Der Radikalenerlass von 1972
Vor 50 Jahren führte der „Radikalenerlass“ zur Überprüfung Tausender Personen im öffentlichen Dienst. Als Reaktion auf die linksgerichteten Studentenproteste sollte verhindert werden, dass extremistische „Verfassungsfeinde“ Zugang zum Staatsdienst bekommen.
Studentenführer Rudi Dutschke hatte zum „Marsch durch die Institutionen“ aufgerufen. Dem sollte der sogenannte „Radikalenerlass“ entgegenwirken.
Durch den Beschluss des Bundes und der Länder vom 28. Januar 1972 wurden in den Folgejahren Millionen von Beamtenanwärtern im Zuge einer Regelanfrage beim Verfassungsschutz auf ihre politische Gesinnung hin überprüft.
Auswirkung Berufsverbot
Die Auswirkungen waren immens: Zahlreiche Bewerber erhielten keine Anstellung, Staatsbedienstete wurden entlassen – was für viele einem Berufsverbot gleichkam.
Zu den Betroffenen gehörten Lehrer, Postboten, Lokomotivführer und Justizmitarbeiter. In vielen Fällen reichte die einfache Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), um aus dem Staatsdienst entfernt oder gar nicht erst aufgenommen zu werden.
Abschaffung 1979
Aufgrund massiver Kritik wurde der Erlass 1979 von der amtierenden Bundesregierung abgeschafft. In einzelnen Bundesländern war die Regelanfrage beim Verfassungsschutz jedoch bis in die 1990er Jahre gängige Praxis.
Der damalige Bundeskanzler Willy Brandt bewertete den Beschluss von 1972, der unter anderem Personen wie den heutigen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann betraf, im Rückblick als großen Fehler.
Opfer warten auf Rehabilitation
1995 schließlich erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, dass der sogenannte Radikalenerlass sowohl gegen das Recht auf Meinungsfreiheit als auch gegen das Recht auf Versammlungsfreiheit verstoßen hat.
Viele der Opfer der politischen Verfolgung warten noch heute auf eine Rehabilitation und Endschädigung.
Zum Artikel: Kretschmann: Betroffenen des Radikalenerlasses geschah Unrecht
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