Erinnerungen: Wie die Lust am Radio entstand

Fünf Jahre lang (von 1986 bis 1991) gab es beim SR ein Ausbildungsradio für Praktikanten, Volontäre und andere journalistische Nachwuchskräfte. Jeweils einige Wochen lang konnten sie im "Stadtradio Saarbrücken“ erste Radio-Erfahrungen sammeln oder ihre Ausbildung um Radio-Praxis unter Live-Bedingungen ergänzen.

Von Stefan Braun

 (Foto: SR)
Axel Buchholz, heute Honorarprofessor am Journalistischen Seminar der Universität Mainz

Der damalige SR-Abteilungsleiter Magazine und Aktueller Dienst, Axel Buchholz, war als Ausbildungsbeauftragter zusätzlich Leiter des Nachwuchsstudios. Er ist bis heute vom Konzept überzeugt: „Es war ein geschützter und betreuter Freiraum in einer Übungsredaktion. Das Nachwuchsstudio festigte bundesweit den Ruf des SR, ein besonders ausbildungsfreudiger Sender zu sein.“
Das Übungsradio war die einzige Einrichtung dieser Art in der ARD. Von überall her kamen Journalismus-Studenten und Journalistenschüler nach Saarbrücken. Viele von ihnen arbeiten heute bei  Radio, Fernsehen und Presse, zum Teil in leitenden Funktionen.


Alle erinnern sich gern an diese Ausbildungszeit beim Saarländischen Rundfunk:


Martin Ganslmeier

 (Foto: SR)

"Für Berufsanfänger einzigartig"

„An das Pampersstudio habe ich sehr gute Erinnerungen. Das war damals eine in Deutschland einzigartige Möglichkeit, dass Praktikanten jeden Tag eine eigene Sendung erstellen konnten: von der Themenfindung bis zur Moderation der Sendung. Die vier Wochen, in denen ich im Nachwuchsstudio täglich eine Stunde Sendung machen konnte, haben jedenfalls meine lebenslange Leidenschaft fürs Radio geweckt!

Ich erinnere mich an die erste Sendung, in der ich als Außenreporter eingesetzt war, um über eine Demonstration auf dem St. Johanner Markt zu berichten. Frank Johannsen, heute Hörfunkdirektor, damals Leiter der Aktuellen Kultur und Tutor im Nachwuchsstudio, fragte mich anschließend, ob ich nicht Lust hätte, als freier Mitarbeiter aus meinem Studienort Bonn regelmäßig über kulturelle Ereignisse zu berichten. So wurde aus dem Praktikum im Pampers-Studio eine freie Mitarbeit und später das erste Job-Angebot im Journal am Morgen bei Axel Buchholz.

Mir hat am Nachwuchsstudio und überhaupt am SR gut gefallen, dass man dort Ideen ausprobieren konnte, ohne dass zuvor erst einmal jahrelang Arbeitsgruppen tagen mussten. Gerade für Berufsanfänger war das ein guter Nährboden, der die Kreativität gefördert hat.“

(Martin Ganslmeier ist heute ARD-Korrespondent in Washington für den NDR, war zuvor Leiter der Intendanzen beim SR und NDR und davor beim SR Reporter, Moderator, Redakteur und ARD-Juniorkorrespondent in Washington)


Stefan Hans Kläsener

 (Foto: SR)

"Journalismus voller Lust"

„Wenn Profi-Journalisten einem Kollegen völliges Versagen vorwerfen, sprechen sie gern von „Schülerzeitungs-Niveau“. Das sitzt. Dann ist der Kollege fertig, und jeder Rechtfertigungsversuch geht ins Leere.

Beim Saarländischen Rundfunk surften wir jungen, unkundigen Nachwuchsjournalisten auf der Europawelle in einem kleinen UKW-Fenster. Und machten „Schülerradio“. Anders kann man es nicht nennen, denn wir waren unbedarft, auch wenn uns Profis mit Tipps weiterhalfen. Wir sendeten stolprige Beiträge. Moderierten, wie uns der Schnabel gewachsen und wie der heimische Dialekt es uns vorschrieb – ein Gräuel für die Nachrichtenprofis mit Sprecherausbildung. Wir fuhren die Sendungen im Selbstfahrerstudio – Mitte der Achtziger Jahre noch eine Rarität im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Wir schwitzten bei der Live-Reportage aus dem Deutsch-Französischen Garten. Wir lachten uns schlapp vor dem Mikrofon, wenn der urkomische Walter Schmidt, ein Saarländer durch und durch, mit wirren Anrufen in die Sendung durchgestellt wurde. Es war ein bisschen Comedy, ein bisschen Selbsterfahrungstripp, durchaus auch ein wenig Bürgerradio. Vor allem aber war es, was diesen Beruf so einzigartig macht: Es war Journalismus voller Lust und Leidenschaft, mit mehr Herz als Verstand und mehr Wollen als Können. Also mit allem, worauf es letztendlich ankommt.

