Eine Frau wird belästigt und hält die Hand zur Abwehr (Foto: Imago/Blickwinkel/Erwin Wodicka)

An wen sich von Gewalt betroffene Frauen wenden können

Tabea Prünte   25.11.2021 | 09:00 Uhr

Viele Frauen erleben häusliche Gewalt, und die Corona-Lockdowns haben das Risiko nochmals erhöht, zeigt eine bundesweite Statistik. Doch haben dadurch auch die Nachfragen bei Beratungs- und Schutzstellen im Saarland zugenommen? Verschiedene Anlaufstellen im Saarland zeichnen ein Bild der Situation.

„Jede vierte Frau erlebt in ihrer Partnerschaft Gewalt durch den Partner oder Ex-Partner, jede siebte Frau erlebt Formen von extremer sexueller Gewalt, also zum Beispiel Vergewaltigung, jede dritte Frau erlebt sexuelle Übergriffe an ihrem Arbeitsplatz oder auf der Straße oder im Bus", listet Antonia Schneider-Kerle die erschreckenden Fakten auf.

Obwohl diese Zahlen aus einer bundesweiten Statistik schon einige Jahre alt sind, haben sie kaum an Aktualität verloren, sagt die Mitarbeiterin vom Frauennotruf im Saarland, eine Beratungsstelle für Frauen, die Gewalt erfahren haben.

Viele Fälle häuslicher Gewalt

Das kann die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sein, Stalking, eine lang zurückliegende Vergewaltigung, sexuelle Ausbeutung in der Kindheit, Psychoterror oder häusliche Gewalt", erläutert Schneider-Kerle.

Knapp 2000 Gespräche hat die Beratungsstelle im Jahr 2020 geführt. Der häufigste Grund für die Kontaktaufnahme war häusliche Gewalt. 42 Prozent der Fälle hingen damit zusammen.

Während Lockdowns weniger Anfragen

Die fünf Mitarbeiterinnen des Frauennotrufs, der in Saarbrücken sein Büro hat, aber Frauen im ganzen Saarland unterstützt, vermitteln die Betroffenen zu Therapeutinnen und Therapeuten, stellen einen Kontakt zu einer Rechtsanwältin oder einem Rechtsanwalt her oder fragen bei Bedarf einen Platz in einem der Frauenhäuser im Saarland an.

Sonja Bader (links), Antonia Schneider-Kerle (rechts), Frauennotruf Saarland  (Foto: Tabea Prünte/SR)
Sonja Bader (links), Antonia Schneider-Kerle (rechts), Frauennotruf Saarland

Die Pandemie hat sich deutlich auf die Arbeit beim Frauennotruf ausgewirkt. Obwohl das Risiko, häusliche Gewalt zu erfahren, während der Lockdowns gestiegen war, meldeten sich zunächst weniger Frauen bei der Beratungsstelle. "Wenn die ganze Familie da ist, die Gewalttäter nicht zum Arbeitsplatz gehen, die Kinder zu Hause sind, dann ist natürlich dieser Freiraum nicht da, Beratungen in Anspruch zu nehmen", erklärt Schneider-Kerle.

Frauenhäuser "systemrelevant"

Eine ähnliche Entwicklung hat die Leiterin der Frauenhäuser der Arbeiterwohlfahrt im Saarland, Mascha Nunold, beobachtet. Trotzdem war weiterhin klar, "dass wir ein systemrelevantes Hilfesystem sind und dass die Frauenhäuser weiter arbeiten. Und wir haben auch im Saarland all unsere Kraft und Energie reingesteckt, das Schutzangebot weiter offen zu halten."

Denn die Situation erfordere dies klar. "An jedem dritten Tag bringt ein Mann in Deutschland seine Partnerin um", führt Nunold an. Eine Gefahr sei nicht immer nur der Partner, sondern auch manchmal das ganze Familiensystem, also auch Eltern oder Geschwister. "Solange wir die Zustände so haben, dass Frauen Angst um ihr Leben und das Leben ihrer Kinder haben, ist es wichtig, als Schutzsystem mit ausreichenden Plätzen da zu sein" - auch während einer Pandemie.

