Ein junger Mann hilft einer Seniorin beim Einnehmen einer Mahlzeit (Foto: picture alliance / dpa | Friso Gentsch)

Sozialeinrichtungen im Saarland brechen die Freiwilligen weg

Thomas Braun   10.05.2023 | 16:36 Uhr

Während der Corona-Pandemie ist die Zahl der Freiwilligendienstleistenden im Saarland stark gesunken - und hat sich seither nicht mehr erholt. Doch bereits davor gab es einen Rückgang. Woran das liegt und welche konkreten Forderungen sie an die Politik haben, erklären zwei betroffene Wohlfahrtsverbände.

Im Jahr 2019 hatten nach Angaben des Bundesfamilienministeriums mehr als 880 - meist junge - Menschen ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Saarland begonnen. Dann kam die Corona-Pandemie, die Zahlen brachen regelrecht ein. Im laufenden Jahr zählt das Ministerium knapp 620 FSJ-ler im Saarland, also ein Drittel weniger als vor der Pandemie.

Wie Corona sich auf den Freiwilligendienst auswirkte

Besonders stark waren die Zahlen beim Paritätischen Wohlfahrtsverband eingebrochen. Wies die Statistik 2019 noch 244 Freiwillige aus, sind es im laufenden Jahr gerade mal noch 93 - also weit weniger als die Hälfte. Hier hatte die Corona-Pandemie mit all ihren Einschränkungen massive Auswirkungen.

"Viele unserer Freiwilligen sind im Bereich der Pflege, der Eingliederungshilfe und Jugendhilfe eingesetzt", erklärt Melanie Müller, Leiterin des Kompetenzzentrums Freiwilligendienste beim Paritätischen Landesverband Saarland. Da gab es durch die Pandemie-Beschränkungen plötzlich hohe Hürden. Auch die übliche Praxis, erst einmal Probetage durchzuführen und so das Arbeitsumfeld kennenzulernen, war nicht mehr umzusetzen.

Hinzu kam: "Einige Einrichtungen haben in der Hochphase der Pandemie auch keine Freiwilligen angenommen, da es schwierig war, unter diesen Bedingungen ungelernte Kräfte einzuarbeiten."

Freiwilligendienst in direkter Konkurrenz mit Arbeitsmarkt

Von diesem Einbruch haben sich die Zahlen nicht mehr erholt - vielleicht auch, weil die Pandemie einen Trend verstärkte, der schon seit längerem zu beobachten ist. Denn auch schon vor Corona absolvierten immer weniger junge Menschen ein FSJ. Hier zeigt sich massiv der demographische Wandel und der immer härter werdende Nachwuchskampf auf dem Arbeitsmarkt.

"Viele Branchen suchen händeringend nach Arbeitskräften", sagt Müller. Der Freiwilligendienst steht schon seit längerem im Wettbewerb mit dem freien Wirtschaftsmarkt. "Wenn man hier nur mit einem 'Taschengeld' konkurriert, hat man schlechte Karten", so Müller weiter. Zumal den Sozialverbänden das Geld für Öffentlichkeitsarbeit fehlt und sie kaum für das FSJ werben können.

Inflation setzt FSJ-ler finanziell unter Druck

Das Geld ist generell eine Baustelle - denn FSJ-ler erhalten in der Regel nur eine vergleichsweise geringe Entschädigung. "Freiwilligendienst ist immer noch etwas, das man sich leisten können muss", bedauert Müller. Und gerade die aktuell hohe Inflation bringt viele FSJ-ler finanziell an ihre Grenzen.

FSJ nicht immer als Praktikumsnachweis anerkannt

Und noch ein weiteres Problem spricht Müller an: Ein FSJ werde nicht an allen Hochschulen als Praktikumsnachweis oder für den Numerus Clausus anerkannt. Das bemängelt auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO). Sie verweist zwar auf die Autonomie der Hochschulen - regt zugleich aber einen Runden Tisch mit dem Wissenschaftsminister und den Hochschulen an, um sich auf eine bestimmte Wertigkeit und Anerkennung der Freiwilligendienste zu einigen.

Freiwilligendienst: "Wir stellen fest, dass die Zahl sehr stark zurückgeht"
Audio [SR 3, Interview: Simin Sadeghi / Jürgen Nieser, 10.05.2023, Länge: 03:53 Min.]
Freiwilligendienst: "Wir stellen fest, dass die Zahl sehr stark zurückgeht"
In sozialen Einrichtungen fehlen zunehmend Helfer, die zum Beispiel ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) machen. Das beklagt die Arbeiterwohlfahrt. Dazu im Interview: AWO-Landesgeschäftsführer Jürgen Nieser.

Und gerade mit Blick auf die Erzieherinnen- und Erzieherausbildung an den entsprechenden Fachschulen könne das Saarland sogar per Landesrecht eingreifen. "Wer ein FSJ beispielsweise in der Jugendhilfe macht, soll anschließend nicht nochmal ein volles Praktikumsjahr beginnen müssen, dass Voraussetzung für den Schulbeginn ist", fordert AWO-Landesgeschäftsführer Jürgen Nieser. Hier könne das Land die entsprechende Verordnung einfach anpassen.

FSJ-ler keine Regelarbeitskräfte - aber große Bereicherung

Bei der AWO gab es vor der Corona-Pandemie noch rund ein Drittel mehr Freiwillige als jetzt. Diese "fehlen" zwar nicht - denn FSJ-ler oder auch Teilnehmer beim Bundesfreiwilligendienst würden nicht als Regelarbeitskräfte eingeplant, betont Nieser.

Dennoch sei es beispielsweise für Kita-Kinder ein Verlust. "Junge Menschen im freiwilligen sozialen Dienst bringen eine eigene Dynamik und einen eigenen Ton mit in der Ansprache. Das ist eine Abwechslung und eine Bereicherung", so Nieser.

Das gelte gleichermaßen für Senioreneinrichtungen, wo FSJ-ler oftmals solche Aufgaben übernehmen, für die im stressigen Pflegealltag selten Zeit ist: Spazieren gehen, Vorlesen oder einfach auch mal längere Gespräche mit den Bewohnerinnen und Bewohnern führen.

AWO: Freiwilligendienst sollte freiwillig bleiben

Nieser sieht die Träger, aber auch die öffentliche Hand gefordert, dass die Freiwilligendienste wieder attraktiver werden und bleiben. "Und zwar Freiwilligendienste und kein Pflichtdienst", betont Nieser. Denn den Pflichtdienst, der zuletzt immer wieder in der politischen Diskussion war, lehnt die AWO ab. Die Motivation der Menschen sei hier dann nämlich eine komplett andere.

Über dieses Thema berichtete die Region am Nachmittag auf SR 3 Saarlandwelle am 10.05.2023.


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