Schmetterlinge und andere Insekten im Saarland verschwinden leise, aber sicher
Die intensive Landwirtschaft, Pestizide, Monokulturen und auch die Auswirkungen des Klimawandels – all das nimmt vielen Insekten die Lebensgrundlage. Der Rückgang an Arten und Biomasse im Saarland ist extrem, und doch passiert er nach Ansicht eines Experten eher still und so gut wie unaufhaltsam.
Kleiner Kohlweißling, Aurorafalter oder Schwalbenschwanz. Schmetterlinge haben außergewöhnliche Namen – und ähnlich ausgefallen ist es, sie heutzutage noch in Hülle und Fülle zu entdecken. "Jeder, der schon etwas älter ist und als Kind über Wiesen gelaufen ist, hat viele Schmetterlinge gesehen", sagt Rainer Ulrich. "Und jeder kann heutzutage bemerken, dass es kaum noch Schmetterlinge gibt."
Die Beobachtung belegt der Schmetterlingsexperte mit gravierenden Zahlen: 40 Prozent aller Tagfalterarten sind gefährdet oder bereits ausgestorben. Welche das sind, zeigt die Rote Liste des Saarlandes. Bei der Gesamtzahl der Tiere fällt der Rückgang noch viel deutlicher aus: Nur noch fünf Prozent der einstigen Gesamtfalterzahl lebt heute noch auf den Wiesen.
Hier geht es zu den einzelnen Aspekten des Themas:
- Aktueller Stand: Wie geht es Schmetterlingen und anderen Insekten im Saarland?
- Was sind Ursachen des Insektenschwunds?
- Welche Folgen drohen?
- Was passiert im Saarland zum Schutz von Insekten?
- Was bringt ein insektenfreundlicher Garten wirklich?
- Wo gibt es im Saarland Positivbeispiele?
Bedingungen im Saarland noch besser als in anderen Bundesländern
Grundsätzlich gebe es Gewinner und Verlierer bei den vielen Insektenarten wie Schmetterlingen, Käfern, Wanzen oder Libellen, heißt es vom Umweltministerium auf SR-Anfrage. 2024 war im Saarland für viele Insekten ein sehr schlechtes Jahr mit viel Regen – besonders im Frühjahr – und mit kaum zusammenhängenden Trockenperioden. Die Auswirkungen waren gerade bei den Schmetterlingen und Netzflüglern (Hafte und Florfliegen) zum Teil verheerend, auch den Käfern und Wildbienen tat das nicht gut. Bei Libellen und Köcherfliegen zum Beispiel gab es hingegen positive Effekte.
Dabei sind die Verhältnisse im Saarland noch besser als in anderen Bundesländern, sagt der Schmetterlingsexperte Ulrich. Das liegt an dem unruhigen Relief, also den vielen Hügeln, Tälern und Hängen. Dadurch ist weniger Platz für große Ackerflächen. Denn Landwirtschaft ist der größte Bedrohungsfaktor – nicht nur für Schmetterlinge, sondern für Insekten allgemein.
Wiesen und Weiden bieten immer weniger Lebensraum
Besonders bedroht sind die Wiesenfalter. Denn Wiesen bieten immer weniger Lebensraum. Damit sie möglichst viel Ertrag und Futter für Kühe einbringen, werden sie hoch wachsen gelassen. Hohes Gras bietet allerdings kaum Raum für Blumen, die sowohl Nahrungsgrundlage als auch Lebensraum für Raupen und Schmetterlinge sind, da es ihnen notwendiges Licht und Wärme nimmt. "Kleine Blumen ersticken darin", beschreibt Ulrich. Wird dann überall gleichzeitig gemäht und gedüngt, sei das dem Lebensraum der Falter kaum förderlich. Auch Wildbienen, Grashüpfer oder Raupen würden kaum überleben, so der Experte.
Noch dramatischer sehe es bei Ackerland aus: „Die Felder sind alle tot. Da lebt kein einziges Insekt, kein einziger Schmetterling drin, da wird alles tot gespritzt", sagt Ulrich. Das sei wörtlich zu nehmen, schließlich sei dies genau das Ziel: Den Anbau frei von sogenannten Schädlingen zu halten.
