Darstellung des menschlichen Darms im Modell (Foto: IMAGO / ingimage)

Hype um das Mikrobiom: Saar-Forscher sieht viel Potenzial

Thomas Braun   24.11.2024 | 13:11 Uhr

Kann das Zusammenspiel von Darmbakterien eine Rolle bei Erkrankungen wie Depression, Parkinson oder auch Krebs spielen? Und was sagt eine Laboruntersuchung des eigenen Stuhlgangs und damit des Darmmikrobioms wirklich aus? Der saarländische Forscher Professor Andreas Keller klärt auf.

Mehr über das eigene Mikrobiom und die Darmflora herausfinden - und damit Krankheiten vorbeugen oder sogar heilen: Nicht erst seit der aktuellen Netflix-Doku "Hack your health" beschäftigen sich immer mehr Menschen mit dem Zusammenspiel der Bakterien auf und in ihrem Körper. Auch die ARD-Wissensendung "Planet Wissen" widmete sich bereits in einer kompletten Sendung dem Mikrobiom.

Das Mikrobiom meint dabei die Gesamtheit aller Mikroorganismen, also zum Beispiel Bakterien oder Viren, die den Menschen und andere Lebewesen besiedeln. Zum Beispiel im Darm - aber auch an anderen Körperstellen.

Spielen Darmbakterien bei Depressionen eine Rolle?

Aus aktuellen Studien weiß man etwa, dass die Darmflora auch die Psyche beeinflussen kann. Vor zwei Jahren war eine Studie der Uni Basel zu dem Ergebnis gekommen, dass die Einnahme von Probiotika die Wirkung von Antidepressiva verstärkt. Laut dem Berufsverband Deutscher Neurologen weisen andere Studien auch auf Zusammenhänge zwischen der Krankheit Parkinson und bestimmten Darmbakterien hin.

Saarbrücker Forscher wertet wachsende Aufmerksamkeit positiv

Am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) auf dem Saarbrücker Uni-Campus wird an Zusammenhängen zwischen dem Mikrobiom und möglichen Krankheiten geforscht. Dabei geht es vor allem darum, neue therapeutische Ansätze zu entwickeln - die eben bei neurodegenerativen Krankheiten wie Parkinson und Alzheimer, aber auch zum Beispiel auch zur Krebsbehandlung eingesetzt werden können.

Dass auch in der Öffentlichkeit das Mikrobiom und seine vielfältigen Wechselwirkungen immer mehr ins Bewusstsein rücken, wertet der an der Forschung beteiligte Bioinformatiker und Humangenetiker Professor Andreas Keller positiv.

Aussagekraft teurer Selbsttests derzeit noch stark eingeschränkt

Längst ist rund um das wachsende Interesse an einer gesunden Darmflora auch ein richtiger Markt entstanden. Zahlreiche Labore bieten teils für mehrere Hundert Euro Mikrobiom-Analysen des eigenen Stuhls an und versprechen ein höheres Wohlbefinden. Die Aussagekraft solcher Analysen im Selbsttest sieht Forscher Keller allerdings noch eingeschränkt.

"Die Wissenschaft ist noch dabei, die komplexen Zusammenhänge zwischen Mikrobiom und Gesundheit vollständig zu verstehen", sagte Keller dem SR. Die Mikrobiomanalyse sei noch kein Standard in der klinischen Praxis. Bislang würden sie nur in spezialisierten Kliniken und Forschungszentren genutzt - und dort auch nur auf bestimmte Anwendungen, etwa schwerwiegende Magen- und Darmerkrankungen, beschränkt.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten rät von den teuren Selbsttests ab. Die Aussagekraft sei eingeschränkt, sinnvolle therapeutische Maßnahmen derzeit noch nicht daraus abzuleiten.

Bedeutung im klinischen Umfeld steigt

Im klinischen Bereich könnte die Bedeutung der Tests künftig aber zunehmen, ist Keller überzeugt. Die Mikrobiomforschung sei ein schnell wachsendes Feld. "Mit dem fortschreitenden Verständnis der Rolle des Mikrobioms bei Erkrankungen könnte die Mikrobiomanalyse zukünftig eine größere Rolle in der Diagnostik und Therapie einnehmen", sagte Keller. "Je näher die Krankheit am Organ 'Darm' liegt, zum Beispiel bei entzündlichen Darmerkrankungen oder Adipositas, umso sinnvoller ist es, diagnostische Informationen aus dem Darmmikrobiom abzuleiten."

Anders sehe das derzeit noch bei komplexen Krankheitsbildern wie Angststörung, Depression, Autismus oder Krebs aus. Hier sei der Zusammenhang weniger direkt und oft noch nicht ausreichend erforscht. Viele der Beziehungen seien auch korrelativ, aber nicht kausal. "Die Mikrobiomveränderungen können auch Begleiterscheinung der Erkrankung sein und nicht deren Ursache", so Keller.

Bestimmte Bakterien bei Krankheiten häufiger oder seltener

Genau hier aber mehr Klarheit zu gewinnen, ist ein zentraler Bestandteil der Forschung am HIPS. In einer kürzlich im Nature-Magazin veröffentlichten Studie hatte eine große Gruppe rund um Keller und Forscher aus anderen Fachrichtungen fast 2000 Proben von gesunden und kranken Menschen gesammelt und das Mikrobiom analysiert. Die Auswertung zeigte, dass bei bestimmten Krankheiten manche Bakterien häufiger und andere dafür seltener im Mikrobiom vorhanden waren.

Diese Daten sind für Keller eine wissenschaftliche Goldgrube, die nun gemeinschaftlich ausgewertet werden. Das Ziel ist es, neue Therapieansätze für eine Vielzahl von Erkrankungen zu entwickeln.


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