Risiko Lockdown

Denn gerade während der Lockdowns wurde klar: Das Risiko, häusliche Gewalt zu erleben, ist dann noch verstärkt gewesen. Das zeigt die bundesweite Statistik "Gewaltschutz in der Pandemie" vom Verein der Frauenhauskoordinierung.

"Zum einen war es ja ein wichtiges Ziel und gewollt, dass die Menschen zu Hause geblieben sind", sagt Birgit Brittnacher, die Leiterin des Elisabeth-Zillken-Hauses in Saarbrücken. Doch für von Gewalt betroffene Frauen war dies besonders riskant, "weil sie dann in ihrem prekären Bereich verhaftet waren und den Weg zu uns dann nicht gefunden haben."

Anlaufstelle für wohnungslose Frauen

Im Elisabeth-Zillken-Haus vom Sozialdienst katholischer Frauen können Frauen unterkommen, die in sogenannten besonderen Lebensverhältnissen mit sozialen Schwierigkeiten leben. "Die Frauen, die zu uns kommen, kommen aus prekären Lebensverhältnissen. Es sind Frauen, die wohnungslos sind und sehr häufig auch Gewalt erlebt haben", erklärt die Geschäftsführerin des Sozialdienstes, Andrea Wolter.

Hausleiterin Brittnacher rechnet damit, dass sich die Situation für betroffene Frauen durch weitere Coronamaßnahmen nochmal verschärfen könnte. "Da werden auch die Zahlen der Frauen, die sich trauen, hier anzufragen, nochmal zurückgehen", schätzt sie.

Pandemiezeit nicht repräsentativ

Aufgrund der Pandemie seien die letzten Jahre ohnehin nicht durchschnittlich gewesen, sagt die Rechtsmedizinerin Dr. Daniela Bellmann aus Saarbrücken. Sie ist an der Opferambulanz tätig, wo Betroffene von Gewaltverbrechen ihre Verletzungen dokumentieren lassen können.

Im Jahr 2019, vor Beginn der Pandemie, kamen 29 Frauen aufgrund von Verletzungen durch häusliche Gewalt zur Opferambulanz. Die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher sein, so Dr. Bellmann und in der Pandemie nochmal gestiegen sein.

Unterstützung umso wichtiger

Das Unterstützungsangebot werde trotz Pandemie soweit wie möglich aufrechterhalten. Antonia Schneider-Kerle vermutet, dass es nach der Pandemie mehr Kontaktanfragen geben wird. Aus ihrer Erfahrung weiß sie, dass betroffene Frauen sich teilweise erst einige Jahre, nachdem sie Gewalt erfahren haben, Hilfe suchen.

"Es ist nicht ungewöhnlich, dass Frauen sich erst später darum kümmern, wenn Gewalt passiert ist", sagt sie. "Die wenigsten Frauen rufen wirklich in der akuten Situation direkt nach der Gewalt an." Umso wichtiger sei dann, dass für genügend Unterstützungsangebote gesorgt ist.

"Es wäre wunderbar, wenn es solche Stellen nicht mehr geben müsste, da würde ich mich sehr drüber freuen. Meine große Befürchtung ist aber, dass das nicht so schnell passieren wird. Fakt ist, wenn man sich die Zahlen anguckt, wir haben sehr viele Frauen, die in irgendeiner Form von Gewalt betroffen sind.


Anlaufstellen für Betroffene

Frauen, die durch Gewaltverbrechen Verletzungen erleiden, können sich an verschiedene Stellen wenden. Unter anderem bietet der Frauennotruf Beratung für vergewaltigte und misshandelte Frauen.

Eine Anlaufstelle zum Gewaltschutz für Mädchen, Frauen und deren Kinder ist außerdem der Sozialdienst katholischer Frauen.

Wer Opfer von Gewalt wird, kann seine körperlichen Verletzungen bei der Opferambulanz am Klinikum Saarbrücken kostenlos rechtsmedizinisch dokumentieren lassen. Die Verletzungsdokumentationen sind später zum Beispiel vor Gericht als Beweise verwertbar, sodass Betroffene auch zu einem späteren Zeitpunkt noch Anzeige erstatten können.

Über dieses Thema berichteten die SR Hörfunknachrichten am 25.11.2021.

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