Silas Corey Comic (Foto: Splitter)

Das große Schlachten

Der erste Weltkrieg im frankophonen Comic

Gerd Heger   10.11.2018 | 08:30 Uhr

Die erste Großschlachterei des 20.Jahrhunderts in Europa, „La Grande Guerre de 14-18“, hatte tiefgreifende Wirkung vor allem in Frankreich – das zeigt sich auch an der sehr umfangreichen Beschäftigung mit dem Thema in der frankophonen „bande dessinée“. Ein Überblick.

Tardi Elender Krieg (Foto: Edition Moderne)
Tardi Elender Krieg

Wenn es jemanden gibt, der sich – vor allem persönlich motiviert – herausragend als Comicautor mit dem 1. Weltkrieg auseinandergesetzt hat, dann Jacques Tardi. Der Erfinder der nassforschen Adèle Blanc-Sec hat schon als Kind – sein Vater war nach dem 2. Weltkrieg als Soldat in Kassel stationiert – die beiden Seiten der Grenze erlebt. Seine Beschäftigung mit den Schrecken von "Elender Krieg", „Grabenkrieg“ (Edition Moderne), von industrieller Menschenvernichtung und sinnlosen Materialschlachten hat er in mehreren Alben packend, angemessen erschreckend und menschlich verarbeitet: „Das Ende der Hoffnung“ darf das jedenfalls nicht sein, wie der „Soldat Varlot“ erlebt, der nach dem Krieg mit für immer gezeichneten Menschen zusammentrifft. Tardis Bilder - und auch seine Arbeit mit den "Chansons" der Zeit - zu sehen im Cartoonmuseum in Basel.

Tagebücher 14/18 (Foto: Tintentrinker)
Tagebücher 14/18

Direkt aus Tagebüchern ist dieser von Radio France und dem Deutschlandfunk unterstützte Comicband entstanden, „Tagebücher 14/18“(Tintentrinker). „4 Geschichten aus Deutschland und Frankreich“ haben Alexander Hogh und Jörg Mailliet in Bildgeschichten umgesetzt, die tatsächlich ein bisschen an Tardi erinnern. Ein Beispiel, wie, neben dem ARTE-Internetprojekt Zeitmaschine 14/18, die klassischen Medien ihre Erinnerungsarbeit zu leisten versuchen. Vier junge Leute, die alle den Krieg überleben (bei ARTE sind es 14 Tagebücher, die genutzt werden), zeigen, dass niemand solch tiefgreifende Verwerfungen unbeschadet übersteht. Und wie der Lebenswille und ein Kampf um die menschlichen Werte es erlaubt, weiter zu leben.

Der rote Baron (Foto: Panini)
Der rote Baron

Auch im klassischen Abenteuercomic ist die Zeit zwischen dem Zusammenbruch der letzten europäischen Feudalordnung und der russischen Revolution oft Thema. „Der Rote Baron“ (Panini) erzählt in drei Bänden eher abenteuerliche Episoden aus dem Kriegsleben des leider immer noch legendären und trotz Gräuel und Tod eher sportlich gesinnten und leichtsinnigen Herrn von Richthofen. Im „Krieg der Knöpfe“ (Panini) verirren sich die Findelkinder Lucas, Lucien, Luigi und Ludwig aus einem pikardischen Waisenhaus hinter die deutschen Linien – während die Artillerie dröhnt und verschmutzte und traumatisierte Männer zu überleben versuchen. Gerade die besonderen Geschichten in den seit 70/71 immer wieder hin- und hergeworfenen Grenzregionen und ihrer Menschen mit den zwei inneren Nationalitäten behandeln einzelne Episoden der neunteiligen Reihe „Ambulanz 13“ von Alain Mounier und Patrick Cothias (sechs davon in Deutschland bei Comic plus). Drei Teile hat das inzwischen vergriffene "Zoo" von Frank Pe und Philippe Bonifay (Splitter) - eine atmosphärisch dichte Geschichte aus der Normandie - in der unter den bekannt außergewöhnlichen Umständen ein Tierpark erhalten werden soll.

