Neogotische Gartenfassade des Schloss Halberg (Foto: Postkarte)

Schloss Halberg: Fast ein Loire-Schloss an der Saar

 

Schloss Halberg ist heute der Sitz der Intendanz des Saarländischen Rundfunks. Sender wie Schloss sind mit der saarländischen Landesgeschichte eng verbunden. Noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs kaufte 1939 die Reichsrundfunkgesellschaft den Halberg fürs Radio. Nach Kriegsende war Schloss Halberg durch Artilleriebeschuss und Bomben schwer beschädigt. Gilbert Grandval, Militärgouverneur der damaligen französischen Besatzungsmacht, erkor es dennoch zu seiner Residenz. Deshalb wurde es schnell wiederhergestellt.

Paul Burgard im Schloss Halberg (Foto: Privat)
Dr. Paul Burgard, der Autor dieses Fundstücks.

Teil 1 des Beitrags von Dr. Paul Burgard zum Schloss Halberg

Aus welchen Motiven heraus und zu welchen Kosten das geschah, hat der Landeshistoriker Dr. Paul Burgard im Fundstück „Schloss Halberg: Vom Industriellen-Domizil zur Botschafterresidenz“ bereits erläutert. Der Wissenschaftler im Saarländischen Landesarchiv stellt in diesem zweiten Teil seiner Nachkriegsgeschichte von Schloss Halberg* dar, wie und warum dabei aus dem ursprünglich neobarocken Industriellenschloss (fast) ein Loire-Schloss wurde.

Von Dr. Paul Burgard 

Nach Abschluss der Umbauarbeiten von Schloss Halberg auf Betreiben des Chefs der französischen Militärregierung im Saarland, Gilbert Grandval, war selbst die alte Hülle des ursprünglichen Industriellen-Schlosses nur noch schwer erkennbar. Zumindest die Gartenseite, die mit ihrem „Bergfried“, mit Eck- und Ziertürmen, Loggia, Balustraden und Gauben, mit Spitzbögen, Säulen und Figuren das repräsentative Prunkstück des neogotischen Ensembles dargestellt hatte, war gegen eine recht reiz- und seelenlose Fassade ausgetauscht worden.

Verändert hatten sich die Proportionen der alten Architektur vor allem durch die partielle Abtragung des Hauptturms und den Einzug eines vollständigen zweiten Obergeschosses. Die nun weitgehend schmucklose Gartenseite ließ höchstens in ihren Achsen und einzelnen Kubaturen (Formen des Baukörpers) noch den Ursprung der Stumm’schen Anlage erkennen. Der Industrielle Carl-Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg war der Bauherr des ursprünglichen Schlosses.

Delegation französischer Journalisten und Mitglieder des saarländischen Kabinetts (Foto: Landesarchiv Saarland)
Gruppenfoto im Garten von Schloss Halberg am 21. Januar 1920: eine Delegation französischer Journalisten und Mitglieder des saarländischen Kabinetts.

Beim Wiederaufbau des Halbergs gab es zweifellos genügend bautechnische und pragmatisch-finanzielle Gründe für die neue Nüchternheit der Südwestfassade. Gleichwohl liegt die Vermutung nahe, dass die neue Ästhetik auch oder sogar vor allem die politischen Wunschvorstellungen des neuen französischen Hausherren widerspiegelte. Die ersten in Grandvals Auftrag entstandenen Berichte vom Herbst 1945 waren noch davon ausgegangen, dass die Gartenseite des Schlosses in ihrer ursprünglichen Formsprache rekonstruiert werden sollte. Wenn nun aber das komplette Gegenteil eines solchen Programms realisiert wurde, wenn Maurer und Steinmetze hier für eine totale „Entgotisierung“ sorgten, dann entsprach das exakt jener „Entpreußung“, die der Gouverneur nicht nur dem Geist, sondern auch der Architektur „seines“ neuen Landes verordnen wollte. Mehr als einmal sprach und schrieb Grandval im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau davon, dass selbst der Bombenkrieg nicht alle preußischen Spuren in den saarländischen Städten getilgt hätte, die deshalb durch eine „moralisch einwandfreie“ Architektur nach französischem Vorbild ersetzt werden müssten. War es nicht genau das, was der Oberst nun am Beispiel seiner eigenen Residenz umzusetzen suchte? Legitimierte die aus seiner Sicht notwendige Transsubstation (Umformung) von preußisch-nazistischer in französisch-demokratische Bautradition nicht auch erst recht die Wahl der gotischen Festung eines der größten preußischen Herren von der Saar, dessen Haus man – mit Einschränkungen – in ein „Loireschloss“ verwandelte?