Auch der Lebensraum Wald entwickele sich entgegen der Bedürfnisse von Schmetterlingen und anderen Insekten. Wälder werden dunkler, es gebe weniger Freiflächen wie Waldwiesen oder Bachläufe. Es brauche aber lichte Wälder, damit inmitten der hochragenden Bäume die richtigen Nahrungspflanzen für Raupen und Käfer wachsen können.
Zukunft ungewiss – Crash von Ökosystemen wahrscheinlich
Geht die Entwicklung weiter wie bisher, sind die Auswirkungen für die Natur drastisch. "Das ganze Gefüge gerät durcheinander. Arten explodieren, andere verschwinden", sagt Ulrich. Anders gesagt: Das Ökosystem bricht zusammen. "Genau wissen wir aber nicht, was passiert". Man beziehe das Problem zu sehr auf den Menschen, kritisiert der Schmetterlingskenner.
Dabei wackele die Nahrungskette, in der Schmetterlinge und andere Insekten ganz unten stehen, bereits jetzt: Das Insektensterben bedingt das Singvogelsterben und auch andere Tiere, wie der Igel, finden nicht mehr genug Nahrung. Letztendlich steht nach Angaben des Nabu nicht nur der Artenverlust in Flora und Fauna auf dem Spiel, sondern auch die Sicherung menschlicher Ernährung ist grundlegend gefährdet.
Der ökonomische Wert von Insektenbestäubung allein wurde in Deutschland auf 3,8 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.
Auch Klimawandel trägt zum Insektensterben bei
Problem sei, dass das Artensterben viel weniger greifbar sei als etwa die Klimakrise – und selbst da geschehe nur langsam etwas. Der Klimawandel nehme zudem auch eine gravierende Rolle ein, was das Schwinden der Schmetterlingsarten angeht. Frühjahre und Sommer werden immer heißer, Extremwetterereignisse immer häufiger. "Wenn es im Sommer 30 bis teilweise knapp 40 Grad sind, dann sprechen wir am Boden, wo die Raupen leben, von Temperaturen von 50 bis 60 Grad. Die Raupen verkochen."
Und die, die überleben, finden kaum noch Futterpflanzen, weil diese absterben oder vertrocknen. Die letzten zwei Jahre seien die schlechtesten für Schmetterlinge jemals gewesen, sagt der Experte.
Ein weiteres Problem sei, dass man über viele Insektenarten viel zu wenig wisse. Das erschwere zusätzlich, genaue Aussagen und Prognosen zu treffen.
Artenkenner-Akademie im Aufbau
Ein Punkt, an dem das Umweltministerium ansetzen will. In Zusammenarbeit mit der Naturforschenden Gesellschaft des Saarlandes DELATTINIA soll eine Artenkenner-Akademie entstehen. Seit 2020 werde dafür bereits Wissen zur Klassifikation und Benennung von Lebewesen gesammelt, das als Grundlage für weiteren Naturschutz dienen soll. Verschiedene Insektengruppen sollen dabei im Fokus stehen.
Außerdem wurden in den letzten Jahren Monitoringprogramme gestartet für folgende Insektengruppen:
- Flugaktive Insekten (Malaisefallen), 2021 und 2022
- Tagfalter und Widderchen auf der Landschaftsebene, ab 2021
- Heuschrecken im Grünland, ab 2021
- Laufkäfer und Spinnen in Grünland, Acker & Wald, 2022
- Xylobionte Käfer im Wäldern und Urwäldern, ab 2021
- Nachtfalter in Übergangs- und Schwingrasenmooren, ab 2021
- Tagfalter und Widderchen in Kalkmagerrasen, ab 2022
Die Daten seien bislang aber noch nicht aussagekräftig – dafür müssen über einen noch längeren Zeitraum Daten gesammelt werden.
Als weitere Maßnahmen nennt das Ministerium auf SR-Anfrage, arten- und blütenreiche Grünlandtypen und Streuobstwiesen erhalten zu wollen sowie Hecken, Feldraine und Säume. Außerdem soll der Ökologische Landbau weiter gefördert werden. Bereits jetzt könne das Saarland mit 19 Prozent den größten Flächenanteil an Bio-Betrieben bundesweit nachweisen. Ziel für die nächsten Jahre sei, die Fläche auf 25 Prozent auszuweiten.
