Das brachten die bisherigen Recherchen
In neun deutschen Städten hat Correctiv die Recherche "Wem gehört die Stadt?" bereits umgesetzt. Mit spannenden Ergebnissen. Ein Rückblick zum Start der neuen Bürgerrecherche, die sich mit dem Saarland erstmals auf ein ganzes Bundesland konzentriert.
Im November 2018 ging es los. Fast analog. Zwei Reporter des gemeinnützigen Recherchezentrums Correctiv richteten über mehrere Wochen einen Redaktionssitz in einem Café im Hamburger Stadtteil St. Pauli ein. Dort konnten Mieterinnen und Mieter aus Hamburg die Reporter besuchen, sie stellten Fragen zum Wohnungsmarkt und brachten Mietverträge mit.
Zur selben Zeit luden Bürgerinnnen und Bürger aus den unterschiedlichsten Stadtteilen Hamburgs Informationen und Belege über den Eigentümer ihrer Wohnung im CrowdNewsroom hoch. Aus den übermittelten Dokumenten setzten die Correctiv-Reporter aus kleinen Puzzleteilen nach und nach ein größeres Bild zu den Wohnungseigentümern der Stadt zusammen. Das war der Beginn von "Wem gehört Hamburg?".
Pilotprojekt mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet
Ein halbes Jahr dauerte die Recherche, an der sich mehr als tausend Menschen beteiligten. Durch die hohe Beteiligung konnten mehr als 15.000 Wohnungen konkreten Namen von privaten Eigentümern zugeordnet und zu den Problemen recherchiert werden, die aufgrund der Intransparenz des Immobilienmarktes in Deutschland existieren. Correctiv konnte berichten, wie die Hansestadt an Firmen in Steueroasen Grundstücke verkaufte; wie eine städtische Immobilienfirma und Pensionskassen am Boom mitverdienen und damit Bürger und Versicherte mittelbar von den steigenden Mietpreisen profitieren.
Die Jury des Grimme Online Awards 2019 zeichnete die Recherche als ein "herausragendes Beispiel" aus, wie Journalismus im Netz und unter Nutzung digitaler Tools seiner gesellschaftlichen Aufgabe und Verantwortung gerecht werden könne.
Große und kleinere Städte: von Berlin bis Lüneburg
Correctiv übertrug die Bürgerrecherche in den folgenden zwei Jahren auf weitere Städte, immer in Kooperationen mit lokal verankerten Medien. Mittlerweile haben Redaktionen in den Großstädten Hamburg, München, Berlin und Düsseldorf das Projekt umgesetzt (hier geht es zur Themenseite mit allen Ergebnissen). Zudem suchte Correctiv ganz bewusst Partner abseits der Metropolen in Städten, die eine ganz eigene Dynamik am Immobilienmarkt erleben. Es beteiligten sich Leserinnen und Leser von Tageszeitungen in Lüneburg, Heidenheim und Minden. Die Recherchen zeigen ganz unterschiedliche Phänomene.
In Berlin verschleiert eine Milliardärsfamilie mit einem Geflecht aus Briefkastenfirmen ihre Immobilien. Sie zählt zu den geheimen Großeigentümern der Stadt, zahlt aber kaum Steuern. In der Debatte um Enteignungen großer Eigentümer war diese Recherche brisant, weil der Berliner Senat dieses Unternehmen gar nicht auf dem Schirm hatte. In Düsseldorf beeinflussen die Kirchen mit tausenden Wohnungen den Immobilienmarkt.
In Bayern kooperierte Correctiv erstmals mit einem öffentlich-rechtlichen Partner. Der BR fragte mit München, Augsburg und Würzburg gleich an drei verschiedenen Orten „Wem gehört die Stadt?“. Es zeigten sich einige regionale Besonderheiten. So spielten Brauereien als Immobilieninvestoren eine ungeahnte Rolle. Doch auch Firmen aus einschlägigen Steueroasen mischen im bayerischen Immobilienmarkt mit.
In Lüneburg gibt es kaum ein Thema, das Mieter und Eigentümer so beschäftigt wie die Erbpacht, die dort eine große Rolle im Wohnungsmarkt spielt. Die Bodenpreise explodieren und damit auch die Kosten für Erbbau-Pächter. Die Landeszeitung Lüneburg hat aus den Einträgen der Bürger und durch weitere Recherchen detaillierte Analysen erarbeitet und Lösungsvorschläge diskutiert.
Konstruktive Debatten angeregt
Ein gemeinsamer Nenner aller Recherchen: Die Bewohner stellten Information zur Verfügung, die von Journalistinnen und Journalisten ausgewertet wurden und als Grundlage für differenzierte Debatten dienten. Es wurde diskutiert über faire und dubiose Investoren, über nachhaltigen Städtebau und den Ausverkauf von Grundstücken durch eine Kommune. In konstruktiven Debatten tauschten sich Mieter, Politiker, Vermieter oder Initiativen darüber aus, wie der Wohnungsmarkt besser reguliert werden kann.
Mittlerweile wird auf politischer Ebene diskutiert, ob es ein Immobilienregister geben sollte, in dem zumindest Firmen einsehbar sein sollten. Gerade Steuerfahnder und Geldwäsche-Experten fordern das seit Langem.
Hintergrund: Wer ist Correctiv?
Correctiv ist das erste gemeinnützige Recherchezentrum im deutschsprachigen Raum. Correctiv arbeitet unabhängig und nicht gewinnorientiert. Die Redaktion finanziert sich ausschließlich über Mitgliedsbeiträge von Unterstützerinnen und Unterstützern und über Spenden. Mehr über Correctiv unter correctiv.org.
Wenn Sie Fragen haben oder uns Informationen zukommen lassen möchten, schreiben Sie uns an: wemgehoert@sr.de
„Wem gehört das Saarland?“ ist eine Kooperation von SR und Correctiv und Teil einer Recherche-Serie für mehr Transparenz auf dem Wohnungsmarkt.