Ilse Laudenklos (1992) (Foto: SR)

Als Radio-Töne noch von der „Wachse“ kamen

  10.04.2013 | 12:40 Uhr

Erinnerungen von Ilse Laudenklos, Text: Axel Buchholz

Heute werden beim Saarländischen Rundfunk, wie überall beim Radio, die Töne digital in Servern aufgezeichnet und bearbeitet.  „Gestern“ wurden sie noch auf Tonbändern gespeichert und geschnitten. „Vorgestern“ waren „die Wachse“ das angesagte Speichermedium. Ilse Laudenklos (*20.3.1927; †18.3.2016) dürfte die einzige ehemalige SR-Mitarbeiterin gewesen sein, die 2013 noch über die Arbeit mit Wachsplatten und Schallfolien beim Reichssender Saarbrücken erzählen konnte.

Ihren ersten Beruf als Tontechnikerin hat Ilse Laudenklos dem Rudern zu verdanken. Dafür lief sie (damals noch Ilse Schwickerath) als Schülerin in Saarbrücken regelmäßig in den Ruderclub Undine. Auf dem Weg dorthin kam sie auch durch die Straße „Am Eichhornstaden“ (heute: „Am Staden“).  An dieser Straße entlang der Saar lag mit der damaligen Hausnummer 11 auch der erste saarländische Radiosender, der „Reichssender Saarbrücken“. Er wurde 1935 gegründet, kurz nachdem sich die Saarländer in einer Volksabstimmung mit großer Mehrheit für die Rückkehr nach Deutschland entschieden hatten, das seit 1933 von Hitler beherrscht wurde.

Reichssender Saarbrücken am Staden. Zum Vergrößern bitte anklicken.

Beim „Reichssender Saarbrücken“ arbeitete in führender Position als Techniker Ilses ältester Cousin, der Diplomingenieur Karl Korn. Den besuchte sie gern mal so im Vorbeigehen. Das ging sogar schon ohne Kontrolle. Die Wachsoldaten am Tor der Einfahrt  zu der ehemaligen Villa kannten sie schon. Es hat nicht lange gedauert, bis Ilse Laudenklos  vom Radio-Bazillus angesteckt war. Besonders die Arbeit der beiden Tontechnikerinnen Yvonne Kraus aus Heidelberg und Inge Scheuerman aus Ludwigshafen hatte es ihr angetan. Sie waren in Berlin ausgebildet und danach nach Saarbrücken abgeordnet worden.
Seit Kriegsbeginn durften auch Frauen den Beruf ausüben, berichtet Ilse Laudenklos. Die Männer wurden ja an der Front gebraucht. Eigentlich musste man mindestens 18 Jahre alt sein, um Tontechnikerin lernen zu können. Aber dank Ilses Beharrlichkeit und des Cousins Einfluss wurde eine Ausnahme gemacht.  So durfte sie schon mit 15 Jahren im Oktober 1942 ihre Ausbildung beginnen. „Ich war mächtig stolz und hatte mich besonders gut angezogen“, erinnert sie sich an ihren ersten Arbeitstag. „Mit Rock natürlich, als junges Mädchen und Frau trug man damals keine Hosen.“

Wachsplatte (Foto: Deutsches Rundfunkarchiv) (Foto:  Deutsches Rundfunkarchiv)
Eine Wachsplatte: im Funkhausjargon eine "Wachse"

„Geh vorsichtig mit den Wachsen um“, schärfte man Ilse Laudenklos so  ziemlich als Erstes ein. Die Wachsplatten waren ungefähr so groß wie eine Langspielplatte – aber mit fünf bis sechs Zentimetern ziemlich dick und mit vier Kilo Gewicht auch recht schwer. Vor allem aber zerbrachen sie sehr leicht, wenn man sie nicht vorsichtig behandelte. 

„Mitschneiden“ oder  „eine Wachse schneiden“  – so sagte man, wenn etwas aufgenommen wurde. Und so erklärt sich auch das alte Reporter-Kommando: “Achtung Aufnahme, bitte schneiden“. Es war selbst dann noch üblich, als das Tonband längst die Wachse abgelöst hatte und es nichts mehr zum Schneiden gab. Geschnitten wurde mit einem über der Platte montierten „Stichel“.

