Lob und Tadel: Briefe zum „Wort zum Sonntag“ vom SR

Von Irmgard Rech

Nicht wenige Zuschauer waren irritiert. Eine ganz normale Frau predigt für die katholische Kirche im Fernsehen. Das war doch bis jetzt immer ein Geistlicher mit Gipskragen. Also muss sie evangelisch sein. So wurde ich in vielen Köpfen zur Pfarrerin gemacht, die ich in meiner Kirche nicht sein durfte. Ein Zuschauer schrieb, wie es ihn freue, dass eine Frau „die Priesterkaste“ verdrängt habe und fragte: „Oder waren Sie gar die erste?“ Ja, ich war die erste Katholikin (und eine Laiin noch dazu), die in der ARD das „Wort zum Sonntag“ sprach. Und zwar für meinen Heimatsender, den Saarländischen Rundfunk.

In meinem ersten „Wort zum Sonntag“ – es  war am 3. April 1984 am Vorabend des Fastnachtssonntags – sprach ich über den religiösen Ursprung des Tanzes. Ich forderte die Zuschauer auf, selber zum Tanzen zu gehen. Die Wirkung war enorm. Und sehr kontrovers. Wie ich mit meiner Sprache die Herzen der Menschen aufwühlen würde, hatte ich so nicht erwartet.

Bild: Videoteaser
Warum Tanzen in den Himmel hilft: ein Auszug aus dem ersten „ Wort zum Sonntag“ von Irmgard Rech vom 3. April 1984 beim Saarländischen Rundfunk (Länge: 1‘02“), Quelle: SR-Archiv.

 „Sie haben ein phantastisches Wort zum Sonntag gesprochen!“ – „ Sie sprachen mir aus dem Herzen, Sie sind sicher ein fröhlicher Mensch.“ – „Sie gaben der Freude Raum, dadurch vermittelten Sie etwas von der Freude eines Christen, die wir ja eigentlich ausstrahlen sollten.“ Schläge bekam ich von den Strenggläubigen, besonders auch von fastnachtsfeindlichen Protestanten, die mich für eine spirituell total entgleiste evangelische Pfarrerin hielten. „ Die Grenze des Blasphemischen ist erreicht. Das werden Sie vor Gott verantworten müssen.“ – „Ansonsten werde ich als Knecht Jesu Christi, der seit Jahrzehnten an der geistlichen Front steht, am Jüngsten Tag gegen Sie als Zeuge erscheinen.“ – „Sie sind ein falscher Prophet!“

Die Offenbarung von so viel Hass gegen Andersdenkende unter Christen entsetzte mich. Aber Anlass zur Freude hatte ich genug: der deutsche Tanzverein veröffentlichte meine Tanzpredigt in seiner Zeitschrift, Leiterinnen von Tanzgruppen bedankten sich und gaben meine Predigt weiter, ein Maler schenkte mir ein eigens für mich gestaltetes Tanzbild, das ich rahmen ließ. Eine Frau komponierte einen Kanon nach einem Satz von Augustinus: „Lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel mit dir nichts anzufangen!“ Selbst aus dem pietistischen Baden kam Dank: „Das war nötig! Bei uns heißt es immer noch: Ein Christ gehört in die Kirche auf die Knie und nicht in den Tanzsaal, wo der Teufel sein Werk tut.“

Von den Priestern meiner Kirche, die alles beim Alten lassen wollten, kam die Frage: „Woher hat eine Frau die Berechtigung, das Evangelium in der Öffentlichkeit zu verkünden? Das ist allein die Aufgabe der geweihten Priester!“  Und in Anrufen und Briefen an kirchliche Stellen, an Pfarrer Pfeiffer (den katholischen Rundfunkbeauftragten des Bistums Trier) und die ARD verlangten sie meine Absetzung.
Unsere 18jährige Tochter hatte einmal einen so hochgradig Empörten am Apparat hatte, weil ich mit meinem Mann zum Fastnachtstanz gegangen war. Sie gab sie ihm kurz und bündig die Antwort: „Meine Mama kann das und darf das!“

Als ich anlässlich der biblischen Erzählung vom zwölfjährigen Jesus im Tempel davon sprach, dass Mütter ihre Kinder loslassen müssen, stand in einem Brief: „Es sind Worte nach denen man greift, wenn man zutiefst verzweifelt ist.“ Nach meiner Predigt über die Begeisterung, die in der wahren Liebe ein ganzes Leben lang bleibt, schrieb mir eine Frau „den längsten Brief“ ihres Lebens, es waren acht Seiten: „Ich schreibe ihnen, weil ich so verzweifelt bin und mir ihre Worte am Samstagabend bis ins Innere gedrungen sind.“ 

Aber wie sollte ich den Verzweifelten und Schwermütigen helfen? Ich konnte gar nicht so viele tröstende Briefe schreiben. „Ich bin sehr oft schwermütig und bekam das Bedürfnis, Sie selber anzuschreiben. Ich möchte wenigstens nur eine kurze Zeit mit Ihnen schreiben.“ Solche Bitten, auch um konkreten Rat, gab es immer wieder. Ich konnte nur wenige beantworten. Eine Frau, deren Sohn im eigenen Dachdeckerbetrieb ums Leben gekommen war und deren Mann darauf stumm geworden ist, habe ich bis zu ihrem frühen Tod brieflich aufzurichten versucht. Sie hat sich sterbend in einem letzten Brief von mir verabschiedet. Ich weiß, dass manche oder mancher umsonst auf eine Antwort gewartet hat. Aus einem schon fast vergilbten Brief ist mir ein Fünfmarkschein herausgefallen. Es tut mir heute noch leid, ihn nicht beantwortet zu haben. 

Ich weiß aber auch, dass manchen meine Worte aufgeholfen haben. „Ihre Worte haben mir Mut gemacht. Sie werden mir ein Teil meines Lebens sein.“ Unvergesslich ist mir der Dank einer 26-jährigen Frau, deren Mann kurz zuvor gestorben war. Sie hatte nach Wochen tiefer Trauer zum ersten mal wieder den Fernseher angestellt. Da hörte sie mein „Wort zum Sonntag“ über die erforderliche Sensibilität in unserm Verhalten zu den Witwen. „Sie haben mich wieder ins Leben zurückgeholt!“, versicherte sie mir dankbar am Telefon. Da war auch ich dankbar.

Seit mehr als vier Jahrzehnten mache ich Verkündigungssendungen am Saarländischen Rundfunk, manchmal auch zusammen mit meinem Mann Benno Rech. Lebendig, das heißt sensibel und beherzt zu machen und die jesuanische Freude zu wecken, darin sehe ich die Aufgabe von Religion und Kirche. Die katholische Kirche versteht es leider nicht, die fehlenden Priester durch engagierte Laien zu ersetzen, die Menschen begeistern können. Ich habe beim „Wort zum Sonntag“ von 1984 bis 1990 erfahren dürfen, wie viel Begeisterung zurückkommt: „Hätte die Kirche mehr wie Sie, wir wären nicht gespalten. Ich tanze mit ihnen. Danke!“ 

(Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Norbert Blauth, Ursula Comperl, Thomas Braun, Wolfgang Drießen, Jens Gerlach, Donata Grün, Beate Heitz, Barbara Lessel-Waschbüsch, Christa Littner-Ecker, Jürgen Mahrenholz, Sven Müller, Roland Schmitt, Hans-Ulrich Wagner, Peter Wirtz)

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