Ein Wandkalender von 2023 (Foto: IMAGO / Zoonar)

Weniger arbeiten - mehr Lebensqualität?

Tobias Seeger / Onlinefassung: Kathrin Paul   08.05.2023 | 06:30 Uhr

Die Diskussion um die Vier-Tage-Woche taucht immer wieder auf. Zuletzt hatte die IG Metall in NRW darüber nachgedacht, mit dieser Forderung in die nächsten Tarifverhandlungen zu gehen. Welche Vorteile bieten neue Arbeitszeitmodelle, wo liegen die Risiken und wie realistisch sind kürzere Arbeitszeiten in Zeiten des Fachkräftemangels?

"Samstags gehört Vati mir" – mit diesem Slogan haben die Gewerkschaften in den 50er-Jahren die Fünf-Tage-Woche erkämpft. Seitdem ist dieses Arbeitszeitmodell hierzulande Standard. Doch so langsam stellt sich die Frage: Wie lange noch? Denn die Forderungen nach einer Vier-Tage-Woche werden immer lauter.

Zuletzt hatten die Gewerkschaften an ihren Kundgebungen zum ersten Mai einen weiteren freien Tag in der Woche gefordert – und bekamen prompt Rückendeckung von SPD-Chefin Saskia Esken.

Work-Life-Balance immer wichtiger

Bei Natursteine Glöckner in Neunkirchen ist die Vier-Tage-Woche in Teilen schon gelebte Realität. Vier der insgesamt 25 Angestellten bleiben am Freitag zu Hause, so wie Dirk Hammerschmidt. Der Steinmetz arbeitet dafür an den anderen Tagen der Woche jeweils eine Stunde länger. Für ihn perfekt. Er war der erste Mitarbeiter, der sich die Vier-Tage-Woche gewünscht hatte. Seine Chefin Katja Hobler war am Anfang eher skeptisch.

Weniger arbeiten - mehr Lebensqualität?
Video [SR Fernsehen, (c) SR, 04.05.2023, Länge: 06:00 Min.]
Weniger arbeiten - mehr Lebensqualität?

Für viele Beschäftigte wird die Work-Life-Balance immer wichtiger, das stellen auch Wissenschaftler fest, die zu Arbeitszeitmodellen forschen, wie etwa am Saarbrücker Institut für Sozialforschung. "Man sieht ja mittlerweile auch bei den Präferenzen, die Beschäftigte immer wieder äußern, dass Zeit als eine harte Münze mittlerweile gezählt wird, also der Aspekt Wohlstand nicht nur als materiellen Zugewinn oder als Zugewinn materieller Güter zu begreifen, sondern auch als ein Aspekt von Zeitwohlstand, dass das mittlerweile eine ähnlich hohe Präferenz genießt wie etwa Gehaltsvorstellungen", erklärt Professor Volker Hielscher, Wissenschaftlicher Leiter am ISO-Institut.

Beschäftigte zufriedener

In einer aktuellen Studie in Großbritannien haben 61 Unternehmen die Vier-Tage-Woche ein halbes Jahr lang getestet - oft bei vollem Lohnausgleich. Die Ergebnisse: 56 der Unternehmen wollen die Vier-Tage-Woche beibehalten, die Beschäftigten waren zufriedener und gesünder und die Produktivität ist insgesamt sogar gestiegen, weil in der kürzeren Zeit effektiver gearbeitet wurde.

In NRW will die IG Metall die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich in der nächsten Tarifrunde fordern. Im Saarland ist diese Frage noch völlig offen. Grundsätzlich sieht man aber auch hier großes Potenzial, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels.

Das sieht auch Lars Desgranges von der IG Metall Völklingen so: "Ich denke, das Thema Vier-Tage-Woche kann so ein Gamechanger sein, um Arbeitsplätze in einem Industriezweig noch mal modern und auch attraktiv zu machen und damit eben potenzielle Bewerber zu gewinnen, die sich vielleicht anderweitig sonst nicht in diesem Sektor beworben hätten."

Keine Produktivitätssteigerung in anderen Branchen

Das sehen die Arbeitgeber etwas anders. Und das liegt vor allem am geforderten Lohnausgleich. Weniger Arbeiten für das gleiche Geld, das könne so nicht funktionieren. Für die IG Metall Saar ist das ganze zurzeit auch noch eher Zukunftsmusik. Der Umstieg auf eine grüne Stahlproduktion verspreche aber langfristig neue Produktivitätsgewinne. Und dann könne auch die Vier-Tage-Woche realistisch werden.

Käme die Vier-Tage-Woche auch in anderen Branchen, dann gebe es einfach deutlich weniger zu verteilen, meinen die Arbeitgeber. Denn in Bereichen wie Handel, Dienstleistung oder Pflege sei die Produktivität kaum zu steigern.

Martin Schlechter, Hauptgeschäftsführer VSU (Vereinigung der Saarländischen Unternehmerverbände), äußert ebenfalls Bedenken: "Am Ende müssen wir sehen: Reicht die Arbeitskraft, die wir als Volkswirtschaft investieren aus, um den Wohlstand zu verdienen, den wir uns alle leisten wollen. Dazu gehört eine Auslandsreise, dazu gehört ein Auto, dazu gehört im Zweifelsfall ein Eigenheim und im Zweifelsfall auch die Finanzierung guter Bildung für unsere Kinder. All das müssen wir als Volkswirtschaft uns verdienen und die Frage ist: Geht das zukünftig in 30 statt in 35 Stunden pro Woche. Ich halte das als Volkswirt für sehr schwierig."

Die Diskussion um die Vier-Tage-Woche steht noch am Anfang, aber die Arbeitswelt ist im Wandel. Gut möglich, dass die Fünf-Tage-Woche langfristig irgendwann Geschichte sein wird.

Über dieses Thema berichtete auch die Sendung "Wir im Saarland - Das Magazin" vom 04.05.2023.


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