Weniger Lichtverschmutzung
Der Schutz von Insekten wird in Deutschland seit 2021 auch gesetzlich vorgeschrieben – im Rahmen des Bundesnaturschutzgesetzes und der Pflanzenschutzmittelanwendungsverordnung.
In der Letzteren ist etwa ein Verbot von bestimmten Pflanzenschutzmitteln in Naturschutzgebieten enthalten. Das Bundesnaturschutzgesetz wiederum legt zum Beispiel fest, dass die Lichtverschmutzung eingedämmt werden muss. Sowohl bei neuen Laternen oder Leuchtreklamen als auch bei schon bestehenden Außenbeleuchtungen an öffentlichen Straßen und Wegen gilt die Pflicht, negative Lichtemissionen zu vermeiden. Beispiele von umgerüsteten Laternen gibt es auch aus dem Saarland: Entlang des Saaraltarms in Saarlouis etwa hat die Stadt vergangenes Jahr eine smarte Beleuchtung installiert, um Lichtverschmutzung zu reduzieren.
Zudem gebe es Infos für private Garten- und Flächenbesitzerinnen und -besitzer für naturnähere Gestaltungsmöglichkeiten, etwa in Form einer Broschüre.
Naturnahe Gärten als kleine Insekteninseln
Aber wie viel Effekt haben insektenfreundliche Gärten wirklich? Einen nicht zu unterschätzenden, sagt Schmetterlingsexperte Rainer Ulrich. Flächen, die unter Naturschutz stehen, liegen teils mehrere Kilometer voneinander entfernt. Zu weit für Insekten. „Wenn es aber in jedem Dorf 20 Naturgärten gibt, würde ein richtiges Netzwerk entstehen, in dem Insekten sich ausbreiten können. Das würde Populationen schon verstärken.“
Denjenigen, die eine Insekteninsel schaffen wollen, gibt er den Tipp, den Garten nicht zu ordentlich zu halten. Steinhaufen im Garten seien nicht verkehrt, Trockenmauern sollten nicht verputzt werden. Wer insbesondere den Schmetterlingen etwas bieten wolle, könne auf eine bestimmte Pflanze setzen: Die Rote Spornblume. Die blühe von April bis November und wachse auch auf trockenem oder steinigem Boden.
Ein weiterer Tipp des Experten: Kinder mit ins Boot holen. Kindergärten und Schulen sollten gezielt das Interesse der Kinder wecken. Auch Eltern und Großeltern könnten mit den Kindern im eigenen Garten etwa Kohl anpflanzen. Dort legt der Große Kohlweißling seine Eier ab – die perfekte Möglichkeit, alle Entstehungsstadien eines Schmetterlings selbst zu beobachten. Von der Eier-Ablage, über das Schlüpfen der Raupe, das Verpuppen und das Erwachen als Schmetterling.
Hoffnung auf Zurückkommen der Schmetterlinge?
Und wie blickt der Experte grundsätzlich in die Zukunft der Insekten? „Wenn ich ehrlich bin, habe ich relativ wenig Hoffnung“, sagt Ulrich. „Das heißt aber nicht, dass ich aufhöre, zu kämpfen.“ Selbst wenn der Artenschwund nicht rückgängig gemacht werden könne, vermutlich nicht einmal gestoppt, so könne er immerhin verlangsamt werden.
Dazu gebe es bereits Positivbeispiele im Saarland, etwa das Biosphärenreservat Bliesgau. „Dort gibt es noch richtig bunte Wiesen dort leben viele Schmetterlinge“.
Laut Umweltministerium ist es auf einer Blühfläche in Mimbach sogar gelungen, eine Schmetterlingsart, die Malveneule (Acontia lucida) erstmals für das Saarland nachzuweisen.
Trotzdem, so der Experte, muss noch viel passieren. Vor allem auch, um das Insektensterben grundsätzlich mehr ins Bewusstsein vieler Menschen zu rücken.