François-Régis Bastide am Schreibtisch (Foto: Sammlung SR)

François-Régis Bastide

Zuerst Musikchef von Radio Saarbrücken, dann Moderator, Schriftsteller und Diplomat

 

Als französischer Besatzungsoffizier kam François-Régis Bastide 1946 zu „Radio Saarbrücken“ – damals ein Sender der Militärregierung. Seine Begeisterung für die klassische Musik brachte Bastide aus Frankreich mit. Seine Liebe zum Radio entdeckte er an der Saar. Ein Glücksfall für beide.  

Von Daniel Mollard, Mitarbeit: Stefan Weszkalnys

Den Namen François-Régis Bastide kenne ich seit meiner Jugend. Mit meiner Familie gehörte ich um 1955 herum in Lyon zu den treuen Hörern der populären französischen Radiosendung „Le Masque et la Plume“ („Die Maske und die Feder“, also Theater und Literatur). Regelmäßig saßen wir einmal im Monat an einem Sonntagabend vor unserem großen Rundfunkkasten, um dem wortgewandten und gebildeten Moderator und seinen Gästen zuzuhören.

Mollard in Berlin (Foto: D. Mollard)
Daniel Mollard (*10. 1. 1942) arbeitete von 1964 bis 2005 als Radio- und Fernsehjournalist beim SR. Hier als Reporter in Berlin.

Erst ein halbes Jahrhundert später, inzwischen war ich seit Jahrzehnten in Deutschland und Journalist beim SR, fiel mir der Name François-Régis Bastide wieder auf: in dem 2007 erschienenen Buch „50 Jahre Saarländischer Rundfunk“. Seither sind wieder rund zehn Jahre vergangen. Aber der Wunsch war geblieben, mehr über diesen faszinierenden Mann zu erfahren.

Für das Geburtstagsbuch zu 50 Jahre SR hatte Hans Bünte, Geiger im SR-Sinfonieorchester und Autor von Publikationen zur Musik, zu regional- und medienhistorischen Themen an der Saar auch die Radio-Vorgeschichte des SR recherchiert. Über „Radio Saarbrücken“ (1946 bis 1957) schrieb er u. a: „Die Musikabteilung des Senders hatte nach dem Krieg als Auffangstelle für die heimkehrenden Musiker sowohl des Städtischen wie des alten Rundfunkorchesters gedient … Unter den französischen Mitarbeitern der ersten Stunde ragt der junge Leutnant François-Régis Bastide heraus. Obwohl er kaum 19 Jahre alt ist, wird er für zwei Jahre zum Programmchef der Musikabteilung ernannt.“
Zu den Problemen beim Aufbau des Sinfonieorchesters gehörte die frühere Zugehörigkeit etlicher Musiker zur NSDAP. Bastide setzt sich dann persönlich bei Militärgouverneur Gilbert Grandval – einem anerkannten Helden der ostfranzösischen Résistance – für den Einsatz dieser vermuteten „Nazis“ ein. Und mit seiner jugendlichen Begeisterung ist er wohl so überzeugend, dass Grandval ihm jedes Mal zunickt. Diese Zeit schildert Bastide später in stark autobiographischen Romanen.

Schloss Halberg, 1948 (Foto: SR)
Der französische Militärgouverneur Gilbert Grandval residierte in Schloss Halberg; hier eine Ansicht von 1948.

 Wer war nun dieser laut Bünte „hochgebildete, schwärmerische Musikliebhaber“? 1926 im südwestfranzösischen Biarritz geboren wächst er in einer gutbürgerlichen, musikbegeisterten Familie – Vater Arzt, Mutter Juristin – auf und interessiert sich schon früh für Klavierspiel und Komposition. In seiner Studienzeit hat er damit noch intensiver zu tun. 1944 schließt sich Bastide der Panzerdivision von General Leclerc an, die sich dann mit alliierten Truppen durch das Elsass und Süddeutschland bis nach Bayern durchkämpft. Mit seiner Einheit am bayerischen Ammersee stationiert, befasst er sich mit deutscher Musik und Literatur, die er schon früher etwas kennengelernt hatte. Nach Paris zurückgekehrt wird der junge Offizier mit einem eher politischen, ja beinahe missionarischen Auftrag betraut – unter dem Begriff „Propagande culturelle“ die schönsten Seiten des französischen Kulturlebens den Saarländern schmackhaft zu machen.

Stefan Weszkalnys (Foto: Privat)
Ein guter Bastide-Kenner: der Saarbrücker Lokalhistoriker Stefan Weszkalnys.