Erweiterte Küche des Schloss Halberg (Foto: Landesarchiv Saarland)
„Großkampftag“ in der erweiterten Küche von Schloss Halberg anlässlich eines Großempfangs am 23. Dezember 1953.

Ohne die Details wirklich zu benennen, wurde in Publikationen über Schloss Halberg immer wieder darauf hingewiesen, dass das Haus durch den Umbau nach dem Krieg massive Veränderungen erfahren habe, die die baulichen Verbindungen zur Vergangenheit gewissermaßen gekappt hätten. Was die Gartenfassade und den Ausbau des zweiten Obergeschosses betrifft, ist das durchaus zutreffend. Wenn man nun aber ins Schlossinnere blickt, wenn man die vorhandenen Grundrisse aus der „Gründerzeit“ und die ersten „SR-Pläne“ aus dem Jahr 1958 übereinanderlegt, dann ist man im Gegenteil von der großen Kontinuität überrascht, die in der Raumstruktur und -größe durch die sehr wechselvollen Jahrzehnte hindurch feststellbar ist. Zumindest für das Erdgeschoss, das einen solchen Vergleich präzise zulässt, ist die große Identität im wichtigsten Teil des Hauses in Stumm‘schen wie in Grandval’schen Zeiten nicht von der Hand zu weisen. Selbst dort, wo neue Mauern aufgezogen und Tragekonstruktionen eingebaut werden mussten wie im Bereich der Vorbauten, von Fest- und Speisesaal, blieb die Linienführung im Grundriss so, wie sie prinzipiell seit Opplers Zeiten bestand. Edwin Oppler und Ferdinand Schorbach waren die Architekten des ursprünglichen Industriellenschlosses, das zwischen 1877 und 1880 gebaut wurde.

Die wirklich strukturellen Veränderungen sind an drei Fingern abzuzählen und direkt sichtbar. Sie betreffen die Vergrößerung des Küchenbereichs, die Veränderung des Korridorverlaufs (um einen direkten Zugang zum Festsaal zu schaffen) sowie den Einbau von Aufzügen und Toilettenanlagen. Diese Eingriffe änderten allerdings die Wegführung durch das Haus ebenso wenig wie sie die Aufteilung des Erdgeschosses in verschiedene Funktionsbereiche beeinträchtigten.

Wie unter Stumm, so befanden sich auch bei den Grandvals die für Repräsentation und Öffentlichkeit vorgesehenen Räume auf der Gartenseite (Bilder aus den 50ern zeigen zum Beispiel auch Empfänge, Ordensverleihungen oder Feiergesellschaften in Stumms ehemaligem Salon, Billard- oder Musikzimmer), die Arbeits- und Diensträume lagen auf der Hofseite, zu beiden Seiten der Vorhalle, durch die man das Schloss betrat. Sogar den großen Korridor sieht man beim Hohen Kommissar und Botschafter noch oft in der gleichen Weise genutzt wie es einst der Freiherr geplant hatte: als Ort für die Bewirtung der zahlreichen Gäste. Und so geschieht das gelegentlich noch heute beim Saarländischen Rundfunk. Dass man den Reiz eines Aufenthalts im Korridor dadurch erheblich erhöht hatte, dass in der Kurve auf dem Weg zum Festsaal eine Bar eingerichtet worden war, belegen so einige historische Fotografien.

