Ein Screenshot einer mutmaßlichen Betrüger-Website (Foto: SR)

Betrüger prellen Anleger um Millionen

C. Deker / C. Uhl / J. Strozyk / N. Resch   03.07.2019 | 16:54 Uhr

Saarländische Ermittler haben weltweit agierende mutmaßliche Millionenbetrüger dingfest gemacht. Nach Recherchen von SR und NDR stehen sie im Verdacht, hunderttausende Deutsche mit fingierten Finanzwetten im Internet um hohe Summen betrogen zu haben. Auch Saarländer sind unter den Betroffenen.

Gemeinsam mit Ermittlern aus Österreich waren die saarländischen Ermittlungsbehörden über ein halbes Jahr hinter den mutmaßlichen Betrügern her. Nach Recherchen von SR und NDR sollen diese mit fingierten Plattformen für Finanzwetten im Internet binnen weniger Jahre hunderttausende Anleger aus Deutschland angelockt und viele davon betrogen haben. Weltweit dürfte die Zahl der Betroffenen in die Millionen gehen. Der entstandene Schaden könnte sich auf hunderte Millionen Euro belaufen.

Außergewöhnliches Verfahren

Das Ermittlungsverfahren habe "außergewöhnliche Dimensionen", sagt der leitende Oberstaatsanwalt Saarbrücken, Michael Görlinger. "Es haben im Laufe der Ermittlungen 35 Durchsuchungsmaßnahmen stattgefunden, über fünf europäische Länder verteilt." Es dürfte das größte Verfahren dieser Art sein, das es jemals in Europa gegeben hat.

Von den Trading-Plattformen, denen die Leute so massenhaft auf den Leim gehen, gibt es hunderte. Allein die Saarbrücker Ermittler gehen von über 400 verschiedenen Seiten aus. Bei fünf Plattformen glauben die saarländischen Behörden, die Hintermänner enttarnt zu haben. Es sind die Trading-Seiten "Option888", "TradeInvest90", "XMarkets.com", "ZoomTrader" und "TradoVest".

In den Kundendateien nur dieser fünf Anbieter finden sich die Namen von über 200.000 Deutschen. Wie viel Geld diese insgesamt verloren haben, lässt sich noch nicht beziffern. Rund 230 von ihnen haben bisher Strafanzeige gestellt, unter ihnen auch Saarländer. Allein der in den Anzeigen genannte Schaden beläuft sich auf fast 9,5 Millionen Euro.

Vorgebliche Berater am Telefon

Angeworben werden potenzielle Opfer vor allem im Internet, etwa über Anzeigen in sozialen Netzwerken. Sie werden eingeladen, Geld in hochspekulative Finanzgeschäfte zu investieren. Es sind Wettgeschäfte, beispielsweise darauf, ob Aktienkurse oder Währungen steigen oder fallen. Ermittler sagen: Diese Wetten sind in großem Stil gezinkt.

Wer sich auf einer Plattform anmeldet, bekommt über Telefon oder Chat einen "Berater" zur Seite gestellt. Aufgabe der "Berater" ist es nach Auffassung der Ermittler, die Kunden zu immer neuen Einzahlungen zu bewegen. Einige Opfer erzählen von massivem Druck, der dabei auf sie ausgeübt wurde. Andere berichten von leeren Versprechungen oder angeblichen Software-Fehlern. Am Ende steht für fast alle der Totalverlust des eingesetzten Geldes – nicht selten fünfstellige Beträge oder sogar noch mehr.

Was die Kunden nicht wissen: Auf den betrügerischen Plattformen wird vermutlich nie wirklich mit dem eingezahlten Geld gehandelt. Das eigene Trading-Konto, das den Nutzern angezeigt wird, die Gewinne und Verluste, all das ist den Ermittlungen zufolge nur Fassade. Einzahlungen geprellter Kunden, so der Verdacht, wurden größtenteils direkt abgezweigt.