Ein langjähriger Beobachter der deutsch-französischen Kulturszene, Stefan Weszkalnys, schildert in einem bisher nur zum Teil veröffentlichten Manuskript (Saarbrücken 2006) die erwähnten Stationen im Leben Bastides bis zu dessen Ankunft in Saarbrücken im Spätherbst 1945. Und fügt ein fesselndes Portrait des damaligen Bastide hinzu:
„Der Neunzehnjährige bezog soziales Prestige aus der bevorzugten Versorgung als Angehöriger der Besatzungsmacht, aus einer schmucken Spahi-Offiziersuniform (Anm.: Spahis waren aus nordafrikanischen Reitern gebildete Kavallerie-Einheiten, im Zweiten Weltkrieg mit Radpanzern ausgerüstet) mit leuchtend roter Jacke und wehendem, blauschwarzem Umhang, mit Ledergamaschen und dem charakteristischen weißen Képi, aber auch aus seiner hoch gewachsenen Statur, seiner Bildung und seinem aristokratischen Auftritt. Zeitzeugen haben den Eindruck überliefert, dass Bastide anfänglich Auftritte in Uniform genossen habe, mit zunehmender Klarheit seiner Position, fortschreitendem organisatorischem Erfolg und gewonnenem Bekanntenkreis einheimischer Musikfreunde jedoch zu Zivilkleidung übergegangen sei … Man möchte den schlanken Herrn im dunklen Zweireiher, mit Krawatte, Einstecktuch, dunkel geränderter Brille (mit Fensterglas) und einem schmalen Schnurrbart (à la Clark Gable) … für wenigstens Mitte der dreißig halten, doch ist er gerade erst mal zwanzig!“

Der junge Mann nimmt seine Aufgabe ernst, Musik gehört zu seinen Leidenschaften. In relativ kurzer Zeit schafft er es, ein spielbereites Radio-Orchester zusammenzustellen – trotz vieler Hindernisse:

Wartburg, 1949 (Foto: Radio Saarbrücken)
Wartburg, 1949.


„Das evangelische Gemeindehaus Wartburg bot dem aus hungernden, vor Kälte zitternden, noch von Krieg und Gefangenschaft geschwächten Musikern des ersten, von Bastide zusammengeworbenen und durch die ,Epurations- bzw. Entnazifizierungsverfahren‘ geschleusten Orchesters ein Obdach. Nicht nur Esswaren, auch Heizmaterial, Instrumente, Noten, Kleidung – alles war knapp rationiert, kaum aufzutreiben, vielleicht noch einzutauschen oder bestenfalls aus Frankreich zu beschaffen.
Bastide half und organisierte von seinem Büro bei der Militärregierung aus …, bis er als Musikchef des wieder auf Sendung gegangenen Radio Saarbrücken ein Büro in der Wartburg (dem Funkhaus) beziehen konnte“ (Stefan Weszkalnys, a. a. O.).

Walter Giesking am Flügel (Foto: Sammlung Eike Wüstenberg)
Walter Giesking war von 1947 bis 1956 Professor an der Hochschule für Musik Saar.

Damit nicht genug. Bastide ist auch der Mann, dem die Hochschule für Musik Saar nach eigenen Angaben ihre Existenz zu verdanken hat. Im Mai 1946 trommelt er Fachleute und Politiker zu einem Treffen in seiner Wohnung in der Saarbrücker Spichererbergstraße zusammen. Es geht um „das Projekt eines saarländischen Musik-Konservatoriums nach dem Vorbild des berühmten Pariser Conservatoire Supérieur de Musique …
Bastides Vorschlag wurde von dem Gremium einhellig begrüßt, fand auch die Zustimmung von Gouverneur Grandval, und die Einrichtung eines Konservatoriums nach Pariser Vorbild war beschlossene Sache“ (aus „Alla Breve“, dem Magazin der Hochschule für Musik Saar, Nr. 37, 2017). Bastide knüpft auch Kontakte zu dem damals berühmten Pianisten Walter Gieseking, der zu einem der Gründerväter der Musikhochschule wird.

Ein Artikel über Bastide in „Alla Breve“, dem Magazin der Hochschule für Musik Saar. Zum Vergrößern bitte anklicken.

 

Auch zu erwähnen: Im April 1946 organisiert er mit Hilfe einer elsässischen Künstleragentur ein „Festival de la Chanson Française“ (schon damals!). So treten im Saarbrücker Johannishof-Saal u. a. Edith Piaf und die ebenfalls berühmten „Compagnons de la Chanson“ auf.
Aus beruflichen und privaten Gründen verlässt er die Saar im Frühjahr 1947.

Plakat zur Veranstaltung mit Edith Piaf am 11. April 1946. Zum Vergrößern bitte anklicken.

Zurück in Frankreich arbeitet der junge Bastide u. a. als Autor. Bei einem angesehenen Pariser Verlag wird er 1955 als Lektor angestellt. Ein paar Jahre später wird er in ganz Frankreich durch seine Radio-Tätigkeit bekannt. Für viele Franzosen, wie auch für meine Eltern, Geschwister und mich, war er damals eine im Laufe der Zeit vertraut gewordene Stimme. 25 Jahre lang moderierte François-Régis Bastide auf der öffentlich-rechtlichen Welle Paris-Inter (heute France-Inter) die Kultursendung „Le Masque et la Plume“, die er im November 1955 zusammen mit seinem Kollegen Michel Pollac ins Leben gerufen hatte. Man würde sie heute als Talkshow bezeichnen. Einmal im Monat befasste sich eine größere Runde aus Journalisten und Branchenkennern – vor allem Theater-, Film- und Literaturkritiker – eingehend mit allem, was im französischen Kulturleben neu war. Zwei Stunden lang (!) wurden sehr lebhaft und kontrovers, ja manchmal polemisch, aber meist humorvoll rhetorisch die Klingen gekreuzt. Die zunächst in einem Pariser Theater aufgezeichnete Diskussion wurde fast ungekürzt am Sonntagabend ausgestrahlt.