Empfang vor dem Festsaal, Schloss Halberg (Foto: Landesarchiv Saarland)
Grandval (2. v. l.) empängt Gäste vor dem Festsaal von Schloss Halberg.

Von einem Ort, der sich mit einiger Wahrscheinlichkeit auch im Erdgeschoss des Schlosses befand, ist bisher nur gerüchteweise oder in mehr oder weniger anekdotenhaften Erinnerungen von Zeitzeugen die Rede gewesen. Gemeint ist Grandvals Schlosskapelle, die noch kürzlich in einem Interview zum Unort, zur „perfiden Rhetorik“ einer frankophoben deutschen Journaille deklariert wurde.

Aber diese Kapelle existierte wirklich. Aktenkundig wird der geheimnisumwitterte Ort in einem „Firmen- und Arbeitsverzeichnis“, das Paul Arndt im Rahmen seiner Prüfberichte am 31. Januar 1947 angelegt hatte. Darin wird unter Punkt 12 das „Verputzgeschäft Chr. Fleisch“ aus Saarbrücken aufgeführt, dessen sieben Mitarbeiter damals mit „Putzarbeiten in der Kapelle und Festsaal“ beschäftigt waren. Wenn man sich historische Innen- und Außenaufnahmen jenes Gebäudeteils betrachtet, in dem der Festsaal (heute Restaurant) lag, dann kann man mit gutem Grund annehmen, dass die Putzarbeiten von „Festsaal und Kapelle“ nicht nur in einem sprachlichen, sondern auch in einem örtlichen Zusammenhang zu sehen sind. Der Festsaal schloss mit einem Bühnenraum ab, dessen Volumen aber bei weitem nicht den gesamten in südöstlicher Richtung noch verbleibenden Gebäudetrakt einnahm. Hinter der von ihrer Rückseite zugänglichen Bühne befand sich vielmehr noch ein etwa sieben Meter langer Raum mit insgesamt acht Fenstern, der sich in Richtung seines – vom Garten zu erreichenden – separaten Zugangs verjüngte. Das Handwerkerverzeichnis, die Form des Gebäudes und ein historischer Blick auf „sakral“ wirkende Fenster sprechen eine ziemlich deutliche Sprache: genau hier sollte eigentlich der Ort gewesen sein, an dem der zum Katholizismus konvertierte Grandval eine Hauskapelle für die familiäre Andacht errichtet haben könnte.

Feier 14. Juli 1949 am Schloss Halberg (Foto: Landesarchiv Saarland)
Feier am 14. Juli 1949, dem französischen Nationalfeiertag, auf dem Halberg; im Gebäudeteil links könnte sich Grandvals Hauskapelle befunden haben.

Die Residenz Grandvals, auf dem Halberg aus historischem Gemäuer erwachsen, bestand nicht nur aus einem Haus. Zum Schloss gehörte vielmehr schon zu Stumms Zeiten eine ganze Reihe von Nebengebäuden, die wie das Tor-, Beamten- oder Försterhaus zum Teil bis heute erhalten sind.

Auch sie galt es nach dem Krieg instand zu setzen und einem neuen Zweck zuzuführen, sei es als Adjutantenhaus, als Wohnung für die Sekretärin, als Pferdestall oder Hallenschwimmbad. Der Altbestand wurde im Zuge des gesamten Wiederaufbaus instandgesetzt und saniert, auch Neubauten wurden in das Ensemble eingefügt; ein Gewächshaus etwa, auf das Madame Grandval großen Wert legte, wurde in der Nähe von Rentamt und Wasserturm errichtet. Eine Aufstellung vom Mai 1946 nennt als Nebengebäude „Rentamt, Försterhaus Pförtnerhaus, Haus Rech (benannt nach dem alten Kammerdiener der Stumms(Anmerkung Paul Burgard), Stall- und Garagengebäude, Hallenschwimmbad und Unterstellraum, Gewächshaus, Wachhaus, Reithalle“. Die Rohbauten dieser Gebäude wurden mit insgesamt 150.000 Reichsmark taxiert, keine Marginalie beim Umbau des Halbergs also, machten diese Kosten doch fast ein Viertel des Gesamtaufwands für Rohbauten aus.