Hopfen und Malz, Adrien 1917 (Foto: Comicplus)
Hopfen und Malz, Adrien 1917

Dass der weltberühmte Corto Maltese in der „Südseeballade“ (Schreiber & Leser) im Pazifik mit den Konflikten des alten Europa zu tun bekommt, sei nebenbei erwähnt. So weit weg treibt sich auch Simon Combaud herum, am "Tatort Tahiti" (Didier Quella-Guyot und Sébastien Morice, Splitter), um einer alte Mordgeschichte zu klären - wobei der Krieg in die farbenfrohe Exotik einbricht. Näher dran die Episode der Familiengeschichten aus einer belgischen Brauerei, unter dem Titel „Hopfen und Malz“ (Jean van Hamme, Francis Valles, Comicplus) in Deutschland zu haben, die die deutsche Besatzung im Jahre 1917 thematisiert (später wird der Spirou von Emile Bravo (2018) unter der zweiten Besatzung seine Abenteuer erleben). Alle Bände dieser Reihe übrigens auch in der Saarbrücker Stadtbibliothek. Einen durchaus durchtriebenen Helden bietet die wirklich spannende, witzige und originelle Serie um den Spion „Silas Corey“ (Fabien Nury/Pierre Alary, Splitter). Die Handlung startet im Frühjahr 1917, und zeigt, dass man auch im Wettstreit mit dem ominösen deutschen Meisterspion Aquila seine James-Bond-Schäfchen ins Trockene bringen kann.

Das falsche Geschlecht (Foto: Avant-Verlag)
Das falsche Geschlecht

Dem steht die nach einer wahren Geschichte furios ins Bild gesetzte Story nicht nach um einen Deserteur, der in Paris „Das falsche Geschlecht“ (avant-verlag) annimmt und als Frau versteckt lebt (und liebt und es treibt). Bis die große Amnestie ihm die gar nicht so sehr ersehnte (und tragisch verlaufende) Rückkehr ins Mannsein ermöglicht. Hier ist der Krieg eher die Gelegenheit, Geschlechterprägungen über den Haufen zu werfen, drastisch, unmoralisch, traurig, was Chloé Cruchadet in sehr eigenem Stil erzählt. Auch sehr eigen (typisch der alte Punker Manu Larcenet eben): Die wundersamen Abenteuer des Vincent Van Gogh an der vordersten Front. Die schiere Menge der verwendeten Zeichenstile lenkt fast ein wenig vom harten Thema ab – skurril ist dieser Maler, der die Moral der Truppen einfangen soll, allemal.

Der Januar 1915 in der Champagne und der Mord an drei Frauen ist der Faden, an dem entlang das offizielle französische Weltkriegscomic Frankreichs von Mael und Kris die Beziehung aufzeigt zwischen einem Einzelnen, der tötet, und der kollektiven Opferung von Hundertausenden in der „Mutter Krieg“ (Splitter). In Bildern, die sich ins Gedächtnis eingravieren. Ein bisschen wie, in der Form originell, das zweisprachige Leporello „Joe Sacco - Schlacht an der Somme“ (Edition Moderne) – Weltkrieg zum Ausklappen.

Mutter Krieg (Foto: Splitter)
Mutter Krieg

Bleibt noch die Erwähnung der eher in Richtung Funny gehenden Serie, die Lesern des legendären Comicmagazins Zack vielleicht noch in Erinnerung ist: „Die neuen Abenteuer des Mic Mac Adam“ (nicht mehr erhältlich). Sowie die „Skagerrack 1916“-Geschichte in den großen Seeschlachten von Jean-Yves Delitte (Finix). Der Vollständigkeit halber hier noch die nicht frankophonen Alben „Drei Wege“ von Julia Zejn (aktuell aus Deutschland) (avant-verlag) und bei Carlsen „Junker“ von Simon Spruyt aus Holland. Im Entstehen ist die Graphic Novel zur historischen Bagatelle "Freistaat Flaschenhals" - einer eher unerhörten Episode der deutschen republikanischen Geschichte. Der saarländische Uderzo Bernd Kissel setzt die Story von Marco Wiersch um.

Ein großes Dankeschön für die Unterstützung beim Sammeln an Dirk Fried (Thalia), Filip Kollek, Claudia Jerusalem-Groenewald, Max Schlegel, Filipe Tavares und Bernd Weigand (comicleser.de).


Rabaté - Der Schwindler (Foto: Schreiber und Leser /Vents D’Ouest)
Rabaté - Der Schwindler

Was man sonst noch über BD erfahren kann

Sie suchen nach bestimmten Comics - oder wollen einfach nur stöbern? Die bisherigen Artikel unserer Seite zu frankophonen Comics in Deutschland finden Sie hier.


Konzept

Die Comicbegeisterung in Frankreich ist mit dem deutschen Comicmarkt nicht zu vergleichen. Aber sie schwappt auch über die Grenze: Gut die Hälfte aller frankophonen Bücher, die für Deutschland übersetzt werden, sind Comics. Von den Klassikern wie Asterix oder Lucky Luke bis zu heutigen Serien wie Largo Winch oder XIII, von Cartoongrößen wie Sempé oder Pénélope Bagieu bis hin zu den Zeichnern und Zeichnerinnen von Charlie Hebdo oder den Graphic Novels eines Guy Delisle.

Hier bietet SR.de exklusiv für Deutschland eine regelmäßige Auswahl aktueller Titel, aber auch Hinweise auf Klassiker und Gesamtausgaben. Kontakt: gheger@sr.de

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