle Ziele vs. lokale Ideen

Es seien ideelle Ziele gewesen, die ihn als Jugendlichen bewogen haben, in die SPD einzutreten: „In Homburg gab es damals den Umwelt- und Friedenstag.“ Mit Themen, die ihn sehr angesprochen haben, nämlich das Ziel Weltfrieden und die enorme Herausforderung des Klimawandels.

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Nadine Schön, 39 Jahre alt, haben dagegen eher praktische Gründe bewegt: „Ich komme ja vom Dorf, da gab es viele Vereine, aber sonst keine Angebote für Jugendliche. Und deshalb hatten wir uns mit ein paar 15-Jährigen zusammengetan, um uns dafür einzusetzen, dass es einen Jugendraum gibt und ein multifunktionales Feld und haben selbst Bands eingeladen und Rockkonzerte veranstaltet. Das war der Beginn meiner politischen Tätigkeit.“ 

Sie gründeten im Ort die Junge Union. Ganz offen sagt sie: „Es hätte wahrscheinlich auch jede andere Jugendorganisation sein können.“ Aber je älter man werde, umso politischer werde man. „Und deshalb kam das relativ kompakt hintereinander, aber wohl schon in Schritten“, erklärt Schön weiter.

Andere Instrumente in der Opposition

Heute ist Nadine Schön stellvertretende Vorsitzende der CDU Saar. Doch im Vergleich zu den anderen Stellvertretern fährt sie beim Landesparteitag im März in Eppelborn das schlechteste Ergebnis ein. Und auch im Saarland findet sie sich seit der Landtagswahl im März in der Opposition wieder.

Die Oppositionsaufgaben kennt sie da seit einem halben Jahr aus dem Bundestag. Die Instrumente, mit denen man arbeite, seien andere. Die Union stelle jetzt mehr Anfragen, arbeite mit aktuellen Stunden, mit Initiativen, müsse pointierter auftreten und stärker fokussieren. Das verändere die Arbeitsweise.

Und natürlich verändere auch eine andere Spitze die Arbeitsweise: Friedrich Merz steht mittlerweile der Fraktion vor. Schön findet aber, die Unionsfraktion aus CDU und CSU habe sich mittlerweile gut „eingegroovt“ und nehme langsam diese Oppositionsrolle an.

Seit Februar hat die Bundestagsabgeordnete sieben Reden im Plenum gehalten. Als stellvertretende Fraktionsvorsitzende kommt ihr dabei eine besondere Rolle zu. Sie gibt sich angriffslustig in ihren Reden:

„Für den Data Act international ist Herr Wissing zuständig, national Herr Habeck, für das Dateninstitut Herr Habeck und Frau Faeser, fürs Datengesetz gibt es noch keine Zuständigkeit. Für KI sind Herr Habeck und Herr Buschmann zuständig, und bei allem vermisse ich Frau Stark-Watzinger. Sie ist für die KI zuständig, allerdings zusammen mit Habeck und Heil. Also das klingt alles nicht nach einer Stück digital und auch nicht nach einer stringenten Daten Politik.“ 

Opposition versus Regierung 

Die Entscheidungen treffen nun aber die eben genannten. Regierungsarbeit findet ohne die Union statt. Aufmerksamkeit zu erhalten, ist in der Opposition für Schöns Fraktion jetzt schwerer.

In der letzten Sitzungswoche versuchen es CDU und CSU mit einem parlamentarischen Trick: Sie beantragt eine Abstimmung, die im Hammelspung-Verfahren durchgeführt werden muss. Alle Abgeordneten müssen den Plenarsaal verlassen. Alle, die gerade in ihren Büros sind, machen sich auf den Weg zum Plenarsaal.

In allen Bundestagsgebäuden schrillt deshalb ein Signal, so dass alle wissen: Hammelsprung. Für die Abstimmung im Hammelsprung-Modus müssen alle durch Türen wieder eintreten. Es gibt quasi eine Ja-, eine Nein- und eine Enthaltungstür. 