Torhaus, Schloss Halberg (Foto: Sammlung Hendrik Stegner)
Das Torhaus gewährte den Zugang zum Schloss.
Försterhaus, Schloss Halberg (Foto: Landesarchiv Saarland)
Plan des Architekten Edwin Oppler für das Försterhaus auf Schloss Halberg.
Stuckarbeiten Schloss Halberg nach Edwin Oppler. (Foto: Landesarchiv Saarland)
Stuckarbeiten im Schloss Halberg nach Plänen des Architekten Edwin Oppler.

Mehr Informationen zum Halberg

Was die neue Residenz im alten Schloss außerdem besonders teuer machte, das waren die vielen notwendigen Nebenanlagen und Infrastrukturmaßnahmen. Sie waren einerseits dem maroden Zustand des Gebäudekomplexes geschuldet, entsprachen andererseits der Anpassung an moderne Maßstäbe, die an einem abgelegenen Ort wie dem Halberg nicht einfach zu realisieren waren. Neue Heizungs-, Lüftungs- und Kühlanlagen, elektrische Anlagen, Gas-, Wasser- und Stromzuführung, Kläranlage, Heizkanäle, Straßenbau – all dies verschlang Unsummen, die in diesem Umfang am Beginn des Unternehmens kaum überblickt wurden. „Unter Berücksichtigung des reich ausgebauten Wohnhauses“, bemerkt Baudirektor Arndt 1946, „der grossen Räumlichkeiten, des Einbaus einer zweiten Geschosstreppe, von 16 Bädern, 10 offenen Kaminen, Speise- und Personenaufzug könnte ein Vorkriegssatz bis zu 45 RM pro cbm angenommen werden. Es ergibt sich also eine Überteuerung von etwa 70 v. H.“ Auch wenn diese Fehlkalkulation dem mangelhaften Finanzmanagement Hans Baurs angelastet werden konnte: Dass ein solcher Bau nicht für die ursprünglich taxierte Summe zu haben war, hätte der französische Bauherr im Oktober 1945 auch ohne seinen saarländischen Bauleiter ahnen können.

Was die Grandvals an der neogotischen Südwestfassade des Stummschlosses eher zu deren Nachteil vorexerziert hatten, das haben sie im Inneren des Hauses durchaus gewinnbringend nachvollzogen: die Entsorgung der historistischen Vergangenheit. Vertäfelungen. Stuckaturen, Kamine, pompöse Säulen, vieles von dem, was die Räume Jahrzehnte lang je nach Perspektive geziert oder überfrachtet hatte, wurde nun abgetragen, die weiß verputzten Wände sollten fortan nur noch dezenter Hintergrund für Kunst und zeitlos noble Möblierung sein. Eine geschmackliche Modernisierung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch unter dem Dirigat von Madame Grandval zustande kam und die den hier lebenden oder eingeladenen Menschen buchstäblich größeren Raum verschaffte. Mit Ausnahme einiger aufbereiteter Türen ist also vom alten Interieur des Stummschlosses kaum etwas übrig geblieben.

Botschafter-Verabschiedung im Schlosskorridor (Foto: Landesarchiv Saarland)
Verabschiedung des Französischen Botschafters: Gruppenbild im Korridor nahe der Flurkreuzung im Parterre des Schlosses.

