Neue Details aus Anklage im Fall Yeboah
Am 16. November beginnt der Prozess gegen den Neonazi Peter S. wegen Mordes an dem ghanaischen Asylbewerber Samuel Yeboah in Saarlouis vor über 30 Jahren und wegen 20-fachen versuchten Mordes. Nun sind weitere Details aus der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft bekannt geworden.
Wenige Wochen vor Beginn des Prozesses vor dem Oberlandesgericht Koblenz zum mutmaßlichen Mord an dem ghanaischen Flüchtling Samuel Yeboah vor mehr als 30 Jahren in Saarlouis sind weitere Details aus der Anklage bekannt geworden. Die Bundesanwaltschaft wirft dem heute 51 Jahre alten Neonazi Peter S. vor, Yeboah aus seiner rassistischen Gesinnung heraus heimtückisch mithilfe eines gemeingefährlichen Mittels ermordet zu haben. Zudem legt sie S. 20-fachen versuchten Mord zur Last.
Generalbundesanwalt erwartet Verurteilung
Auch wenn die Ermittlungen, die Ende 2019 wieder angelaufen waren, kein einziges "objektives Beweismittel" wie etwa eine DNA-Spur oder einen Benzinkanister erbracht haben – der Generalbundesanwalt ist überzeugt: Bei einer Gesamtwürdigung aller Beweisanzeichen sei eine Verurteilung des Angeschuldigten zu erwarten. Auf 73 Seiten zeichnet er ein "Gesamtbild", das Peter S. der Tat überführen soll.
Es ist eine Beschreibung der rassistisch geprägten Saarlouiser Skinheadszene von damals, eines gewaltbereiten Angeklagten Peter S., der den Anführer der Gruppe, Peter St., bewunderte und unter dessen "Fuchtel" stand. Es ist ein Sittenbild einer menschenverachtenden Szene, die Brandanschläge mit einem Glas Bier in der Hand bejubelte, eine strikt hierarchische Struktur hatte und damals wie heute konspirativ agierte.
Anstiftung oder Tat eines Einzelnen?
Peter S. gilt dem Generalbundesanwalt als Alleintäter. Zwar hatte er sich kurz vor der Tat zum Bier im Bayrischen Hof mit St. und einer weiteren Szenegröße getroffen und war dabei übereingekommen, so was wie in Hoyerswerda müsse auch mal hier, in Saarlouis, geschehen. Aber dann soll S. allein zur Asylbewerberunterkunft gegangen und den verheerenden Brand gelegt haben. Eine mögliche Anstiftung zur Tat spielt in der Anklage jedenfalls keine Rolle – und das, obwohl St. selbst diese Befürchtung in abgehörten Gesprächen gegenüber Dritten geäußert haben soll.
Im Prozess vor dem Oberlandesgericht könnte eine mögliche Anstiftung allerdings zur Sprache kommen. Die Verteidigung dürfte sie ins Spiel bringen. Dann wäre man auch schnell bei der Frage, ob es denn damals auch in der Saarlouiser Szene V-Leute von Staats- und Verfassungsschutz gab, die eventuell geschützt werden sollten. Über den Einsatz von V-Personen oder gar verdeckten Ermittlern wird seit Jahren spekuliert – in der Anklage gegen Peter S. werden V-Personen allerdings mit keinem Wort erwähnt.
Verbindungen zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU)?
Dass es Berührungspunkte zwischen der Saarlouiser Neonaziszene und den NSU-Mördern um Beate Zschäpe gab, ist seit Längerem bekannt. So hat der Beschuldigte Peter S. ein durchaus bemerkenswertes Tattoo am rechten Unterarm – eine Paulchen-Panther-Comicfigur, die ja in den Bekennervideos des NSU später eine Rolle spielte. Er selbst soll das Tattoo gegenüber einer Zeugin als "lustig" bezeichnet haben.
"Bezüge" zur Zschäpe-Gruppe aber kann der Generalbundesanwalt nicht erkennen. Peter S. und sein "Anführer" Peter St. seien zwar im August 1996 zu einem "Rudolf-Hess-Gedenkmarsch" nach Worms gereist, an dem auch Zschäpe teilgenommen habe, aber Verbindungen oder sogenannte "Kennverhältnisse" zum NSU seien nicht feststellbar.
Nur elf Monate ermittelt – Schlamperei bei Polizeiarbeit damals?
Der aktuelle Polizeipräsident Norbert Rupp hat sich für Ermittlungsfehler der Kollegen von damals in aller Öffentlichkeit entschuldigt. Es sei nicht zentral von Spezialisten, sondern vom örtlichen Kriminalkommissariat ermittelt worden, zudem habe man noch kein durchgängiges Vier-Augen-Prinzip gehabt. Nach nur einem Jahr waren die Ermittlungen 1992 von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden. In der rechten Szene wurden zwar Zeugen vernommen, deren Aussagen aber offenbar für bare Münze genommen.
Bereits am 1. Oktober 1991 – also ganze zwei Wochen nach dem tödlichen Brand – wurde die entsprechende Spurenakte von den beiden Kripobeamten geschlossen. Schon damals aber hatten sich die Neonazis über ihre Aussagen bei der Polizei offenbar abgesprochen. In Unkenntnis darüber, so die Feststellung des Generalbundesanwalts, sei man der Spur dann nicht mehr nachgegangen. Eine Bemerkung aus der Anklageschrift – für die Ermittler von damals alles andere als ein Ruhmesblatt.
Online-Wache bringt neuen Ermittlungsansatz
Fast 30 Jahre ruhte die Akte Yeboah. Am 12. Oktober 2019 machte dann eine Frau – nennen wir sie Gabi – einen Eintrag in der Online-Wache der Polizei. Sie berichtete von einem Treffen 2007. Auf einem Grillfest habe ihr Peter S. die Tat gebeichtet. Er habe das Gespräch auf den Brandanschlag gelenkt und sich zur Tat bekannt. Sinngemäß habe er gesagt: "Das war ich und sie haben mich nie erwischt." Zwölf Jahre hat Gabi, die selbst nicht zur rechtsextremistischen Szene gehört, dann zugewartet, bis sie zur Polizei ging. Für Prahlerei habe sie die Aussage von S. gehalten.
Dann aber sei 2019 in den Medien über "Cold Cases", ungelöste Mordfälle, und auch über Yeboah berichtet worden. Gabi ging online, erstattete ihre Strafanzeige. Der Generalbundesanwalt hält ihre Angaben für glaubwürdig, kann keine Belastungstendenz erkennen. Der Prozess gegen Peter S. beginnt am 16. November. Die Anklage hat 44 Zeugen benannt – Gabi dürfte eine Schlüsselrolle zukommen.
Über dieses Thema berichten auch die SR-Hörfunknachrichten am 23.09.2022.