Akten mit der Statue der römischen Göttin Justitia, dem Symbol für die Rechtsprechung. (Foto: picture alliance / dpa | Volker Hartmann)

Angeklagter im Cybertrading-Prozess bittet um Entschuldigung

Mit Informationen von Caroline Uhl, Niklas Resch und Linda Grotholt   15.07.2022 | 17:22 Uhr

Im Saarbrücker Gerichtsprozess um Millionen-Betrug mit gezinkten Online-Finanzportalen hat sich der Angeklagte bei den Opfern entschuldigt. Der 29-jährige Azem S. sagte, er bereue es, Teil des Systems gewesen zu sein.

Der 29-jährige Azem S. ist wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs angeklagt. Er soll Teil eines hochgradig organisierten Betrügernetzwerks gewesen sein, das in großem Stil Anleger mit gezinkten Online-Finanzportalen um ihr Geld brachte.

„Ich habe gewusst, dass Menschen betrogen werden“, betonte Azem S. am Freitag in einem von seinem Anwalt verlesenen Geständnis. Es tue ihm leid, dass viele durch den Betrug schlimme Erfahrungen machen mussten. Im Prozess war bekannt geworden, dass ein Geschädigter Selbstmord beging, nachdem er mehrfach viel Geld verloren hatte.

Mit seinem Geständnis bestätigte Azem S. die bisherige Beweisaufnahme. Ermittler hatten vorgetragen, dass er als Co-Chef eines Callcenters im Kosovo eine tragende Rolle bei dem Betrug gespielt habe.

Betrug ermöglichte Luxusleben

S. betonte, er habe erst im Verlauf seiner Tätigkeit in einem Callcenter verstanden, dass er Teil eines Betrugsnetzwerks gewesen sei. Er habe dort keinen direkten Kundenkontakt gehabt, sondern sei unter anderem für die Finanzen verantwortlich gewesen. Dabei war er auch längere Zeit als Geschäftsführer eingetragen.

Im Nachhinein bereue er, nicht ausgestiegen zu sein, als er merkte, woran er beteiligt gewesen sei. Dies habe auch daran gelegen, dass ihm der Betrug ein Luxusleben ermöglichte. Laut Anklage hatte Azem S. in einem Zeitraum von gut drei Jahren Gehälter und Boni von rund 1,2 Millionen Euro kassiert, die er unter anderem in teure Autos investierte.

Der Angeklagte führte auch noch zwei weitere Gründe an, warum er sich nicht vom Betrug abwandte: Seine Familie sei bedroht worden, außerdem habe er zu dieser Zeit hohe Kosten für die Krebsbehandlung seines Vaters stemmen müssen.

Menschen in den Ruin getrieben

Der Verteidiger von Azem S., der Saarbrücker Rechtsanwalt Walter Teusch, betonte im SR-Interview, dies sei aber keine Entschuldigung. „Man steigt aus so etwas aus, wenn man es merkt. Das hat er nicht getan.“ Deshalb werde sein Mandant für seine Taten jetzt auch die Verantwortung übernehmen.

Teusch betonte, Azem S. sei erst im Verlauf des Prozesses klar geworden, was die Betrugsmasche im Detail angerichtet habe. Er habe dabei erlebt, dass „die Menschen bis an den Ruin getrieben worden sind“. Im Callcenter selbst habe er eben keinen Kundenkontakt gehabt.

Im Prozess hatten jedoch Ermittler ausgesagt, die den Angeklagten diesbezüglich belastet hatten. Sie verwiesen auf Chatprotokolle, die zeigten, dass Azem S. eine aktive Rolle in dem Betrugssystem spielte. So hatte er dem mutmaßlichen Kopf der Bande geschrieben, dass sie die Anleger künftig langsamer um ihr Geld bringen würden.

Selbst Hand angelegt?

Keine Klarheit brachte das Geständnis bei der Frage, ob der Angeklagte selbst aktiv an den betrügerischen Plattformen Hand angelegt hat. Hat er also Anlegern vermeintliche Boni gutgeschrieben – und sie damit möglicherweise zu weiteren Einzahlungen animiert?

