Feuerwerk an Silvester (Foto: IMAGO / Marius Schwarz)

„Für Kriegstraumatisierte ist Silvester eine Herausforderung“

Katja Hackmann   18.12.2022 | 12:12 Uhr

Ein Feuerball, der explosionsartig in den Himmel schießt und unter lautem Knall in zahlreiche bunte Fäden zerfällt: An Silvester begrüßen Menschen das neue Jahr vielerorts mit Feuerwerken – auch im Saarland. Für Geflüchtete kann diese Tradition herausfordernd sein. Trotzdem sollten sie nicht als Argument für ein Böllerverbot instrumentalisiert werden.

Seit Jahren wird darüber diskutiert, ob Böller knallen und Raketen zünden zum Jahreswechsel verboten werden soll. Umweltverbände sprechen sich seit Langem für ein Verbot aus, da so unter anderem laut einer Forschungsgruppe der Hochschule Pforzheim mehrere Tausend Tonnen Plastikmüll vermieden werden könnten.

Böller und Raketen können Trigger für Kriegsgeflüchtete sein

Auch aus anderer Perspektive kann das Feuerwerk zu Silvester belastend sein. Über eine Millionen Geflüchtete aus Kriegsgebieten kamen vergangenes Jahr nach Deutschland, davon die meisten aus der Ukraine. Warum Silvester sie wieder an traumatische Erfahrungen erinnern kann, erklärt Tanja Michael, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Saar-Universität.

„Für Menschen, die kriegstraumatisiert sind, ist Silvester eine Herausforderung. Es gibt viele Trigger, die einen in das Kriegsgeschehen zurückversetzen können: Man hat den Krach, den Rauch und auch den Geruch – das alles kann an das Erlebte erinnern.“

Die Hälfte der Kriegstraumatisierten entwickelt PTBS

Nicht bei jeder geflüchteten Person aus einem Kriegsgebiet rufen solche Umweltreize wie Raketen an Silvester traumatische Erinnerungen wieder wach. Man kann aber davon ausgehen, dass ungefähr 50 Prozent der Kriegstraumatisierten eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickeln, sagt Michael.

„Eine PTBS ist eine Störung, die man nach einem Trauma erlebt. Trauma ist all das, was Leib und Leben gefährdet. Dazu gehören Kriegserlebnisse, Vergewaltigungen oder andere schwere Übergriffe.“

Ein Symptombereich einer posttraumatischen Belastungsstörung ist das Wiedererleben. Dieses Symptom kann durch Reize wie Raketen und Böller getriggert werden. Es gibt aber auch noch viele weitere Reize, die Kriegsgeflüchtete in traumatische Erfahrungen zurückversetzen können, sagt Tanja Michael.

In einigen deutschen Städten und Gemeinden ist es dieses Jahr schon verboten, Böller und Raketen zu zünden. Die Städte Saarbrücken, Saarlouis und Homburg schließen nach einem Bericht der Saarbrücker Zeitung ein Verbot aber jetzt schon aus. Demnach kann man in der Nacht des Jahreswechsels im Saarland mit zahlreichen Feuerwerken rechnen.

Handlungsempfehlungen von der Psychotherapeutin

Kriegsgeflüchtete, die Raketen und Böller an Silvester nicht kennen, sollten über diese Tradition informiert werden: „Dafür zu sensibilisieren ist immer eine gute Idee, vor allem die Geflüchteten darauf vorzubereiten“, sagt Tanja Michael. So könnten sie selbst entscheiden, ob sie die Nacht lieber drinnen, allein oder in einer größeren Gruppe verbringen möchten.

Die Psychologische Psychotherapeutin warnt allerdings davor, Geflüchtete als Argument gegen Silvesterböller zu nutzen: „Es kann sein, dass man den Geflüchteten keinen Gefallen damit tut, wenn es heißt, ihretwegen dürfen Silvester keine Böller mehr gezündet werden“. Dies könne dazu führen, dass Menschen eher wütend und abneigend auf Kriegsgeflüchtete reagieren.

Tanja Michael behandelt in der psychotherapeutischen Ambulanz der Universität auch Geflüchtete aus Kriegsgebieten mit PTBS. Laut ihrer Aussage gibt es im Saarland nicht viele Stellen, die Geflüchtete behandeln.


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