Nadine Schön erklärt, Angela Merkel habe als Kanzlerin vor jedem Europäischen Rat eine Regierungserklärung gehalten. Olaf Scholz habe sich außer direkt am 27. Februar in der Sondersitzung danach wochenlang nicht mehr artikuliert - nicht zu seiner Haltung zum Thema Ukraine, zu den Waffenlieferungen, zu seinen Verhandlungen in Brüssel.

Deshalb die Abstimmung: Olaf Scholz als Mitglied des Bundestages sollte dorthin zurückkehren. „Das haben wir eingefordert. Und deshalb fordern wir auch bei relevanten Debatten, die die Menschen in unserem Land umtreiben, dass der Bundeskanzler auch im Plenum ist, dass er Reden hält und dass er sich auch das anhört, was die Abgeordneten zu sagen haben.“ Das sind die Spielregeln - Opposition versus Regierung, und nach denen wird auch in Kriegszeiten gerungen. Es läuft was das angeht also alles seinen gewohnten Gang im politischen Berlin. 

Auf Sommertour im Saarland

Der Bundestag macht seit 10. Juli Sommerpause – im Wahlkreis geht die Arbeit weiter. Im Saarland sind die beiden Bundestagsabgeordneten gerade auf Sommertour. Esra Limbacher besucht etwa freitagabends um 19.00 Uhr die Freiwillige Feuerwehr in Homburg-Jägersburg, macht bei deren Übung mit.

Die Ehrenämtler finden es „cool“, dass er sich mal dort blicken lässt, wollen ihm mit auf dem Weg geben, dass sie dringend Nachwuchs brauchen und mehr Anerkennung. Während der Übung aber ist dafür keine Zeit. Vielleicht beim Bier danach.

Für Limbacher ist klar: Man ist in Berlin oft in einer Blase. Man erkenne bestimmte Probleme gar nicht mehr. „Das heißt, der wichtigste Schritt ist erst mal, diese Probleme zu erleben und zu hören.“ Das gehe, in dem man im Wahlkreis unterwegs sei. 

Auch Nadine Schön sieht die optimale Ergänzung zwischen der Arbeit im Bundestag und der im Wahlkreis. Denn im Bundestag mache man seine Fachpolitik, und vor Ort ist der Kontakt zu den Menschen wichtig. „Auch der Besuch in Unternehmen, in Einrichtungen, zu den Themen, die wir im Bundestag fachlich beraten und das beides zusammengenommen, ergibt das ganze Bild. Und das ist beides gleichermaßen wichtig“, erklärt Schön. 


Die Serie

Die Serie "Politik für eine Million" ist eine Langzeitbeobachtung - wir begleiten die beiden saarländischen Bundestagsabgeordneten Nadine Schön (38 Jahre alt) und Esra Limbacher (32 Jahre alt) durch die neue Legislaturperiode.

In dieser Legislatur werden sie Gesetze mit verabschieden oder kritisieren. Parteivorsitzende werden gehen und kommen, Ministerinnen und Minister ernannt, die beiden Politiker werden einen neuen Kanzler mit wählen, durch Höhen und Tiefen ihrer Parteien gehen, Kompromisse werden geschlossen - als Abgeordnete werden sie Erwartungen erfüllen oder enttäuschen.

Dabei wird Nelly Thelen sie zwischendurch treffen und begleiten, in Berlin und im Saarland. Was können sie im Bundestag fürs Saarland erreichen, wo wirklich mit gestalten, was erleben sie und wie erleben sie die aktuellen Zeiten, die Politik. Schön und Limbacher machen Politik für eine Million - fürs kleine Saarland sind sie in Berlin. 

Die erste Folge:

Schön und Limbacher fürs Saarland in Berlin
Video [SR Fernsehen, (c) SR, 07.11.2021, Länge: 13:34 Min.]
Schön und Limbacher fürs Saarland in Berlin
Nadine Schön, CDU, 38 Jahre und Esra Limbacher, SPD, 32 Jahre, vertreten im Bundestag als Abgeordnete aus dem Saarland rund eine Million Menschen. Für Schön ist es ihre vierte Legislaturperiode, für Limbacher die erste. Die beiden Abgeordneten bewegen sich zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Verantwortung, Amt und Karriere.

Die zweite Folge:

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