Und: Radio ist ein sehr persönliches, emotionales Medium. Die Stimme ist viel individueller als jeder noch so ausgefeilte Schreibstil. Darum beneide ich ab und an die Radio-Kollegen und sehne mich, wenn das Tageszeitungsgeschäft mal wieder allzu professionell verläuft, nach dem guten alten Schülerradio. Dem Nachwuchsstudio des SR.“

(Stefan Hans Kläsener ist heute Chefredakteur der Westfalenpost in Hagen, davor in leitender Position bei verschiedenen Zeitungen)


Lutz Semmelrogge

 (Foto: SR)

"Freude am Radiomachen" und mehr…

„Ende 1989 war ich Praktikant im Nachwuchsstudio. Das war doppelt schicksalhaft. Zum einen, weil mich die Freude am Radiomachen gepackt und sich daraus mein beruflicher Werdegang beim SR entwickelt hat. Zum anderen, weil ich im Nachwuchsstudio meine heutige Frau kennengelernt habe. Damals war sie meine 'Chefin' - und ist es immer noch...“

(Lutz Semmelrogge ist heute SR-Programmdirektor. Er war zuvor beim SR u.a. Reporter, Moderator, Radio- und Fernsehredakteur, Moskau-Korrespondent und Leiter der SR-Intendanz und SR3 Programmchef)


Alexander Krahe

 (Foto: SR)

"Mutiger SR"

„Durch das Nachwuchsstudio bin ich auf den Saarländischen Rundfunk aufmerksam geworden, studiert habe ich damals in Köln, September/Oktober 1989 war ich dann in Saarbrücken. Meine persönliche Jobplanung ging zunächst eher Richtung Presse. Mir gefiel es, tagesaktuell zu arbeiten und jeden Tag eine neue Chance zu haben, es besser als am Vortag zu machen. Diese Erfahrung gilt für das Radio erst Recht. Mir hat das Direkte und Einfache am Nachwuchsstudio gefallen. Auch wenn ich bis heute viel mit Radio- und Formatentwicklung zu tun habe, bin ich der Meinung, im Radio muss es gelegentlich wie im wahren Leben "schnell und schmutzig" zugehen. In der multimedialen Konkurrenzsituation nennt man das, glaube ich, "authentische Live-Anmutung".

Das Nachwuchsstudio war eigentlich keine Spielwiese. Die Radioformate waren eher klassisch: O-Ton-Nachrichten, Bericht mit Einblendungen, Interviews, Reportagen, Kollegengespräche. Experimentell waren zu dem Zeitpunkt eher sogenannte Jugendfunk-Sendungen. Ziemlich modern war das Feedback (den Ausdruck gab es damals noch nicht...) unmittelbar nach der Sendung. Ich erinnere mich nicht nur an Axel Buchholz. Erfrischend unterschiedlich waren auch die Auftritte von Hans-Harro Schmidt und Hans-Georg Klein. Den Namen „Pampers-Studio“ fand ich 1989 schon ärgerlich. Wir waren jung, ehrgeizig und wollten was Spannendes erzählen. Klingt im Rückblick vielleicht naiv, es war aber ernst gemeint.

Absolut historisch und in der digitalen Welt unvorstellbar: Wir haben damals in meterlangem Bandmaterial gestanden und uns verheddert. Der Schnitt war hart und die O-Ton-Lage gelegentlich verworren. Unglaubliches haben damals die "Betreuer" getan: Sie haben sehr viel Aufbauarbeit geleistet und schlimmste Fehler verhindert. Das Nachwuchsstudio wurde gehört, das war keine Nische. Ziemlich mutige Entscheidung vom SR uns da jeden Tag so senden zu lassen.“

(Alexander Krahe war später in Berlin beim rbb-Inforadio Redaktionsleiter für Management & Layout, zuvor war er lange beim SR Reporter, Moderator und Redakteur. Alexander Krahe ist am 2. Januar 2020 verstorben.)


