OVG kippt Terminvergabe und 40-qm-Regel
Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes hat einen Teil der Beschränkungen für den Einzelhandel vorläufig außer Vollzug gesetzt. Damit fällt die Pflicht zur Terminvergabe weg und pro Kunde sind nur 15 Quadratmeter nötig. Das Gesundheitsministerium prüft rechtliche Schritte.
Nach Ansicht der Richter bestehen mittlerweile erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Die erforderliche Rechtfertigung zur Ungleichbehandlung einzelner Branchen sei nicht mehr zu erkennen. Zudem verletze die gegenwärtige Regelung die Grundrechte der Berufsausübungsfreiheit und der Eigentumsgarantie
Geklagt hatte die Inhaberin eines IT-Fachgeschäftes, das im Gegensatz zu Buchhandlungen oder Blumenläden Kunden nur nach Terminvergabe und beschränkt auf einen Kunden pro 40 Quadratmetern empfangen durfte.
Gesundheitssystem drohe derzeit keine Überlastung
Die Richter verwiesen auch darauf, dass ein vorrangiges Ziel der Maßnahmen war, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Derzeit deuteten die Zahlen aber nicht darauf hin, dass diese Belastungsgrenze erreicht werden könnte. Außerdem habe das RKI das Infektionsrisiko und den Anteil am Gesamtinfektionsgeschehen für den Bereich Einzelhandel als niedrig eingestuft.
Das Saarland muss nun eine Neuregelung festlegen. Bis dahin können ab sofort alle Geschäfte öffnen, sofern sie die Hygieneauflagen einhalten. Die Beschränkung von maximal einem Kunden pro 15 Quadratmetern hat weiterhin Bestand. Diese gilt derzeit etwa für Lebensmittelgeschäfte und Supermärkte.
Ministerium prüft rechtliche Schritte
Ob die Entscheidung vom Mittwoch endgültig ist, steht noch aus. Das saarländische Gesundheitsministerium teilte mit, das OVG-Urteil zu prüfen und vielleicht rechtlich dagegen vorzugehen. Untersucht werden soll, welche Konsequenzen eine Änderung der Corona-Verordnung haben könnte. Daraus resultierend würden eventuell Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt.
IHK begrüßt Urteil
Frank Thomé, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Saarland, nannte die OVG-Entscheidung „konsequent und richtig“. „Es bestanden erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit, einzelne Branchensegmente zu privilegieren. Darüber hinaus hat das Robert Koch-Institut den Anteil des Einzelhandels am Gesamtinfektionsgeschehen als niedrig eingestuft.“
Die Regelung, so Thomé, sei unverhältnismäßig gewesen. Das Urteil biete nun die Chance, Wettbewerbsverzerrungen gegenüber Rheinland-Pfalz zu beseitigen und so Shopping-Tourismus zu verhindern.
Linke: OVG-Urteil sorgt für Gerechtigkeit
Linken-Fraktionschef Oskar Lafontaine nannte die Entscheidung des Gerichts "erwartbar". Die Regierung habe nicht auf Dauer den Gleichheitsgrundsatz verletzen können, indem sie bestimmten Geschäften die Öffnung erlaube, anderen aber nicht.
Als noch wichtiger erachtet Lafontaine den Verweis des Gerichts auf die geringere Auslastung der Intensivstationen und sieht darin auch eine Aufforderung an die Landesregierung, sich künftig daran und nicht mehr an den Inzidenz-Werten zu orientieren.
Luksic: Öffnung dringend notwendig
Für FDP-Landeschef Oliver Luksic ist die Aufhebung ebenfalls „folgerichtig“: „Viele Geschäfte stehen durch die lange Schließung und mangelnde Hilfen vor dem Aus, eine Öffnung ist dringend notwendig.“
Für Luksic sind nun Schnelltests, Nachverfolgung per Smartphone-App und andere Technologien der Schlüssel, um auch Kultur, Sport und Gastronomie wieder schrittweise zu öffnen.
Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) im Saarland forderte als Konsequenz aus dem OVG-Urteil eine Neubewertung der weiterhin anhaltenen Schließung von Gastronomie und Hotels. „Für mich gibt es da nur eine logische Konsequenz“, so DEHOGA-Landespräsident Michael Buchna. „Im Sinne der Gleichbehandlung mit anderen Branchen und unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit muss eine frühere Öffnung des Gastgewerbes erfolgen.“ Auch über die Öffnungsbedingungen müsse man reden.
Über dieses Thema berichteten die SR-Hörfunknachrichten am 10.03.2021.