Eine mutmaßliche Betrüger-Webseite (Foto: SR/Caroline Uhl)

Staatsanwaltschaft fordert hohe Haftstrafe im Cybertrading-Prozess

Caroline Uhl / Niklas Resch   10.08.2022 | 18:13 Uhr

Im Prozess um Millionen-Betrug im Internet fordert die Staatsanwaltschaft Saarbrücken eine Haftstrafe von 13 Jahren und drei Monaten. Sie wirft dem Angeklagten vor, als Teil einer Bande mehr als tausend Anleger um insgesamt gut 32 Millionen Euro gebracht zu haben. Die Verteidigung beantragt sieben Jahre Haft.

Der 29-jährige Azem S. war zwischen 2016 und 2019 Mitbetreiber eines Callcenters im Kosovo und hat damit eine wesentliche Rolle bei der Betrugsmasche mit gezinkten Finanzportalen gespielt. Das hatte er im Prozess auch gestanden.

Von dem Callcenter aus sollen Mitarbeiter Anleger kontaktiert und zu immer weiteren Einzahlungen überredet haben. Am 22. Verhandlungstag, der am Mittwoch stattfand, hielten im Prozess um Cybertrading Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Plädoyers.

Großes persönliches Leid bei den Opfern

Staatsanwältin Victoria Hänel formulierte es in ihrem Plädoyer heute so: „Der Angeklagte war Teil der Führungsriege eines gigantischen Bandenbetrugs.“ Als „Chef und Einpeitscher“ der Telefonberater im Callcenter habe er dafür gesorgt, dass die Privat-Anleger gnadenlos ausgenommen wurden und zum Teil um all ihr Erspartes betrogen wurden.

Das habe bei vielen Opfern für großes persönliches Leid gesorgt. Im Prozess war auch bekannt geworden, dass ein Geschädigter Suizid beging, nachdem er mehrfach viel Geld verloren hatte.

Staatsanwaltschaft sieht mehrere Delikte

Der Beweisaufnahme zufolge wurden die mehr als tausend Geschädigten aus Deutschland und Österreich mit einer ganzen Reihe von Tricks dazu gebracht, auf Online-Plattformen Geld für vermeintlich lukrative Finanzwetten einzuzahlen. Tatsächlich floss das eingezahlte Geld über Briefkastenfirmen aber direkt in die Taschen der Betrüger.

Für gewerbsmäßigen Bandenbetrug sind in Deutschland eigentlich zehn Jahre Haft als Maximalstrafe vorgesehen. Die Staatsanwaltschaft wirft Azem S. aber nicht nur vor, als Callcenter-Betreiber für die Organisation des Betrugs und damit für die Gesamtschadenssumme von gut 32 Millionen Euro verantwortlich zu sein.

Maximalstrafe von 15 Jahren möglich

Er habe außerdem in mehreren Fällen selbst „Hand angelegt“. Die Beweisaufnahme habe gezeigt, dass er mehrfach vermeintliche Bonuszahlungen für Anleger veranlasst habe, um diese zu weiteren Einzahlungen zu bewegen.

Außerdem habe er bei Anlegern Einzahlungslimits geändert. Da es sich also um mehrere, voneinander unabhängige Straftaten handele, sei eine Maximalstrafe von 15 Jahren möglich.

Forderung außergewöhnlich hoch

Damit hat Azem S. nach Ansicht von Staatsanwältin Hänel nicht nur den Rahmen für die „optimierte, hochprofessionelle Betrugsmasche und die Geldwäschemaschinerie“ gesteckt. Er sei auch selbst tätig geworden und habe so „die Finger in nahezu allen relevanten Bereichen der Betrugsmasche gehabt“.

Die Forderung nach einer Haftstrafe von 13 Jahren und drei Monaten ist für Betrugsdelikte außergewöhnlich hoch.

Die Staatsanwältin fordert zudem, dass gut 1,2 Millionen Euro von S. eingezogen werden – alles Geld, das er mit seiner Tätigkeit im Callcenter verdient haben soll. Im Prozess hatte sich allerdings schon gezeigt, dass für Geschädigte keine große Hoffnung besteht, Geld zurück zu erhalten.

Verteidiger mit Zweifeln

Die Verteidigung ist dagegen der Ansicht, dass im Prozess nicht zweifelsfrei bewiesen wurde, dass Azem S. die zusätzlichen Einzeltaten, wie etwa die Bonus-Gewährungen, tatsächlich begangen hat. Und selbst wenn sein Mandant dies getan hätte, wäre es letzten Endes Teil der gesamten Betrugsmasche gewesen.

Es wäre „eine Doppelverurteilung, wenn mein Mandant dafür gesondert bestraft würde“. Er geht deswegen von einfachem gewerbsmäßigen Bandenbetrug aus, und dafür seien rechtlich eben maximal zehn Jahre Haft möglich.

Verteidigung fordert sieben Jahre

Aus Sicht der Verteidigung müssen zudem einige Punkte strafmildern berücksichtigt werden. Deswegen beantragte sie eine Haftstrafe von sieben Jahren. So habe Azem S. die Betrugsmasche im Prozess nicht nur eingeräumt, sondern sich auch bei den Geschädigten entschuldigt.

Außerdem habe er eigentlich aus der Bande aussteigen wollen. Dies habe er aus mehreren Gründen nicht getan. Zunächst sei sein Vater schwer erkrankt und er habe mit dem Geld aus dem Betrug die Behandlung bezahlt. Später sei seine Familie bedroht worden.

Gericht und Staatsanwaltschaft hatten aber zuletzt schon zu verstehen gegeben, dass das für sie Schutzbehauptungen sind. Staatsanwältin Hänel betonte am Mittwoch, es habe bei den Ermittlungen, etwa in Chatprotokollen, außerdem keinerlei Hinweise darauf gegeben, dass der Angeklagte wirklich die Absicht gehabt hätte, auszusteigen.

„Behandelt wie Dreck“

Die Verteidigung hat außerdem einen Befangenheitsantrag gestellt. Sie hält die Richter der Wirtschaftsstrafkammer für voreingenommen. Sie hätten mögliche entlastende Beweise nicht ausreichend gewürdigt. Strafverteidiger Teusch betonte im SR-Interview: „Die Zeugen, die wir beantragt hatten, sind alle abgelehnt worden. Hier ist ein Schnellprozess gemacht worden, der rechtsstaatliche Grundsätze missachtet.“

Teusch griff im Plädoyer zu noch drastischeren Worten. Er warf dem Gericht vor, den Angeklagten „wie Dreck“ zu behandeln. Nach dessen Geständnis habe das Gericht keine einzige Frage gestellt. Teusch schließt daraus, dass das Gericht kein Interesse am Menschen Azem S. habe. Für ein faires Urteil seien aber der Mensch und seine Motive zu beurteilen. 

Erst Entscheidung über Befangenheit

Eine andere Kammer des Landgerichts muss jetzt über den Befangenheitsantrag entscheiden. Wann das passiert, ist noch unklar. Sollte die Kammer den Antrag ablehnen und die Richter für nicht befangen erklären, kann ein Urteil verkündet werden. Die nächste Möglichkeit dafür wäre am Freitag. Dann ist der nächste Verhandlungstermin angesetzt.

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Über dieses Thema haben auch die SR-Hörfunknachrichten am 10.08.2022 berichtet.

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