Glasfaserausbau: Arbeiter-Ausbeutung mit System?

Glasfaserausbau: Arbeiter-Ausbeutung mit System?

Daniel Novickij   12.06.2024 | 06:43 Uhr

Mehrere ausländische Bauarbeiter, die Glasfaser verlegt haben, haben offenbar wiederholt keinen Lohn erhalten. Eine SR-Recherche hat Fälle aus dem Saarland, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg dokumentiert. Die beschuldigten Firmen müssen sich zurzeit mehrfach vor Gericht verantworten.

Rissige Straßen, Schlaglöcher und lose Pflastersteine – so sieht es vielerorts im Saarland aus, nachdem dort Glasfaserkabel verlegt wurden, etwa in der Gemeinde Namborn. Auch in anderen Kommunen wie etwa in Wallerfangen kam es in der Vergangenheit beim Glasfaserausbau zu Schäden. Viele Verbraucher sind zunehmend verunsichert und wollen inzwischen aus ihren Verträgen wieder raus.

Video [aktueller bericht, 12.06.2024, Länge: 3:05 Min.]
Arbeiter beim Glasfaserausbau werden offenbar ausgebeutet

Eine SR-Recherche zeigt, die Missstände im Glasfaserausbau gehen noch darüber hinaus. Mehrere ausländische Bauarbeiter, die im Südwesten von Deutschland Glasfaserkabel verlegt hatten, bekamen offenbar für ihre Arbeit wiederholt keinen Lohn. Die Betroffenen wollten anonym bleiben, daher wurden ihre Namen im Artikel von der Redaktion geändert.

Ausbeutung in der Glasfaser-Branche? - Bericht eines betroffenen Arbeiters
Audio [SR 3, Daniel Novickij , 12.06.2024, Länge: 01:36 Min.]
Ausbeutung in der Glasfaser-Branche? - Bericht eines betroffenen Arbeiters

Mutmaßliche Ausbeutung im Saarland und Baden-Württemberg

"Ich fühle mich ohnmächtig und hilflos", sagt Carlos, denn er hat seit Monaten kein Einkommen mehr und muss derzeit seine letzten Ersparnisse aufbrauchen, um über die Runden zu kommen. Einige Firmen schulden ihm noch Geld. Er leitet einen Bautrupp, mit dem er im Südwesten Deutschlands unterwegs ist, um Glasfaserkabel zu verlegen. Sie sprechen kein Deutsch oder Englisch, denn Carlos kommt, wie seine Kollegen, ursprünglich aus Spanien und ist vor ein paar Jahren ins Saarland gezogen.

Glasfaserausbau: Arbeiter-Ausbeutung mit System?
Audio [SR 3, (c) SR 3, 12.06.2024, Länge: 03:39 Min.]
Glasfaserausbau: Arbeiter-Ausbeutung mit System?

Sie arbeiteten im vergangenen Jahr für das deutsch-spanische Subunternehmen Capital Glasfaser. Einige seiner Teammitglieder verlegten für das Unternehmen Glasfaser im Saarland. Carlos war dagegen für dieses in Baden-Württemberg aktiv. "Sie schulden mir etwa 30.000 Euro an Gehalt. Sie haben mir mehrere Monatslöhne nicht bezahlt", sagt Carlos. Auch seine Kollegen warten nach eigenen Angaben auf Zahlungen im mittleren vierstelligen Euro-Bereich.

Einen Arbeitsvertrag habe er nie von Capital Glasfaser erhalten, obwohl er offenbar mehrfach nach einem solchen verlangt hatte. "Ich habe auch nie eine Lohnabrechnung bekommen. Auch Sozialversicherungsbeiträge haben sie für mich nie bezahlt", so Carlos. Was er verdienen sollte, habe er damals mit einem der beiden Geschäftsführer von Capital Glasfaser mündlich vereinbart.

