Ophüls auf der Couch - 2
Heute beginnt das eigentliche Festivalprogramm, das man in diesem Jahr statt im Kino nur zuhause gucken kann. Die Festivalmacher bieten dazu jeden Tag einen Parcours durch die „Highlights des Tages“ an, damit man nicht den Überblick verliert. Unser langjähriger Ophüls-Beobachter Sven Rech wird an dieser Stelle über seine eigenen Heimkino-Erlebnisse berichten.
Zweiter Tag vier zu drei.
Nein, das ist kein Fußballergebnis, sondern ein Seitenverhältnis. 4:3 beschreibt ein Bildformat, das ziemlich genauso aussieht wie ein alter Fernseher. Beinah quadratisch, nur ein Viertelchen breiter als hoch. Solange die alten Fernseher im Dienst waren, war dieses Format unter Cineasten verpönt. Wer als Filmschaffender was auf sich hielt, drehte in einem breiteren Format. 16:9 oder noch besser: Cinemascope. Auf dem alten Fernseher deuteten dann automatisch oben und unten schwarze Balken an, dass es sich um Filmkunst handelte.
Heute sind die Fernseher breiter, man hat sie an die Filmkunst angepasst. Und die Kunstfilme sind nun nicht mehr automatisch zu unterscheiden von Beiträgen aus der Tagesschau, Tatorten oder Game of Thrones. Darum tritt der Kunstfilm heute gern im Rahmen der verdrängten alten Röhrenfernseher auf: fast quadratisch, nur ein Viertelchen breiter als hoch, 4:3. Auf neuen Fernsehern erkennt man den Kunstfilm nun automatisch an den schwarzen Balken links und rechts.
Insider
Beim diesjährigen Ophülsfestival begegnet man ihm recht häufig. Im "MASSAKER VON ANRÖCHTE" etwa kann man sehen, dass sich 4:3 offenbar besonders eignet, die Tristesse deutscher Innen- und Außenarchitektur abzubilden. Durch die sorgfältig kadrierten Bilder von Jesse Mazuch stapft eine Theatertruppe aus Oberhausen in einem Krimi, der sich radikal allen Gesetzen seines Genres verweigert.
Sie hatten sicher viel Spaß dabei, aber als Zuschauer jenseits der schwarzen Balken sitzt man doch ein wenig rat- und lustlos auf dem Sofa und denkt: Man muss wohl dabei gewesen sein.
Alter Stoff, neu verpackt
In 4:3 ist auch die Welt von „SAMI, JOE UND ICH“ eingesperrt. Drei Freundinnen auf dem Weg zum Erwachsenwerden – es ist nicht so, als ob man diesen Film zum ersten Mal sähe beim Ophüls-Festival. Hier immerhin mit den frischen, unverbrauchten Gesichtern der jungen, ungekünstelten Darstellerinnen. Offenheit, Ehrlichkeit, Authentizität, Erzählen auf Augenhöhe seien die Messlatte für ihr Projekt gewesen, berichtet die Regisseurin Karin Heberlein.
Daher auch das Bildformat 4:3, es fokussiere den Ausschnitt der Welt ihrer Protagonistinnen. Eigentlich seltsam: die drei jungen Mädchen kamen mir nicht vor, als sei ihr Blick irgendwie links und rechts beschränkt. Und wenn ein Bildformat die Welt der Jugendlichen heutzutage abbildet, dann doch eher das Format des Handys: Cinemascope, hochkant.
Was wir nicht sehen
„ROTTEN CANDY“, ein mittellanger Wettbewerbsfilm, ist ebenfalls in 4:3 gedreht. Und hier geht es tatsächlich um einen verengten Blick. Die junge Ada ist auf einer abgelegenen Insel irgendwo vor Großbritannien unterwegs auf der Suche nach ihrem Vater. Bei ihrem Auto klemmt die Fahrertür, die Straßen sind eng und links und rechts von Bruchsteinmauern gesäumt und immer hat man das Gefühl, etwas Wesentliches nicht zu sehen. Prompt springt ihr ein Schaf vors Auto – mit Namen Steve, wie wir bald erfahren – und landet im Kofferraum, wo man es zwar nicht sehen, aber dafür deutlich riechen kann.
Kurz: dieser Film spielt virtuos mit den selbst gesetzten Grenzen, alles Wichtige ereignet sich an seinen Rändern – im Zentrum immer das verzweifelte Gesicht seiner Protagonistin auf der Suche nach etwas Greifbarem jenseits der schwarzen Balken.
Da sitzt man dann nicht mehr ungerührt auf dem Sofa.
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Aber morgen ziehen wir den Vorhang etwas weiter auf und schauen uns die volle Leinwand an. „3FREUNDE2FEINDE“ umrahmt seine Welt statt mit schwarzen Balken lieber mit schwarzem Humor – aber ich greife schon vor… Bis morgen!