Weniger war bei den Grandvals einerseits mehr, andererseits musste die große Leere, die nach der Sanierung im Schloss herrschte, neu gefüllt werden. Das betraf nicht nur die neu errichteten Kamine oder die wenigen neuen Stuckarbeiten, sondern vor allem die eigentliche Inneneinrichtung, von den Teppichen über das Mobiliar bis zu Porzellan, Bildern oder Kunstgegenständen. Tatsächlich war Schloss Halberg nach dem Krieg in dieser Hinsicht leergefegt, die Grandvals mussten also bei Null anfangen. Als erster Mann an der Saar hatte der Oberst im besiegten und besetzten Land zwar die besten Zugriffsmöglichkeiten; Requisitionen für Angehörige der Militärregierung waren in den Nachkriegsjahren nicht nur bei Wohnungen, sondern auch bei Einrichtungen alltäglich geübte Praxis. Da der Bedarf bei einem Schloss von der Größe des Halbergs aber exorbitant war, wurde mit 340.000 Reichsmark ein erheblicher Teil des Budgets schon im zweiten Kostenanschlag für die Inneneinrichtung reserviert; 160.000 RM sollten dabei für den Kauf „fertiger“ Einrichtungsgegenstände zur Verfügung stehen.

Welches Interieur schließlich durch Einkauf und welches auf anderen Wegen auf den Halberg gelangte, ist leider nicht mehr im Einzelnen nachzuvollziehen. Immerhin kann man auf historischen Fotografien aus den 50er Jahren eine Fülle von Möbelstücken und Kunstgegenständen ausmachen, von denen einige sogar eindeutig identifizierbar sind. Diese Identifikation ist in manchen Fällen vor allem deshalb möglich, weil wir wissen, woher die Gegenstände stammen.

Das Saarlandmuseum mit seinen großen Beständen zum Beispiel war ein kleines Paradies für jeden, der sich teuer und antiquarisch einrichten wollte – und das qua seiner Position auch durfte. Im Archiv des Museums haben sich etwa ein Dutzend Listen erhalten, auf denen museale Gegenstände verzeichnet sind, die 1946/47 „zur Ausgestaltung von Schloss Halberg“ leihweise den Grandvals überlassen wurden.

Turmzimmer im Erdgeschoss mit einer Truhe aus dem Museum (Foto: Landesarchiv Saarland)
Turmzimmer im Erdgeschoss: eine Truhe aus dem Museum als Schreibunterlage.

Kommoden, Truhen, Tische und Stühle, Sofas, Sessel und Schränke, Sekretäre und Wandschränke, Mobiliar aller Art also, stand auf diesen Listen ebenso wie Porzellantassen und -teller, Bilder, Madonnen, Krüge, Kerzenständer oder Mörser. Im Übrigen wurden auf diesem Weg auch die Sekretärin Grandvals oder der Direktor von Schloss Halberg, Monsieur Lefranc, „begütert“; die Listen bieten insofern nicht nur ein Füllhorn an Informationen zum Einrichtungsgeschmack der Botschafterfamilie, sondern auch zum Alltagsleben der engen Mitarbeiter. Dass zum Beispiel Grandvals Sekretärin vermutlich Klavier spielte, liegt zumindest nahe angesichts der Tatsache, dass auf ihrer Leihliste ein „Klavierhocker“ stand.

Ein Raum im Schloss, der mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mit musealen Gegenständen bestückt werden musste, war das bisher nicht lokalisierbare Arbeitszimmer Grandvals im Erdgeschoss. Unter den für diesen Beitrag gesichteten Fotografien gibt es einige wenige, die Ausschnitte dieses Zimmers zeigen könnten, zumindest würde das Ambiente einigermaßen passen. Besonderes Interesse hat dieses Zimmer deshalb verdient, weil es von jenem bedeutenden Architekten eingerichtet worden sein soll, der einige Jahre später die Französische Botschaft in Saarbrücken baute: Georges Henri Pingusson. Zumindest behauptet das Simon Texier in seiner Biographie des Baumeisters, wo Grandvals Arbeitszimmer auf dem Halberg sowohl im einschlägigen Kapitel als auch im anhängenden Werksverzeichnis unter der Jahreszahl 1946 auftaucht. Ob diese – leider ohne Belege versehenen – Statements Texiers in die historische Wirklichkeit zurückführen oder eher einer Verwechslung geschuldet sind, ließ sich bisher nicht klären. Möglich und „sinnvoll“ wäre eine solche Zuarbeit durchaus gewesen, lebte Pingusson als Grandvals bester Stadtplaner doch seit Ende 1945 im heutigen Saarbrücker Stadtteil Scheidt. In unseren Halberg-Unterlagen, die eine Fülle von Bauverantwortlichen und -firmen aufführen, findet man den berühmten Namen indes leider an keiner Stelle.