Und hat er Einzahlungslimits aktiv nach oben oder nach unten korrigiert? Azem S. sagte dazu am Freitag, er könne sich nicht genau erinnern. Es hätte zudem auch andere Mitarbeiter gegeben, die die Login-Daten für seinen Computer kannten und diese hätten verwenden können.  

Angeklagter im Cybertrading-Prozess bittet um Entschuldigung
Audio [SR 3, Linda Grotholt (c) SR, 15.07.2022, Länge: 03:01 Min.]
Angeklagter im Cybertrading-Prozess bittet um Entschuldigung

Ermittler hatten dagegen schon mehrfach dargelegt, dass sie es für unwahrscheinlich halten, dass jemand anderes die Änderungen vorgenommen hat. Dies gehe aus der Analyse von Daten hervor, die bei Razzien beschlagnahmt wurden.

Noch einige offene Fragen

In der Rangfolge des Betrugsnetzwerkes sollen noch zwei andere Personen über Azem S.  gestanden haben: Uwe L., der Drahtzieher hinter den gezinkten Online-Portalen und der gesamten Callcenter-Infrastruktur. Er war 2020 in Untersuchungshaft verstorben. Und Betim T., der Kompagnon von Azem S. als Callcenter-Chef, der womöglich mehr Befugnisse hatte, und noch auf der Flucht ist.

Im Prozess sind bisher noch einige Fragen offen geblieben. Von daher war überraschend, dass weder Gericht, noch Staatsanwaltschaft im Anschluss an das verlesene Geständnis Nachfragen an den Angeklagten stellten.

Verteidiger Teusch hat deswegen den Eindruck, „dass man hier nicht versucht, die Wahrheit herauszufinden.“ Ein Verdächtiger sei gestorben, einer auf der Flucht, da versuche man wohl, den verbliebenen Angeklagten zum Sündenbock zu machen.

Möglicherweise ist das Gericht aber auch der Ansicht, dass in den vorherigen 17 Verhandlungstagen bereits genügend Fakten und Beweise gesammelt wurden.

Zwei Portale aus der Anklage genommen

In dem Gerichtsverfahren geht es aktuell noch um gut 1000 Geschädigte, die auf den drei Plattformen Option888, Zoomtrader und XMarkets.com zusammengerechnet über 30 Millionen Euro verloren haben.

Ursprünglich war es in dem Prozess sogar um fünf Plattformen und rund 42 Millionen Euro Schaden gegangen. Wegen mangelnder Beweise hatte die Staatsanwaltschaft in dieser Woche zwei andere Portale aber aus der Anklage genommen.

Prozess in der Endphase

Insgesamt geht das Gerichtsverfahren gegen S. seinem Ende entgegen. Wenn nichts Unvorhergesehenes eintrifft, könnte Prozessbeteiligten zufolge noch im Juli ein Urteil fallen. Gemessen an der Höhe der Schadenssumme und der Zahl der Geschädigten endet dann der größte Betrugsprozess, den die Saarbrücker Staatsanwaltschaft jemals zur Anklage gebracht hat.

Doch was die Betrugsmasche mit fingierten Finanzportalen insgesamt angeht, ist das nur die Spitze eines gigantischen Eisbergs. Ermittler gehen davon aus, dass internationale Betrügerbanden mit derartigen Methoden fast ungehindert weitermachen – und damit alleine in Deutschland einen jährlichen Schaden im Milliardenbereich anrichten.

Weitere Infos

Gezinkte Finanzwetten im Internet
Übersicht: Millionenbetrug im Netz
Saarländische Ermittler haben weltweit agierende mutmaßliche Millionenbetrüger dingfest gemacht. Nach Recherchen von SR und NDR stehen sie im Verdacht, hunderttausende Deutsche mit fingierten Finanzwetten im Internet um hohe Summen betrogen zu haben. Auch Saarländer sind unter den Betroffenen.

Über dieses Thema haben auch die SR-Hörfunknachrichten am 15.07.2022 berichtet.

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