"Dramen, die sich da abspielen"

"Es sind Dramen, die sich da abspielen", beschreibt die Wiener Wirtschaftsprüferin Elfriede Sixt die Situation von geprellten Kunden. Sixt hat die Initiative EFRI (European Funds Recovery Initiative) ins Leben gerufen, deren Ziel es ist, Betroffene dabei zu unterstützen, Geld zurückzubekommen. "Es gibt Familien, da haben der Vater, der Sohn und eventuell auch noch die Tante investiert", sagt sie. Mittlerweile vertritt EFRI bereits mehrere hunderte Opfer – unter ihnen viele aus Deutschland, aber auch aus dem europäischen Ausland oder sogar aus Übersee mit einer gesamten Schadenssumme von über 17 Millionen Euro. "Der typische Geschädigte ist der Rentner im besten Alter, der ein bisschen was gespart hat", erklärt Sixt, „doch auch wohlhabende Geschäftsleute fallen immer wieder auf die Betrüger herein.“

Konten bei deutschen Banken

Zu einigen der Trading-Seiten, die nicht Teil des Saarbrücker Verfahrens sind, konnten Reporter von SR und NDR Unterlagen einsehen. Daraus geht hervor, dass sich mutmaßliche Betrüger auch mehrerer deutscher Banken bedienten, um das eingezahlte Geld ihrer Kunden abfließen zu lassen.

Aus dem Umfeld einer der betroffenen Banken hieß es, die Konten seien dort unter falschen Angaben eröffnet worden, von Männern aus Litauen und Rumänien. Dabei hätten die Männer beispielsweise den Vertrieb von Software oder Beratungsleistungen als Geschäftszweck angegeben. Offenbar haben die mutmaßlichen Betrüger zur Tarnung sogar eigene Firmen in Deutschland gegründet oder übernommen. Bei den routinemäßigen Überprüfungen zur Geldwäsche-Prävention seien mehrere Konten aufgefallen und geschlossen worden, einige nach Monaten, eins bereits am ersten Tag.

Ein "Veteran" im Internet-Glücksspiel

Der Hauptverdächtige, der hinter den fünf Plattformen im Saarbrücker Ermittlungsverfahren stecken soll, ist ein 55-jähriger Deutscher. Er sitzt bereits seit Ende Januar in Österreich in Untersuchungshaft. Demnächst soll er ins Saarland ausgeliefert werden. Die Vorwürfe gegen ihn und vier weitere Beschuldigte wiegen schwer. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor. Sein Anwalt reagierte auf eine Anfrage zunächst nicht.

Im Online-Glücksspiel ist der Verdächtige kein unbeschriebenes Blatt, im Gegenteil: Die Agentur Bloomberg bezeichnet ihn sogar als "Veteran" der Branche. Laut Bloomberg eröffnete er schon Mitte der 90er Jahre eines der ersten Online-Casinos, in dem Nutzer mit echtem Geld zocken konnten. Der heute 55-Jährige soll demnach außerdem beim Aufbau bekannter Online-Poker-Plattformen beteiligt gewesen sein. Und bei öffentlichen Sponsorenterminen des Fußball-Bundesligisten 1. FC Köln war er vor einigen Jahren schon mal als Vertreter eines damaligen Sponsors mit dabei. Nach Informationen von SR und NDR lebte er bis zu seiner Festnahme vornehmlich in einem Tiroler Fünf-Sterne-Hotel und im noblen Küstenort Saint-Tropez an der Côte d'Azur.

Wann es zur Anklageerhebung kommt, ist noch unklar. Zuerst müssen die Ermittler noch einen Berg an Daten auswerten. Bei verschiedenen Razzien haben sie über fünf Terabyte Daten gesichert. Derweil zeigen Stichproben: Über andere zwielichtige Plattformen geht das Geschäft ungehindert weiter.

Über dieses Thema wurde auch in den SR-Hörfunknachrichten vom 03.07.2019 berichtet.

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