Marie Elisabeth Denzer

 (Foto: SR)

"Ein etwas anderer Ton"

„Woran ich mich erinnere, ist das tägliche Chaos - und die Überraschung, dass es trotzdem immer eine Sendung gab. Wir haben damals, als Radio und Fernsehen noch staatstragende Bedeutung hatten, einen etwas anderen Ton eingeführt. Ich erinnere mich, dass wir Technik und Studio selbst fahren mussten, Moderatoren als Selbstfahrer der Sendungen, das war damals noch neu.

Ich erinnere mich auch an einen etwas merkwürdigen Praktikanten, der war irgendwie immer auf der Suche nach dem Pulitzer-Preis. War oft sehr mühsam, ihm klar zu machen, dass es wenig Sinn macht, mit zwei oder drei Stunden Tonmaterial anzurücken, um daraus in kürzesten Schneidezeiten einen zwei Minuten langen Beitrag zusammenzukürzen….

Ich habe grundsätzlich gute Erinnerungen an das Studio. Ich war vier Wochen dort, bevor ich nach Bonn ins damalige Hauptstadtstudio geschickt wurde. In meinem Volontariat absolvierte ich auch eine Stage im Messestudio der IFA in Berlin, dort machte die ARD/ZDF-Medienakademie ein Seminar ‚Nachwuchs-Journalisten machen Messeradio’ - nach meinen Erfahrungen mit unserem SR-Pampersstudio war ich dafür bestens präpariert.“

(Marie-Elisabeth Denzer ist heute Leiterin der Unternehmenskommunikation beim Energie- und Umweltunternehmen VSE, zuvor war sie beim SR lange Fernseh-Redakteurin und Anchorfrau der regionalen Fernseh-Sendung  "Aktuellen Bericht",  davor Reporterin, Moderatorin und Redakteurin im Hörfunk)


Frank Thewes

 (Foto: SR)

"Schnell auf den Sender"

„Schon rein körperlich war es herausfordernd, weil die Reportergeräte der damaligen Generation ein beachtliches Gewicht aufwiesen. Wir waren manchmal der Schrecken der Saarbrücker Stadtpolitik, für die wir schwer kalkulierbar waren. Mit unserer täglichen Sendung um 15.00 Uhr konnten wir das Rathaus aber einige Male aufmischen, auch wenn uns die erfahrenen Betreuer einige Flausen austreiben mussten. Damals konnte sich noch niemand im Internet vor der Welt produzieren. Nirgendwo kamen ehrgeizige Journalisten schneller auf den Sender. Wer sich seine damaligen Tondokumente anhört, wird schnell daran erinnert, wie viel gute Sprecherziehung leisten kann.“

(Frank Thewes ist heute stellvertretender Leiter der Hauptstadtredaktion des Magazins Focus. Ihn zog es nach freier Mitarbeit bei Radio und Fernsehen des SR zur gedruckten Presse)


Joachim Weyand

Joachim Weyand (Foto: Oettinger)

"Fastnachtsreportage im Beerdigungsstil"

„Mein erster Beitrag fürs Stadtradio war die Saarbrücker Rathaus-Erstürmung am Fetten Donnerstag. Das ging gewaltig in die Hose. Unser Tutor, der spätere Hörfunk-Programmdirektor Hans-Harro Schmidt, hat meinen Beitrag völlig verrissen. Ich stand mit meinem Uher-Tonbandgerät im Rathaussaal, hinter mir toste die Narrenzunft und ich reportierte im Stile einer Beerdigungsübertragung: „Hinter mir…..“ – möglichst leise, damit ich die Humba-Humba-Musik nicht störte… Hans Harro Schmidt jedenfalls polterte hinterher: „Gehen sie zum Lachen in den Keller?“.

Gebracht hat mir das Stadtradio-Praktikum neben der Sorge, ob ich jemals in der Lage sein würde, die Technik auch nur im Entferntesten eines Tages beherrschen zu können, vor allem handwerkliche Praxis und – als bisherigem Zeitungsmitarbeiter – Einblicke in ein anderes Medium – das dann auch das meine werden sollte. Und die ganz persönliche Einsicht: All zu schüchtern sollte man nicht sein, wenn man im Radio arbeiten will.“

(Joachim Weyand ist heute beim SR Fernsehredakteur und Anchorman der regionalen Fernsehsendung „Aktueller Bericht“, zuvor war er Reporter, Moderator und Radio-Redakteur)

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