Gemälde von Zolnhofer und Foto der Grandvalkinder (Foto: Landesarchiv Saarland)
An der Wand das Gemälde „Verlassen des Bergwerks“ („Sortie de mine“) von Fritz Zolnhofer und darunter ein Foto der Grandvalkinder.

Zwei Dinge, die nur auf Fotografien, nicht aber auf den Museumslisten zu finden sind (wobei eines auch nicht aus dem Museum stammte), sind für das Selbstverständnis des Hausherren besonders aufschlussreich. Das eine ist das Gemälde „Sortie de mine“ des saarländischen Kunstpreisträgers Fritz Zolnhofer, das man an diesem Ort in einem der Repräsentationszimmer im nordwestlichen Schlosstrakt nicht unbedingt vermutet hätte. Denn Zolnhofer, der sich im Dritten Reich vor den nationalsozialistischen Propagandawagen hatte spannen lassen, galt eben deswegen im antifaschistischen Nachkriegssaarland nicht als Vorzeigekünstler. Der Direktor des Saarlandmuseums fragte zum Beispiel anlässlich der Weihnachtsausstellung 1946 pflichtbewusst bei Grandval nach, ob Zolnhofer bei dieser Schau denn überhaupt mitmachen dürfe. Er durfte, und die Fotografie vom Halberg aus dem Jahr 1953 lässt ahnen warum: Grandval hatte ganz offenkundig keinerlei Schwierigkeiten mit dem ideologisch vorbelasteten Zolnhofer. Im Gegenteil, er mochte die expressiven Industrieansichten sehr, so sehr, dass unter der „Sortie“ auf dem Halberg das Portraitbild seiner Kinder stehen konnte und er einen anderen Zolnhofer über dem Schreibtisch seines Arbeitszimmers im Militärgouvernement aufgehängt hatte.

Zolnhofergemälde hinter Grandvals Schreibtisch (Foto: Landesarchiv Saarland)
Das Bild einer Industrielandschaft von Zolnhofer hinter Grandvals Schreibtisch.

Im Gegensatz zum Zolnhofer passte ein zweites Ausstellungsstück schon fast zu gut in das Haus eines französischen „Herrschers“, der hoch über der Saar thronte. Aus dem im Saarlandmuseum verwahrten Depositum des Historischen Vereins war sie auf den Halberg gekommen, die Fahne des Infanterieregiments Nassau-Sarrebruck aus dem Jahr 1745, das heiligste Stück jener Einheit also, die Fürst Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken in den (bezahlten) Diensten des französischen Königshauses aufgestellt hatte. Gerahmt und hinter Glas hing sie nun an zentraler Stelle im Korridor von Schloss Halberg, so dass jeder Besucher der Grandvals sie und mit ihr die Größe Frankreichs bewundern konnte.

Denn sowohl die Symbolik als auch der Wahlspruch des Infanterieregiments rekurrierten auf den Sonnenkönig Ludwig XIV., der wie sonst nur Napoleon die Macht der Grande Nation in Europa dokumentierte: „Nec pluribus impar“ lautete der Schriftzug, der am oberen Fahnenrand über der Sonne prangte. Sogar einer Übermacht niemals unterlegen, so ließe sich diese Devise übersetzen, eine Devise, die auf dem Umweg der Regimentsfahne die Herrschaft in der saarländischen Provinz sozusagen unmittelbar mit der historischen Supermacht in Versailles verband.

Hohe Gäste am 14. Juli 1953, Schloss Halberg (Foto: Landesarchiv Saarland)
Hohe Saarlandgäste-Gäste am 14. Juli 1953 auf Schloss Halberg. Im Hintergrund „strahlt“ die Sonne Ludwigs XIV.

