Feiernde in einem Club. (Foto: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow)

K.o.-Tropfen im Saarland: "Gehen von hoher Dunkelziffer aus"

Martina Kind   22.07.2022 | 15:56 Uhr

Es braucht nur wenige Sekunden, um K.o.-Tropfen unbemerkt in ein Getränk zu mischen. Die Folgen einer Attacke mit solchen Substanzen können jedoch ein Leben lang währen. Passieren kann es überall, auch im Saarland ist die Gefahr groß. Umso wichtiger ist es, Symptome zu erkennen.

K.o.-Tropfen sind ein ernstzunehmendes Problem, auch im Saarland. Und nicht nur dort, wo viele junge Menschen die Nächte durchzechen, in den beliebten Bars und Clubs Saarbrückens. Sondern auch da, wo man es nicht vermuten würde: Immer wieder werden im Bekannten- oder Freundeskreis Fälle bekannt.

Die Gefahren von K.o.-Tropfen rücken meist erst dann ins Bewusstsein, wenn es einen besonders aufsehenerregenden Vorfall gab. Wie beispielsweise Anfang Juli, als bei einem Sommerfest der SPD-Bundestagsfraktion offenbar mehreren Frauen K.o.-Tropfen verabreicht wurden.

Dabei sollte das Thema immer in den Köpfen der Menschen präsent sein, gerade, wenn sie abends unterwegs sind und Alkohol im Spiel ist. Denn die Wirkung von K.o.-Tropfen wird oft unterschätzt: Bei einer Überdosierung können sie zum Koma oder gar zum Tod führen.

Hohe Dunkelziffer

Zwar gibt es keine verlässliche Statistik darüber, wie viele Menschen im Saarland (oder bundesweit) jährlich Opfer von K.o.-Tropfen werden. Aufschluss gibt aber eine Nachfrage bei den hiesigen Beratungsstellen für Betroffene sexualisierter Gewalt. Wie schätzen sie die Lage im Saarland ein?

"Es ist schwierig, ein Lagebild zu beschreiben, weil keine konkreten Fallzahlen vorliegen. Bei uns haben sich im vergangenen Jahr vereinzelt Frauen gemeldet", berichtet Jürgen Felix Zeck, Landesvorsitzender der Opferschutzorganisation Weißer Ring im Saarland. "Wir gehen allerdings von einer hohen Dunkelziffer aus."

Ähnlich äußern sich auch der Frauennotruf Saarland und Nele, die Fachberatungsstelle für sexuell missbrauchte Mädchen und junge Frauen. Das Landespolizeipräsidium berichtet zudem davon, dass es immer wieder zu Anzeigen in Zusammenhang mit K.o.-Tropfen kommt. "Die Gefahr von K.o.-Tropfen ist also auch hier sehr real", konstatiert die stellvertretende Frauenbeauftragte der Landeshauptstadt Saarbrücken, Claudia Huber.

Schwer nachzuweisen

Dass es keine Zahlen gibt, hat mehrere Gründe. Einer sei, dass sich Betroffene häufig schämten und sich schuldig fühlten, im Sinne von: Hätte ich mich beim Feiern mal mehr unter Kontrolle gehabt, wäre das vielleicht nicht passiert. Das sei auch genau der Satz, den Betroffene oft von ihren Angehörigen hörten, wenn sie sich diesen anvertrauten, sagt Zeck. "Hier fehlt leider häufig das Verständnis."

Außerdem, und das ist das Tückische an der Tatwaffe K.o.-Tropfen, sind sie Tätern nur sehr schwer nachzuweisen. So können die farb- sowie geruchs- und geschmacklosen Tropfen innerhalb weniger Sekunden unbemerkt ins Getränk gemischt werden, ein kurzer Moment der Unachtsamkeit genügt. Auf einer Party mit mehreren hundert Menschen kann also im Prinzip erst mal jeder als Tatverdächtiger infrage kommen.

Symptome bei K.o.-Tropfen

Nur etwa zehn bis 20 Minuten nach der Einnahme setzt die Wirkung ein: Betroffenen wird schwindlig und übel, sie können nicht mehr klar denken und fühlen sich, als wären sie stark betrunken. Für Außenstehende mag das auch tatsächlich so aussehen.