Aber auch das Abspielen der Wachse war kein Kinderspiel. Wegen ihrer kurzen Laufzeit von rund viereinhalb Minuten, mussten in einer Sendung meist mehrere hintereinander abgespielt werden. Den Plattenwechsel durften die Hörer nicht bemerken. Kein großes Problem bei Wortaufnahmen, sehr schwierig bei Musik. Deshalb wurden die Platten etwas überlappend aufgenommen. In dieser kurzen Überlappungsphase musste vollkommener Gleichlauf  beider Platten hergestellt und dann von der ersten auf die zweite gewechselt werden.

Eine „Wachse“ wird geschnitten (Foto: W. Hell)
Eine „Wachse“ wird geschnitten beim Reichssender Saarbrücken.

Die Wachsplatten hatten sich im Radio als Tonträger allgemein durchgesetzt. Sie konnten sofort nach der Aufnahme wieder abgespielt werden, allerdings nur wenige Male. Zudem waren sie mehrfach neu bespielbar.

Schallfolie  (Foto: N. Meyer)
Aus der Sammlung von Nikolaus Meyer: eine Schallfolie von der Reichsrundfunkgesellschaft

Decelith-Schallfolien lernte Ilse Laudenklos damals beim Reichssender Saarbrücken ebenfalls kennen. Sie bestanden aus Kunststoff, waren groß wie eine Langspielplatte, aber – anders als die Wachse – sehr dünn, leicht und biegsam. Nur einmal konnten sie bespielt, dafür aber öfter ohne Qualitätsverlust abgespielt werden. Frontberichte von den Kriegsberichterstattern  nahm Ilse Laudenklos meist darauf auf.

Hochwertige Lackplatten wurden verwendet, wenn es um das damals Allerwichtigste überhaupt ging, wie um Reden des „Führers“ Adolf Hitler oder seines Propagandaministers Joseph Goebbels, erinnert sich Ilse Laudenklos. Sie bestanden aus weißem Zelluloid-Material, auf das eine schwarze, hochglänzende Lackschicht aufgebracht war.

Auch ein Tonband-Gerät mit Kunststoffband hat Ilse Laudenklos beim Reichssender Saarbrücken bereits gesehen, sagt sie. Es sei aber wegen mangelnder Tonqualität so gut wie nie eingesetzt worden. Plattenspieler gab es natürlich ebenfalls. Darauf wurden die Schallplatten der Musikindustrie abgespielt.

Die Familie von Ilse Laudenklos hatte 1942 beim ersten großen Bombenangriff auf Saarbrücken ihr Heim verloren und wohnte nun in Schafbrücke. Von dort aus ging Ilse zu Fuß knapp eine Stunde zum Sender und dann durch das geräumige Foyer der Funkhaus-Villa gleich ins Dachgeschoss. Da gab es nach ihrer Erinnerung mindestens drei Räume.

Der langgezogene Schaltraum war die technische Zentrale mit einem imponierend großen Schaltpult. Hier kamen die Leitungen von den anderen Reichssendern in den deutschen Gauen (wie es damals hieß) und vom Reichsrundfunk in Berlin an. Und von hier gingen die Saarbrücker Reichssendungen auch dorthin. Geschaltet wurden die Verbindungen von Hand auf einer großen Stecktafel.

In der Mittagspause mal kurz beim Reichssender musizieren

Über Postleitungen waren an den Schaltraum auch die anderen beiden Produktionsstätten des Reichssenders in Saarbrücken angebunden: das größte Studio im damals von den Nazis konfiszierten Gebäude der Arbeiterwohlfahrt in der Hohenzollernstraße und das etwas kleinere Studio im „Stiefel“ am St. Johanner Markt. Die Lage in der Nähe des Theaters war für so machen Musiker oder Schauspieler günstig. So konnte er auch zwischen zwei Theaterproben oder in der Mittagspause schnell mal für eine Musiksendung oder ein Hörspiel vorbeikommen.

Studio Reichssender 1938 (Foto: SR)
Im Studio beim Reichssender Saarbrücken

Ilse Laudenklos arbeitete aber meist im Funkhaus. Ein kleiner Technikraum und das nach ihrer Erinnerung einzige Studio waren ebenfalls im Dachgeschoss eingerichtet. Es war recht klein und hauptsächlich für Nachrichten, Aktuelles, Ansagen und kleine Wortproduktionen gedacht. Überwiegend wurde daraus live gesendet – allerdings immer nur stundenweise, denn das meiste Programm kam aus Berlin oder von anderen Reichssendern.

