Ein Mitarbeiter erfasst seine Arbeitszeit digital an einem Terminal. (Foto: picture alliance/dpa | Sina Schuldt)

Arbeitszeiterfassung nun Pflicht – diese Regeln gelten ab sofort

  13.12.2022 | 11:34 Uhr

Seitdem das Bundesarbeitsgericht Mitte September seinen Beschluss zur Arbeitszeiterfassung verkündet hatte, wurde bundesweit diskutiert und spekuliert. Jetzt haben die Richter ihre Entscheidungsgründe veröffentlicht. Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten – und was die Gewerkschaften im Saarland zum Urteil sagen.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sein wegweisendes Urteil zur Arbeitszeiterfassung vom September am vergangenen Wochenende begründet. Nun ist klar: Arbeitgeber müssen fortan ein "objektives, verlässliches und zugängliches System" einführen, "mit dem die von Arbeitnehmern geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann". Was das konkret bedeutet.




Welche Ziele hat die Arbeitszeiterfassung?

Nach Erhebungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit wurden im vergangenen Jahr 893 Millionen oder gut 52 Prozent aller Überstunden nicht vergütet.

Der EuGH und nun auch das BAG verweisen zudem auf den Arbeitsschutz: Nur eine Erfassung der gesamten Arbeitszeit könne dazu führen, dass die bestehende Obergrenze von in der Regel 48 Wochenstunden eingehalten wird. BAG-Präsidentin Inken Gallner fasste es bei der mündlichen Urteilsverkündung wie folgt zusammen: Die Zeiterfassung sei auch ein "Schutz vor Fremd- und Selbstausbeutung".


Muss die Arbeitszeit nun sofort erfasst werden?

Ja, denn das BAG leitet die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung aus dem Arbeitsschutzgesetz ab, das entsprechend den EU-Vorgaben auszulegen sei. Eine Gesetzesänderung ist daher prinzipiell nicht nötig. Die Ampel-Parteien haben dennoch eine Gesetzesinitiative für Anfang 2023 angekündigt, um das EuGH-Urteil explizit umzusetzen. Darin würden dann wohl auch Strafen bei Verstößen festgeschrieben.


Kann es Ausnahmen geben?

Ja, "wegen besonderer Merkmale der ausgeübten Tätigkeit" sind laut BAG Ausnahmen möglich. Diese müssen aber gesetzlich bestimmt sein. In Deutschland gibt es solche Ausnahmen im Arbeitszeitgesetz insbesondere für leitende Angestellte und andere Führungskräfte.


Wie soll die Arbeitszeiterfassung erfolgen?

Ob die Erfassung der Arbeitszeit künftig per Stechkarte, in digitaler oder analoger Form zu erfolgen hat, hat das Gericht nicht festgelegt. Das Urteil lässt den Unternehmen zur genauen Form der Aufzeichnung insofern gewisse Spielräume.

Betriebe können für verschiedene Beschäftigtengruppen auch unterschiedliche Formen wählen. Bei Arbeitnehmerinnen und -nehmern, die im Homeoffice oder mobil arbeiten, ist etwa denkbar, dass sie selbst Aufzeichnungen zu Beginn, Pausen und Ende der Arbeitszeit erstellen. Möglich sind hier aber auch elektronische Zeiterfassungssysteme.

Egal wie, wichtig ist nur, dass die Arbeitszeiterfassung tatsächlich erfolgen muss. Den Beschäftigten nur die Möglichkeit dafür anzubieten, reicht laut BAG nicht aus.


Was wird aus der sogenannten Vertrauensarbeitszeit?

Vertrauensarbeitszeit bedeutet, dass der Arbeitgeber die Zeiten nicht kontrolliert. Das bleibt nach dem BAG-Beschluss dergestalt möglich, dass betroffene Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten ohne Kontrolle selbst notieren. Eine Art von Erfassung muss es aber auch hier geben.


Welche Rolle spielen die Betriebsräte?

Sie haben ein Mitbestimmungsrecht bei Fragen des Arbeitsschutzes. Nicht eindeutig ist das BAG jedoch bei der Frage, ob dies auch ein "Initiativrecht" umfasst. Nur dann könnten Betriebsräte Unternehmen dazu zwingen, mit der Arbeitszeiterfassung zu beginnen. Eine elektronische Arbeitszeiterfassung können Betriebsräte nicht verlangen und durchsetzen.


Das sagen die Gewerkschaften

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Rheinland-Pfalz/Saarland und die IG Metall Bezirk Mitte befürworten die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. "Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Saarland leisten haufenweise Überstunden. Viele werden noch nicht mal bezahlt. Damit dem ein Riegel vorgeschoben wird, damit Ruhe- und Höchstarbeitszeiten eingehalten werden, brauchen wir eine genaue Erfassung der Arbeitszeit", sagt Timo Ahr, stellvertretender Vorsitzender des DGB Rheinland-Pfalz/Saarland.

In der Vergangenheit habe es nach dem Arbeitszeitgesetz nur in bestimmten Fällen eine Pflicht zur Dokumentation von Arbeitszeiten gegeben, etwa bei Sonntagsarbeit. "Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts hat die Spielregeln zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessert. Die Basis einer korrekten Entgeltabrechnung ist die genaue und manipulationssichere Erfassung der Arbeitszeit", ergänzt Jörg Köhlinger, Leiter der IG Metall Mitte.

"Nicht das Ende von Vertrauensarbeitszeit und Homeoffice"

Kritik am Urteil des BAG hatte es zuvor vom Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, gegeben. "Niemand will einen Zwang zur Dauerkontrolle, Betriebe und Beschäftigte dürfen jetzt nicht durch zusätzliche bürokratische Regelungen überfordert werden", sagte er demnach. Vertrauensarbeitszeit müsse weiter möglich bleiben.

Der DGB Rheinland-Pfalz/Saarland hält dagegen: "Das Urteil bedeutet nicht das Ende von Vertrauensarbeitszeit und Homeoffice – das ist eine Gespensterdebatte. Beides ist weiter möglich. Arbeitgeber müssen aber ihrer Verpflichtung zum Arbeitsschutz auch bei diesen Modellen nachkommen", so Ahr.

Von einem bürokratischen Mehraufwand könne keine Rede sein: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hätten oftmals schon die Möglichkeit, sich über installierte Systeme am Computer oder online digital einzubuchen. "Das Urteil bedeutet also nicht, dass die Unternehmen jetzt wieder Stechuhren einführen müssen. Verlässlich ist die Erfassung dann, wenn sie unverzüglich erfolgt und alle geleistete Arbeit umfasst. Dies sollte keinen Betrieb vor unlösbare Probleme stellen."


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