Je nach Dosierung der Tropfen können Betroffene allerdings kurz darauf bewusst- und damit wehrlos werden. Die Täter nutzen diese Zeit meist für Sexualdelikte oder andere kriminelle Handlungen. Die Wirkung der Tropfen kann dabei mehrere Stunden andauern.

"Wem auf einer Party plötzlich von jetzt auf gleich komisch wird, sollte seinen Freunden oder dem Wirt beziehungsweise der Wirtin direkt Bescheid geben", rät Zeck. Diese sollten wiederum den Rettungsdienst rufen, ihnen die Situation schildern und ihren Verdacht gleich mitteilen.

Beweise sichern

Schnelles Handeln ist wichtig, weil K.o.-Tropfen nur bis zu zwölf Stunden im Körper nachweisbar sind, eine Blut- oder Urinprobe also schnell gesichert werden muss. Bestehe der Verdacht einer Vergewaltigung, sollten Betroffene außerdem unter keinen Umständen duschen und ihre Kleidung nicht waschen. "An ihnen könnten Beweisspuren haften", so Zeck.

Im Saarland ist auch ohne Anzeige bei der Polizei eine anonyme Spurensicherung für Betroffene sexualisierter Gewalt möglich. Sie richtet sich an Personen, die nach einem Vorfall Zeit benötigen, um mit ihren traumatischen Erfahrungen umgehen zu können. Möglich ist eine vertrauliche Spurensicherung in ausgewählten Kliniken und gynäkologischen Facharztpraxen im Saarland. Welche das genau sind, wird auf dieser Seite gelistet.

Die Polizei rät allerdings dringend dazu, Anzeige zu erstatten. Das Verabreichen von K.o.-Tropfen kann Straftatbestände wie gefährliche Körperverletzung oder Verstöße gegen das Betäubungs- beziehungsweise Arzneimittelgesetz erfüllen. Nur mit Hilfe einer Anzeige ist es möglich, Täter zu ermitteln – und so auch Andere zu schützen.

Vorfälle auch im privaten Umfeld

"Man sollte nie ausschließen, selbst Opfer einer K.o.-Tropfen-Attacke zu werden", mahnt Zeck. Tatsächlich komme es nicht eben selten auch im persönlichen Umfeld dazu.

Er selbst habe einen Fall betreut, bei dem eine junge Frau am Morgen nach einer privaten Feier im Bett des Gastgebers aufgewacht sei. Sie sei vergewaltigt worden, nachdem ihr K.o.-Tropfen verabreicht worden waren. "Wir haben der Frau psychotherapeutische Hilfe vermittelt."

Gerade nach solchen Erfahrungen sei es für Betroffene schwierig, wieder Vertrauen zu ihren Mitmenschen zu fassen. Umso wichtiger ist es dann, dass Angehörige empathisch reagieren und ihnen seelischen Beistand leisten.

Schutz gegen K.o-Tropfen

Es gibt einige Schutzmaßnahmen, die das Risiko einer unfreiwilligen Einnahme von K.o.-Tropfen reduzieren:

  • Keine Getränke von Anderen, vor allem nicht von Unbekannten annehmen, sondern sich immer selbst um sein Getränk kümmern.
  • Sein Getränk nie unbeobachtet lassen.
  • Im Freundeskreis immer aufeinander achtgeben.
  • Auf sein Bauchgefühl hören und Personen meiden, die einem komisch vorkommen und Unbehagen auslösen. Im Zweifel dem Barpersonal Bescheid geben.

Der effektivste Schutz sei aber immer noch Aufklärung, sagt die stellvertretende Frauenbeauftragte Huber. Deswegen arbeite man aktuell an einer Kampagne zum Thema K.o.-Tropfen, an der neben dem Frauennotruf und Nele unter anderem auch das Sozialministerium beteiligt ist.

"Das Thema ist ein enorm wichtiges, wofür auch gerade die jungen Menschen sensibilisiert werden müssen, die zwei Jahre keine Chance auf ausgelassenes Feiern hatten", sagt Huber.

Beratung, auch anonym, erhalten Betroffene im Saarland bei:


Als K.o.-Tropfen werden verschiedene Arten von Drogen bezeichnet, etwa Ketamin, ein Narkosemittel aus der Tiermedizin, und GHB (Gammahydroxybuttersäure), umgangssprachlich Liquid Ecstasy genannt.

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