Ferdi Welter sprach seine Morgensendung „Froh und frisch am Frühstückstisch“ regelmäßig aus diesem Studio – das Wort „moderieren“ kannte man noch nicht. Da trank er dann „live“ und – hin und wieder – absichtlich hörbar schlürfend den Kaffee, den auch die junge Ilse gern mal für ihn kochte. „De Ferdi“ war Schauspieler gewesen und nach 1935 beim Reichssender zu einem Radiostar geworden. Im Umgang mit Kollegen aber merkte Ilse Laudenklos davon nichts. Da war er einfach „unser Ferdi“, so lustig, locker und saarbriggerisch wie am Mikrofon. Und immer für einen guten Tropfen oder eine Schnapsidee zu haben, besonders gern mit Fritz Weißenbach, dem ebenfalls sehr volkstümlichen Schauspieler und Dialekt-Sprecher. Der wettete, dass er 42 Eier auf einmal essen könne. Keine Spur offenbar von kriegsbedingtem Eier-Mangel. Ferdi hielt dagegen – und verlor. Fritz ließ die Eier weich kochen, klein hacken, in der Pfanne noch mal anbraten und aß diese „Pampe“ dann tatsächlich ganz auf. Danach sei er „wie besinnungslos“ gewesen, gibt Ilse Laudenklos wider, was am nächsten Morgen Funkhausgespräch war. Es ekelt sie noch heute, wenn sie davon erzählt.

Ferdi Welter mit Schallplatten (Foto: SR)
Morgen-Sprecher Ferdi Welter beim Reichssender Saarbrücken

In der Etage unter dem Dachgeschoss, der ersten also, hatten  Verwaltung und Redaktionen ihre Büros. Und darunter im Erdgeschoss lagen in den hohen und repräsentativen Räumen die Zimmer des Intendanten Karl Mages („ein zurückhaltender, fast unscheinbarer  Mann“), und seiner wichtigsten Mitarbeiter. Auch Horst Slesina, der Zeitfunkchef, hatte dort seinen Arbeitsplatz. Ilse Laudenklos schwärmte damals etwas für ihn: „Der war schneidig und sah sehr gut aus.“ Slesina und andere aus der Führungsriege des Reichssenders sah sie im Funkhaus oft in der braunen Uniform der SA – meist, wenn sie Termine außerhalb hatten. In der Partei, der NSDAP, seien fast alle gewesen: „Anders ging es damals nicht in leitenden Positionen beim Sender.“  Sie selbst war (wie im NS-Deutschland die Regel) beim Bund deutscher Mädel (BDM), dem Gegenstück zur Hitlerjugend der Jungen.

An private Gespräche beim Reichssender über Politik kann sich Ilse Laudenklos nicht erinnern. Saarbrücken habe zwar nach dem ersten großen Angriff  durch britische Bomber in der Nacht vom 29. auf den 30. Juli 1942 schon „sehr schlimm“ ausgesehen. Und auch die Schlacht um Stalingrad tobte bereits. „An den ‚Endsieg‘ haben aber alle weiter geglaubt. Wir waren zu sehr geimpft.“ Auch sie selbst als junges Mädchen natürlich: „Man konnte sich der Propaganda nicht entziehen.“ Besonders Joseph Goebbels sei für sie „ungeheuer überzeugend“ gewesen. Ihn erlebte sie dann auch persönlich, nachdem sie im Frühjahr 1943, wie damals vorgeschrieben, ihre Ausbildung in der Zentrale beim Reichsrundfunk fortsetzte. „Um noch mehr zu lernen“, ging sie mit knapp 16 Jahren gern dorthin, auch wenn sie zuvor wohl behütet nie weiter als bis in die Eifel gekommen war. „Vor den ständigen Luftangriffen auf Berlin hatte ich keine Angst“, erzählt sie wie selbstverständlich. Und das, obwohl die Wohnung ihrer Eltern im Bombenhagel auf Saarbrücken da schon zu einem Schutthaufen geworden war.

Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Christine Gebel, Sven Müller, Eva Röder, Roland Schmitt, Klaus Peter Weber sowie vom Deutschen Rundfunk-Archiv Susanne Hennings, Andre Huthmann und Jörg Wyrschowy

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