Schloss Halberg, das wird spätestens an diesem Punkt klar, war nicht einfach nur die repräsentative Residenz eines mittleren französischen Militärkommandanten, der an der Saar sein eigenes kleines Reich von seinen Vorgesetzten in der alliierten Besatzungsmacht erhalten hatte. In der Geschichte des Halbergs, seiner architektonischen Metamorphose, seiner Ausgestaltung und seiner Nutzung zu Saarstaatszeiten steckte vielmehr die gesamte Programmatik eines regionalen Machthabers, der die Größe Frankreichs (und damit vermutlich auch seine eigene) ebenso ernst nahm wie den Auftrag, das Saarland im Sinne und in enger Anlehnung an jene große europäische Nation, für die er im Krieg gekämpft hatte, zu Zivilisation und Demokratie zu bekehren. Es passte exakt zu diesen programmatischen Vorstellungen, wenn die gesellschaftlichen Höhepunkte im Jahreskalender des Halbergs Mitte Juli und Mitte Dezember stattfanden. Der Quartorze Juillet und der Saarländische Verfassungstag am 15. Dezember führten zusammen, was im Saarstaat qua (französischer und regierungsamtlicher) Definition zusammengehören sollte: die Grande Nation, ihre Führungsrolle beim Export der Freiheits- und Menschenrechte durch die Französische Revolution ab 1789 und die Geburt jenes neuen Staates, in dem eine friedvolle europäische Zukunft mit französischer Starthilfe auf den Weg gebracht werden sollte.

Violinkonzert mit Jacques Thibauld im Festsaal (Foto: Landesarchiv Saarland)
Violinkonzert mit dem berühmten französischen Geiger Jacques Thibauld im Festsaal. Der Wandteppich der Pariser Künstlerin Pauline Peugniez wanderte 1955 nach der Aufgabe des Halbergs in die Französische Botschaft am Saarufer.

So wenig wie Schloss Halberg ein Ort war, an dem ein Autokrat in aller Ruhe sein von den Saarländern bezahltes Luxusleben genießen durfte (wie es so manche Polemik der „deutschen Opposition“ in den 1950ern darstellte), so wenig sollte man die Residenz Grandvals als einen europäischen Höhe(n)punkt begreifen, als das symbolische Zentrum einer Aufklärungs- und Umerziehungsbewegung, in dem das neue demokratische Saarland vorgedacht und -gelebt wurde. Der Halberg blieb in Saarstaatzeiten ein abgeschiedener und abgeschirmter Ort, eine exklusive Versammlungsstätte für jene „höfische Gesellschaft“, in der Frankreich sich mit seinen saarländischen Freunden und Verbündeten selbst inszenierte, wodurch die gemeinsamen politischen Visionen immer wieder rituell bekräftigt werden konnten.

Jazzkonzert, Schloss Halberg (Foto: Landesarchiv Saarland)
Jazzkonzert auf der Fesdtsaal-Bühne von Schloss Halberg im Dezember 1952.

Das Schloss des Monsieur Grandval, es war ein Platz, an dem vieles, auch Widersprüchliches, neben- und gegeneinander existieren konnte: preußische Vergangenheit und französische Gegenwart, privates und öffentliches Leben, feudaler Glanz und demokratische Transparenz, nationale Selbstdarstellung und europäische Vision, elitäre Distinktion und plumpes politisches Machtspiel.

* Die Dokumentation von Dr. Paul Burgard zur Nachkriegsgeschichte von Schloss Halberg erschien unter dem Titel „Die Schlösser des Monsieur Grandval“ zunächst in „saargeschichten“ (Magazin zur regionalen Kultur und Geschichte, 4/16). Der erste Teil seines Aufsatzes ist bereits als „Fundstück zur SR-Geschichte“ unter dem Titel  „Schloss Halberg: Vom Industriellen-Domizil zur Botschafterresidenz“ veröffentlicht. Der „Arbeitskreis SR-Geschichte“ bedankt sich bei Dr. Paul Burgard und der Redaktion „saargeschichten“ für die freundliche Genehmigung.

Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Eva Röder (Gestaltung/Layout), Roland Schmitt (Fotos).

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