Bonbons  (Foto: SR)

Kalorienbomben für Kinder: Kommt das Werbeverbot?

Nicole Würth / Onlinefassung: Kasia Hummel   08.04.2023 | 14:02 Uhr

Die Lebensmittelindustrie lockt mit Werbung für Zuckerbomben und fettige Snacks. Vor allem die Jüngsten lassen sich damit locken – mit Folgen für die Gesundheit. Dagegen soll ein entsprechendes Werbeverbot helfen. Aber es gibt Widerstand.

Schokobonbons, Joghurt-Snacks, Eier mit Spielzeugzubehör. Die Auswahl an Süßigkeiten und Snacks für Kinder ist riesig. Die Verbraucherorganisation Foodwatch nimmt seit Jahren Süßigkeiten und Snacks unter die Lupe, die insbesondere Kinder ansprechen sollen.

Ihre Einschätzung: Rund 85 Prozent der beworbenen Produkte entsprechen nicht den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO. Sie enthielten zu viel Zucker, Salz und/oder Fett.

Kalorienbomben für Kinder
Video [SR Fernsehen, (c) SR, 04.04.2023, Länge: 09:29 Min.]
Kalorienbomben für Kinder

Als Beispiel nennt Luise Mollinger von Foodwatch Deutschland Frühstücksflocken. „Die sollten laut WHO maximal 15 Gramm Zucker enthalten, damit sie noch für die Bewerbung an Kinder geeignet sind.“ Die Frühstücksflocken, die derzeit im Handel zu finden seien, hätten meistens aber etwa das Doppelte an Zucker.

In Deutschland essen Kinder und Jugendliche im Durchschnitt doppelt so viele Süßigkeiten und Snacks, aber nicht mal halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen, sagen Verbraucherschützer.

„Der eigentliche Grund, warum gerade ungesunde Lebensmittel so aggressiv an Kinder vermarktet werden, ist, dass man mit ungesunden Lebensmitteln wie Softdrinks oder Frühstückflocken viel größere Profitmargen erzielen kann als mit ausgewogenen Produkten wie beispielsweise Obst und Gemüse“, erklärt Mollinger.

Übergewicht bei Erwachsenen

Ernährungsgewohnheiten in der Kindheit werden im späteren Leben häufig beibehalten. In Deutschland haben mehr als die Hälfte der Erwachsenen Übergewicht. Die Deutsche Adipositas Gesellschaft (DAG) in Berlin beschäftigt sich mit Krankheiten, die durch starkes Übergewicht entstehen. Zuckerhaltige Getränke seien ein besonders großes Problem.

Darauf haben Länder wie Großbritannien bereits reagiert. Dort müssen die Hersteller hohe Abgaben für besonders gesüßte Getränke zahlen. Marken, die es auch hier gibt, enthielten beim europäischen Nachbarn deshalb oft weniger Süße. Das sei auch für Deutschland wünschenswert.

Experten warnen vor Folgeerkrankungen

„Wir reden da von Folgeerkrankungen wie Herz-, Kreislauf-, Gelenkerkrankungen, von Diabetes und Bluthochdruck“, erläutert Oliver Huizinga von der DAG. Deshalb sei die frühzeitige Prävention und eine gesunde Ernährung in der Kindheit so wichtig.

Schwere Erkrankungen für den Einzelnen – aber auch finanzielle Auswirkungen für die Gesellschaft, verursacht durch Behandlungskosten und verringerte Erwerbstätigkeiten. „Schätzungsweise sind das 60 Milliarden Euro Folgekosten im Jahr“, so Huizinga. Das sei im Grunde einmal im Jahr eine Bankenrettung und diese Dimension der volkswirtschaftlichen Auswirkungen „können wir uns eigentlich als Gesellschaft nicht erlauben“.

"Immer mehr Influencer-Marketing"

Die Medizinische Universität Wien hat Hunderte von Lebensmittelposts und -clips in Sozialen Medien analysiert – mit insgesamt 35 Millionen Followern. Auf Youtube, Instagram und TikTok. Nicht alle Clips sind als Werbung deklariert, manche aber schon – wenn auch nur klein.

Eva Winzer von der Medizinischen Universität Wien spricht von einem großen Markt. Auch im deutschsprachigen Raum gebe es immer mehr Influencer-Marketing. Es gebe sehr große Marken, die mit den Influencern und Influencerinnen eine Kooperation eingehen.

Vor allem Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 13 und 17 seien die Zielgruppe. Viele von ihnen könnten kaum zwischen bezahlter Werbung und Hobby-Posts unterscheiden. Die Unterhaltung sei das eigentlich Interessante.  