Nach SR-Recherchen verfügten die meisten der spanischen Bauarbeiter – anders als Carlos – über einen spanischen Arbeitsvertrag. Sie wurden für den Glasfaserausbau nach Deutschland entsandt. Für sie gilt in erster Linie das spanische Arbeitsrecht.

Mehrere Gerichtsverfahren gegen Capital Glasfaser

Carlos ist gegen Capital Glasfaser vor das Arbeitsgericht Reutlingen in Baden-Württemberg gezogen, um seinen ausstehenden Lohn einzufordern. Das belegt etwa ein Auszug eines Protokolls einer öffentlichen Prozesssitzung, der dem SR vorliegt.

Capital Glasfaser muss sich zudem vor anderen Gerichten wegen nicht bezahlter Rechnungen in Höhe von mehreren Zehntausend Euro in mehreren Fällen verantworten. Dazu liegen dem SR Gerichtsunterlagen vor. Der SR versuchte die Chefs von Capital Glasfaser mehrmals mit den Vorwürfen schriftlich und telefonisch zu konfrontieren. Ein Kontakt kam nicht zustande.

Bedingt das System prekäre Verhältnisse?

Die Deutsche Glasfaser baut im Saarland das Glasfasernetz eigenwirtschaftlich aus. Dafür hat das Unternehmen überwiegend Geodesia als Generalunternehmer mit dem Ausbau direkt beauftragt – auch in anderen deutschen Regionen kommt dieser Generalunternehmer zum Einsatz.

Geodesia soll vertragsgemäß knapp 300 Millionen Euro für den Glasfaserausbau in Deutschland bekommen. Der Vertrag zwischen der Deutschen Glasfaser und Geodesia liegt der Redaktion vor.

 (Foto: SR/ARD)
Beispielhafte Grafik darüber, wie Unternehmen im Glasfaserausbau im Saarland organisiert sind.

Von diesem Geld scheint bei den Bauarbeitern aber am Ende nur wenig anzukommen, wie die SR-Recherche zeigt, denn Geodesia engagiert für den Glasfaserausbau weitere Subunternehmen, wie etwa Capital Glasfaser. Dieses beauftragt nach SR-Infos wiederum eine weitere Subfirma.

Schließlich ist eine Unternehmenskette von drei bis vier Unternehmen für den Glasfaserausbau in einer Region verantwortlich. Dabei sinkt die Gewinnspanne nach SR-Informationen mit jedem weitergegebenen Auftrag immer weiter.

Deutsche Glasfaser beantwortet keine einzige Frage konkret

Ein SR-Interview lehnte die Deutsche Glasfaser ab. Konkrete Fragen in einem mehrseitigen Fragekatalog, wie etwa zur Zusammenarbeit und zur Prüfung von Capital Glasfaser, blieben unbeantwortet. Stattdessen gab es nur ein kurzes allgemeines schriftliches Statement:

Wir verpflichten unsere 80 Baupartner, dass sie sich an alle Vorschriften und gesetzlichen Regelungen halten. Abweichungen hiervon sind für uns inakzeptabel. Den konkreten Sachverhalt prüfen wir intensiv.

Auch auf telefonische Nachfrage hieß es, es werde dazu keine Details geben. Die Untersuchungen dazu blieben intern.

Geodesia bricht Zusammenarbeit frühzeitig ab

Generalunternehmer Geodesia stand für ein Interview ebenfalls nicht zur Verfügung. Das Unternehmen bestätigte dem SR schriftlich, Capital Glasfaser als Subunternehmer unter Vertrag genommen zu haben. Allerdings sei das Vertragsverhältnis frühzeitig beendet worden.

Capital Glasfaser habe sich als "leistungsschwaches Subunternehmen" herausgestellt, das dem von Geodesia eingeforderten Qualitätsstandard im Glasfaserausbau offenbar dauerhaft nicht gerecht wurde. Vorwürfe gegen Capital Glasfaser seien Geodesia nicht bekannt.

