Azem S. (vorne links) am 03.05.2022 am Landgericht Saarbrücken. (Foto: IMAGO / BeckerBredel)

Gericht sieht Verantwortung beim Angeklagten

Caroline Uhl / Niklas Resch   05.07.2022 | 17:46 Uhr

Im Saarbrücker Prozess um Millionen-Betrug mit gezinkten Online-Finanzportalen sehen die Richter eine entscheidende Rolle des Angeklagten. Das geht aus zwei Beschlüssen hervor, die die Kammer am Dienstag verkündete. Als Leiter eines Callcenters hatte er demnach weitreichende Befugnisse.

Wie der Vorsitzende Richter am mittlerweile 16. Verhandlungstag ausführlich vortrug, hatte der in Saarbrücken angeklagte Azem S. das Callcenter mit rund 430 Mitarbeitern in Ferizaj im Kosovo gemeinsam mit seinem Kompagnon Betim T. geleitet. T. ist noch auf der Flucht.

Die Beweisführung habe gezeigt, dass der Angeklagte etwa Mitarbeiter kontrolliert und sanktioniert habe. Er habe an Manager Arbeitsanweisungen gegeben und eine Ergebnis- wie Arbeitskontrolle durchgeführt.

Telefonisten als Finanzberater

Von dem Callcenter aus hatten Telefonisten sich als Finanzberater ausgegeben und Privatanleger mit falschen Versprechungen um ihr Geld gebracht. Sie versprachen den Anlegern vermeintlich lukrative Finanzgeschäfte auf Internet-Plattformen.

An der Betrugsmasche selbst – nämlich dass diese Online-Portale gezinkt waren und die Anleger fast immer ihr ganzes Geld verloren haben –  hatte es im bisherigen Prozessverlauf kaum Zweifel gegeben. Konkret geht es vor Gericht um gewerbsmäßigen Bandenbetrug mit den mittlerweile abgeschalteten Plattformen Option888, Zoomtrader, XMarkets.com, Tradovest und TradeInvest90.

Zahlen gefordert und Anweisungen gegeben

Als Drahtzieher hinter den Plattformen und der damit verbundenen Infrastruktur gilt der 2020 in der Saarbrücker U-Haft verstorbene Uwe L.. Mit ihm hatte der Angeklagte Aussagen von Ermittlern zufolge direkten Kontakt.

Die bisherige Beweisaufnahme zeigt unter anderem, dass L. regelmäßig bei dem Angeklagten Geschäftszahlen angefordert hatte, die S. dann den Erkenntnissen zufolge auch geliefert hatte. Zudem soll L. dem Angeklagten auch andere Arbeitsanweisungen gegeben, ihn belohnt oder ihm mit Sanktionen gedroht haben. Dies insbesondere dann, wenn das Callcenter nicht genügend Einzahlungen von Anlegern eingebracht habe.

Über 20 Betroffene im Zeugenstand

In dem Verfahren vor dem Saarbrücker Landgericht geht es um einen Gesamtschaden von rund 42 Millionen Euro und über 1100 geprellte Anleger. Über 20 Geschädigte aus ganz Deutschland haben bisher in dem Prozess ausgesagt, außerdem Ermittler und ehemalige Geschäftspartner des verstorbenen L.

Für kommende Woche hat die Verteidigung angekündigt, dass sich der Angeklagte ausführlich zu den Vorwürfen äußern wird. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft gewerbs- und bandenmäßigen Betrug vor.

Vor Prozessauftakt war eine Verständigung gescheitert. Damals hatte eine Haftstrafe zwischen elf und zwölfeinhalb Jahren im Raum gestanden. Laut Gericht hatte die Verteidigung das abgelehnt.

Über dieses Thema hat auch die SR-Fernsehsendung "aktueller bericht" am 05.07.2022 berichtet.

Gezinkte Finanzwetten im Internet
Übersicht: Millionenbetrug im Netz
Saarländische Ermittler haben weltweit agierende mutmaßliche Millionenbetrüger dingfest gemacht. Nach Recherchen von SR und NDR stehen sie im Verdacht, hunderttausende Deutsche mit fingierten Finanzwetten im Internet um hohe Summen betrogen zu haben. Auch Saarländer sind unter den Betroffenen.

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