„Die Influencerinnen sind für die Follower oder Nutzerinnen, vor allem für Kinder und Jugendliche einfach große Vorbilder, das sind die Stars", so Winzer. Es würden einfach unterhaltsame Videos aus dem Alltag gemacht und das Produkt dann irgendwo nebenbei beworben, verkostet oder probiert. „Das ist einfach subtile Werbung.“

Kinder als lukrative Zielgruppe

So bleiben auch Kinder und Jugendliche lukrative Kunden, die nicht nur durch ihre Eltern, sondern auch selbst Umsatz machen. „Kinder sind als Zielgruppe der Werbung interessant, weil sie einerseits emotional sehr leicht zu manipulieren sind, andererseits, weil sie selber kaufkräftige Konsumenten sind“, erklärt Mollinger von Foodwatch Deutschland.

Kinder zwischen vier und 13 Jahren hätten aus Taschengeld und Geldgeschenken jährlich insgesamt drei Milliarden Euro zur Verfügung, das sie wieder hauptsächlich in Süßigkeiten investierten.

Klöckner setzte auf freiwillige Beschränkungen

Julia Klöckner setzte als Bundesernährungsministerin auf freiwillige Beschränkungen durch die Hersteller. Aus Sicht von Verbraucherschützern ein totaler Fehlschlag. Zwar hatten viele Hersteller eine EU-Selbstverpflichtung unterschieben, doch das hat laut dem jetzigen Ernährungsminister Cem Özdemir nicht gefruchtet.

„Gesetzliche Regelungen werden immer da nötig, wo freiwillige Selbstverpflichtungen scheitern. Vor allem dann, wenn es um den Schutz unserer Kinder geht“, so Özdemir in einer Pressekonferenz im Februar dieses Jahres.

Deshalb hat er Folgendes geplant:

  • Alle Kinder unter 14 sollen geschützt werden.

  • An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker, Fett- oder Salzgehalt sollen in allen relevanten Medien nicht mehr zulässig sein. Für Fernsehen und Radio gilt das für die Zeit zwischen 6.00 und 23.00 Uhr.

  • Werbung, etwa auf Plakaten, soll nur noch im Abstand von über 100 Metern zu Schulen, Kitas oder Spielplätzen erlaubt sein. 

  • An Kinder gerichtetes Sponsoring für Lebensmittel mit hohem Zucker, Fett- oder Salzgehalt soll ebenfalls unzulässig sein.

  • Weiter erlaubt bleiben soll aber erst mal die Verpackungsgestaltung, also die niedlichen Figuren auf den ungesunden Lebensmitteln.  

Diskussion um Werbeverbot

Ob diese Pläne tatsächlich umgesetzt werden können, bleibt fraglich. Verbraucherschützer erwarten heftigen Gegenwind vom Koalitionspartner FDP. Auch in der Industrie formiert sich Widerstand.

„Sie erreichen das Ziel mit diesen Maßnahmen nicht, und deshalb muss ich auch der Politik die Ernsthaftigkeit absprechen“, so Christoph Minhoff vom Lebensmittelverband Deutschland. Er spricht von Symbolpolitik. In Wahrheit gehe es darum, der Bevölkerung eine bestimmte Form von Ernährung und Lebensstil zu diktieren. Das sei eine "sehr erschreckende und bedenkliche Entwicklung".

Die Pläne kämen einem umfassenden Werbeverbot gleich. Stattdessen solle man Kindern besser den Umgang mit Medien beibringen.

Eine der wichtigsten Aufgaben von Erziehung ist nach Minhoffs Ansicht, Kindern beizubringen, dass sie eben nicht alles, was sie gerne möchten, am Ende auch haben können. „Eine wichtige Erkenntnis fürs ganze Leben“, so Minhoff abschließend.

Discounter haben bereits reagiert

Positiv reagieren aber die ersten Discounter auf die Pläne. Lidl bewirbt neuerdings keine einschlägigen Kinder-Produkte mehr aus der Eigenmarke in seinen Werbeblättern. Bis 2025 soll auch die Optik auf den Verpackungen der Eigenmarken geändert werden. Aktionsware, etwa zu Ostern oder Weihnachten, bleibt aber wie gehabt.

Aldi Süd hat gerade einen Ernährungswechsel eingeleitet, auch für Kinderlebensmittel. Die Rezepturen der Eigenmarken sollen bis Ende 2025 geändert werden.

Über dieses Thema wurde auch in der Sendung "Wir im Saarland – Service" am 04.04.2023 berichtet.

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