Geodesia halte sich an das Gesetz und verpflichte seine Vertragspartner vertraglich dazu. "Wir erwarten von unseren Vertragspartnern, dass sie ihren vertraglichen Pflichten, einschließlich der Zahlung von Arbeitslöhnen, fristgerecht und vollständig nachkommen", so Geodesia.

Ausbeutung in Rheinland-Pfalz? Firmenchefs wohl untergetaucht

Diego hat in Rheinland-Pfalz für das spanische Subunternehmen Union de Telecomunicaciones 20-22 SL Glasfaserkabel verlegt. Er hat einen spanischen Arbeitsvertrag mit der Firma, der dem SR vorliegt. "Sie schulden mir bis zu 6000 Euro", sagt Diego. Das Subunternehmen habe ihm mehrere Monate keinen Lohn überwiesen.

Er hat das Unternehmen in Spanien angezeigt. Ein Schlichtungsverfahren vor dem Sozialgericht in Madrid blieb erfolglos, da die Firmenvertreter zur Verhandlung einem Gerichtsschreiben zufolge nicht erschienen sind. Einige Monate später erhielt Diego ein Schreiben des spanischen Arbeitsministeriums. Demzufolge können die spanischen Behörden das beschuldigte Unternehmen nicht mehr ausfindig machen. Die Verantwortlichen scheinen untergetaucht zu sein.

"Wir sprechen jetzt schon von hochkriminellen Aktivitäten, wenn das Unternehmen von einem Tag auf den anderen verschwindet", sagt Karl H. Lincke, deutsch-spanischer Wirtschaftsanwalt und Präsident des Deutschen Anwaltsvereins Spanien aus Madrid. Eine Firma könne in Spanien einen Insolvenzantrag stellen oder sich ordentlich abmelden. In beiden Fällen seien die Behörden informiert und die Verfahren dauern mehrere Monate, so Lincke.

Eine telefonische Recherche an der offiziellen spanischen Adresse von Union de Telecomunicaciones 20-22 SL blieb erfolglos. Im Umfeld ansässige Firmen geben an, das Unternehmen nicht zu kennen.

Unsere Grüne Glasfaser setzt Firma auf "Blacklist"

Das Unternehmen Unsere Grüne Glasfaser (UGG) baut in den betroffenen Gebieten in Rheinland-Pfalz aus. UGG teilte dem SR mit, Union de Telecomunicaciones 20-22 SL habe für zwei seiner Generalunternehmen gearbeitet. Die Arbeiten der beschuldigten Firma waren "äußerst mangelhaft". Dadurch seien Schäden mit "erheblichen Mehrkosten" entstanden. Diese werden derzeit behoben. Die Leistung sei so schlecht gewesen, dass einige Arbeiten nicht bezahlt wurden. Das Geld werde stattdessen in die Reparatur gesteckt.

UGG habe nicht gewusst, dass Bauarbeiter vom spanischen Subunternehmen offenbar nicht bezahlt wurden. Die Gerichtsverfahren seien ebenfalls nicht bekannt. UGG erwarte von seinen Vertragspartnern, dass Arbeiter ordnungsgemäß entlohnt werden. Union de Telecomunicaciones 20-22 SL sei inzwischen auf einer internen "Blacklist", wodurch eine erneute Zusammenarbeit ausgeschlossen werde.

Ausländische Bauarbeiter offenbar oft nicht versichert

Betroffene, die im Saarland, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gearbeitet haben, berichteten dem SR, dass sie in Deutschland meist nicht oder kaum versichert waren. "Wenn du krank wirst, dann musst du den Arzt aus deiner eigenen Tasche bezahlen", erzählt Miguel. Er war für das spanische Subunternehmen Fibertecom24 SL in Baden-Württemberg beschäftigt.

"Wir hatten überhaupt keine Rechte. Das ist schon eine Art Mafia, weil die grundlegenden Rechte in der EU verletzt werden", so Miguel. Wer sich etwa über fehlende Arbeitsschutzausrüstung wie Helme oder Sicherheitsschuhe beschwert habe, sei sofort entlassen worden.