In den linksintellektuellen Kreisen der französischen Hauptstadt werden seine kommunikative Begabung, seine elegante Eloquenz und seine kulturelle, vor allem musikalische Bildung geschätzt. Seine Art öffentlich aufzutreten, fällt François Mitterrand auf. Er entsendet ihn 1982 – kurz nach seiner Wahl zum Staatspräsidenten – als Botschafter nach Dänemark. Drei Jahre später wechselt Bastide ebenfalls als Botschafter nach Wien. Eine diplomatische Karriere, die er 1988 bei der UNESCO in Paris fortsetzt.

La troisieme personne (Foto: Buchcover)
Bastides (auch) autobiographischer Roman ist noch nicht ins Deutsche übersetzt worden.

Auch als Schriftsteller ist Bastide sein Leben lang aktiv. Er veröffentlicht nicht weniger als 20 literarische Werke – 11 Romane, vier Essays, zwei Theaterstücke, zwei Kinderbücher und sogar ein Fernsehspiel. In dem stark autobiographischen Roman „La Troisième Personne“ (1948, Gallimard, Paris) blickt er kaum verfremdet auf seine anderthalb Jahre in Saarbrücken zurück. Unter anderem schildert er die Vorbereitungen für das erste Konzert in der stark beschädigten, chaotischen Wartburg mit Toiletten, die als Umkleideräume dienen müssen. Einmal fragt sich seine Hauptfigur, „wie mit den Saarländern umzugehen ist. Als zukünftige Franzosen oder als ehemalige Deutsche? Das alles schien ihm etwas rätselhaft.“ Zu den Fakten gehört jedenfalls, dass er sich in Saarbrücken in eine wenige Jahre ältere Schauspielerin „mit tiefblauen Augen“ verliebt, von der er viel später in einem Interview immer noch schwärmerisch spricht.

Buchcover deutsch-französische Wanderfantasie (Foto: SR)
Auch im Buch „Wandererfantasie“ verarbeitet Bastide Erinnerungen an seine Zeit an der Saar. Hier die Titelseiten der französischen und der deutschen Ausgabe.

In „La Fantaisie du Voyageur“ (1976, Editions du Seuil, Paris) erzählt er ebenfalls von diesem Lebensabschnitt. Dabei vermischt sich wieder Erlebtes mit Fiktion. Das rund 450 Seiten starke Werk ist in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Wandererfantasie“ (2006, Gollenstein Verlag, Saarbrücken) erschienen. Darin gibt Bastide zu, dass er sich mit 20 Jahren nicht über seine eigene Person sicher gewesen sei – „mais je suis Saarländer“ (aber ich bin Saarländer), fügt er dann in der Originalfassung hinzu. Ein Satz, der deutlich macht, dass „er das Saarland und die hiesigen Menschen – besonders jene, die mit ihm die Liebe zur Musik teilten – nie aus seinem Gedächtnis und seinem Herzen verloren hat, denn diese Menschen und ihre Lebensumstände haben sich in ihn tief eingraviert … und er hat hier Erlebnisse und Eindrücke für immer, auf die Dauer eines ganzen Lebens erfahren“. (Stefan Weszkalnys)

Zitat (Foto: Mollard)
Teil einer Buchseite aus „La Fantaisie du Voyageur“: „mais je suis Saarländer“.

Aus Freundschaft zu bekannten Filmregisseuren wie Alain Resnais und Francis Girod lässt sich Bastide überreden, bei Dreharbeiten kleinere Rollen zu übernehmen. So ist er in drei Filmen zu sehen, vor allem in „La Banquière“ (deutscher Titel: „Die Bankiersfrau“), in dem er – neben Romy Schneider in der Hauptrolle – einen Justizminister spielt.

Von der Gründung 1988 an bis zu seinem Tod war Bastide als einer von fünf Franzosen ein sehr engagiertes Mitglied im Deutsch-Französichen Kulturrat – wohl auch eine späte Auswirkung seiner kulturellen Aufbauarbeit kurz nach dem Krieg an der Saar.

Der starke Raucher Bastide stirbt am 17. April 1996 in einem Pariser Krankenhaus an Lungenkrebs. Begraben wird er im südfranzösischen La Garde-Freinet unweit von St. Tropez, wo er seine letzten Lebensjahre auf dem Landsitz La Mente verbracht hat.

Nachruf auf Bastide im Pariser „Figaro“. Zum Vergrößern bitte anklicken.

Den ihm bereits zuerkannten Saarländischen Verdienstorden hatte François-Régis Bastide wegen seiner fortgeschrittenen Krankheit nicht mehr entgegennehmen können.

Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Eva Röder (Gestaltung/Layout), Roland Schmitt (Fotos).

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