Das Subunternehmen scheint dabei seinen Pflichten nicht nachgekommen zu sein. "Auch in Spanien sind Firmen verpflichtet, für einen ausreichenden Arbeits- und Versicherungsschutz ihrer Arbeitnehmer zu sorgen", sagt Wirtschaftsanwalt Lincke. Man könne daher davon ausgesehen, dass das nicht korrekt gehandhabt wurde.

Illegale Klauseln in den Arbeitsdokumenten?

Miguel hat von seinem Arbeitgeber ein Dokument erhalten, das die allgemeinen Betriebsbedingungen beschreibt, also eine Art Regelbuch. Dieses liegt dem SR vor. Es enthält eine Klausel, die besagt, dass die Bauarbeiter vorsorglich jeden Monat 150 Euro von ihrem Gehalt pauschal abgeben müssen, um eventuelle Schäden an Arbeitsgeräten, die sie in der Zukunft verursachen könnten, zu begleichen.


Arbeitsbedingungen eines spanischen Subunternehmers in Baden-Württemberg mit einer pauschalen monatlichen "Abnutzungsgebühr" von 150 Euro. (Foto: SR)
Arbeitsbedingungen eines spanischen Subunternehmers in Baden-Württemberg mit einer pauschalen monatlichen "Abnutzungsgebühr" von 150 Euro.


"Das ist in der Tat etwas, was ich so noch nie gesehen habe. Ich fand das so kurios, dass ich bei meinen Kollegen nachgefragt habe. Und da gab es nur Stirnrunzeln", sagt Lincke. Das spanische Recht habe eine solche Regelung nicht vorgesehen.

Miguel hat das Unternehmen inzwischen nach SR-Informationen in Spanien angezeigt. Der SR wollte Fibertecom24 SL dazu befragen. Die offiziell hinterlegte Adresse führte aber nicht zum beschuldigten Subunternehmen. Weitere Kontaktdaten waren trotz SR-Recherche nicht ausfindig zu machen.

Deutsche Glasfaser geht auf Fragen zu Fibertecom24 SL nicht konkret ein

Die Deutsche Glasfaser baut auch in den betroffenen Regionen Baden-Württembergs eigenwirtschaftlich das Glasfasernetz aus. Das Unternehmen wollte sich auch zum Subunternehmen Fibertecom24 SL nicht konkret äußern.

Die Fragen zur Zusammenarbeit und zur Überprüfung von Fibertecom24 SL blieben unbeantwortet. Es blieb beim gleichen allgemeinen schriftlichen Statement:

Wir verpflichten unsere 80 Baupartner, dass sie sich an alle Vorschriften und gesetzlichen Regelungen halten. Abweichungen hiervon sind für uns inakzeptabel. Den konkreten Sachverhalt prüfen wir intensiv.

Saarland und Zoll wollen Missstände bekämpfen

Die saarländische Landesregierung will gegen die mutmaßliche Ausbeutung von ausländischen Bauarbeitern im Glasfaserausbau vorgehen. Saar-Arbeitsminister Magnus Jung (SPD) kündigte an, mit der Deutschen Glasfaser ein Gespräch führen zu wollen, um bessere Arbeitsbedingungen für die ausländischen Beschäftigten im Glasfaserausbau zu erreichen.

Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls plant, wegen der mutmaßlichen Ausbeutung von Bauarbeitern im Glasfaserausbau mit ausländischen Behörden stärker zusammenzuarbeiten. Das teilte das Bundesarbeitsministerium auf SR-Anfrage mit.

Der Behörde seien etwa Verstöße von spanischen Subunternehmen in Deutschland bekannt, die offenbar rumänische Bauarbeiter nicht entlohnt haben. Es gebe bereits entsprechende Ermittlungen.

Ein ausführlicher Beitrag zu dem Thema lief am 12.06.2024 um 21.45 Uhr bei Plusminus in der ARD.


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